Ein Hektar Land für »alle«
4. September 2022
Die Entwicklung rechtsesoterischer Familienlandsitze der Anastasia-Bewegung in Deutschland und deren ideologische Basis
Nicht erst seit der Corona-Pandemie, sondern schon seit Jahren gibt es einen Trend zum Wohnen auf dem Land, zu Selbstversorgung und zu mehr »Natürlichkeit«. Auch wenn auf den ersten Blick meist alles nett und harmlos wirkt, so lohnt sich doch oft ein kritischer Blick. Finden sich zum Beispiel in einem Youtube-Video über natürliche Geburten und die richtige mentale Vorbereitung Bezugnahmen auf die Anastasia-Bücher, sollten die Alarmglocken klingeln. Doch worum geht es bei Anastasia?
Die Anastasia-Bewegung basiert auf der Buchreihe »Anastasia – Die klingenden Zedern Russlands« von Wladimir Megre. Der russische Autor traf angeblich im Jahr 1994 auf einer Geschäftsreise eine Frau namens Anastasia, die einsam in der russischen Taiga lebt. In insgesamt zehn Bänden, die in den Jahren 1996 bis 2010 auf Russisch erschienen sind und seitdem in diverse Sprachen, unter anderem ins Deutsche, übersetzt wurden, berichtet Megre über seine fiktiven Begegnungen und Gespräche mit Anastasia.
Gründung von »Familienlandsitzen«
Als vermeintliche Lösung für die Probleme unserer Welt wird in den Büchern die Gründung sogenannter Familienlandsitze beschrieben: Jede Familie (ausschließlich bestehend aus Mann, Frau und Kindern) soll einen Hektar Land erwerben, ein Haus erbauen und sich selbst mit Obst und Gemüse versorgen. Technische Errungenschaften und wissenschaftsbasierte Medizin werden abgelehnt. Gewünscht ist, dass sich mehrere Familien zu größeren Siedlungen zusammenschließen.
Abgesehen von diesen Tipps für den Alltag, lesen sich die Bücher eher wie Fantasy-Romane. Die Romanfigur Anastasia ist allwissend, kann mit Tieren sprechen und durch einen Strahl Menschen heilen. Doch zwischen diesen fantastisch anmutenden Elementen finden sich auch immer wieder sexistische, rassistische und antisemitische Aussagen. Megre zeichnet eine stark vereinfachte Welt, in der böse Mächte und die »Technokratisierung« schuld an allem Übel sind.
Der Gründung einer eigenen Familie wird in den Büchern eine besonders große Rolle zugeschrieben. Für das Kennenlernen über die Hochzeit bis zur Zeugung eines Kindes werden für alle Schritte der Familiengründung detaillierte Angaben gemacht. Diese Rituale entstammen angeblich einem alten »Urvolk«, den »Wedrussen«. Die Wedrussen werden als blond und blauäugig beschrieben, angeblich hatten alle Wedrussen magische Fähigkeiten und waren anderen Menschen sowohl körperlich als auch geistig überlegen.1 Wenn wir uns nur an die Vorgaben der Bücher halten würden, könnten alle Menschen die Eigenschaften der Weden zurückerlangen, so Megre.
Schuld daran, dass dies nicht passiert und die beschriebenen Rituale nicht umgesetzt werden, seien die »dunklen Mächte«. Diese würden unter anderem Frauen so beeinflussen, dass sie Männer verführen und es damit den Männern unmöglich machen, die richtige Partnerinnenwahl zu treffen. Die rassistische Idee der Telegonie, wonach der erste Geschlechtspartner einer Frau die Eigenschaften eines späteren Kindes bestimmt, wird von Megre beschrieben und verdeutlicht, warum Megre und den Anhänger*innen der Bücher die richtige und frühe Partner*innenwahl so wichtig ist.2 Hier bedient er sich an einem Konzept, das Kernelement der Blutschutzgesetze im Nationalsozialismus war.
Doch nicht nur Frauen lassen sich laut Megre von »den dunklen Mächten« beeinflussen. In den Büchern wird behauptet, dass alle Jüd*innen durch einen Oberpriester »programmiert« wurden und seitdem willenlose »Roboter« seien. Deswegen seien Jüd*innen selbst schuld an all dem Leid, welches ihnen in den letzten Jahrtausenden widerfahren ist: »Da das schon mehr als ein Jahrtausend geschieht, kann man den Schluss ziehen, dass das jüdische Volk vor den Menschen Schulden hat. Aber worin besteht die Schuld? Die Historiker, die alten wie die neuen, sprechen davon, dass sie Verschwörungen gegen die Macht anzettelten. Sie versuchten alle zu betrügen, vom jungen bis zum alten. (…) Das bestätigt die Tatsache, dass viele Juden wohlhabend sind und sogar auf die Regierung Einfluss nehmen können.«3 Diese Aussage bedient alte antisemitische Stereotype.
Kinder und Bildung
Ziel der Familienlandsitze ist es, Kinder frei von diesen angeblichen »dunklen Mächten« und von fremden Einflüssen großzuziehen. Kinder sind für Wladimir Megre vollkommene Menschen: Angeblich würden Neugeborene durch die Fontanelle, die noch offene Knochenspalte am Kopf von Babys, kosmische Informationen und damit Weisheit aufnehmen. Durch Erziehung und das Schulsystem würden Kinder jedoch verdummen. Das Konzept der Schetinin-Schule wird in den Büchern als Gegenentwurf präsentiert. Die Schule wurde von dem im Jahr 2019 verstorbenen Lehrer Michail Petrowitsch Schetinin gegründet. Auch er geht davon aus, dass Kinder allwissend wären und nur noch den Zugang zu ihrem Wissen finden müssten. Dann sei die sonst elfjährige Schulausbildung in nur einem Jahr schaffbar. Nicht nur, dass diese Vorstellung einen immensen Druck bei Kindern auslösen muss, in der Schetinin-Schule wird auch ein starker Militarismus und Nationalismus gelebt. Im europäischen Kontext wurde darauf aufbauend das Lais-Prinzip entwickelt, das der Schetinin-Schule ähnelt, aber ebenso einige Unterschiede aufweist.
Aus dem Umfeld der Anastasia-Bewegung gab es mehrere Versuche, freie Schulen zu gründen. Doch auch die Idee des »Freilernen«, also die komplette Ablehnung von vorgegebenen Unterrichtsplänen, ist unter den Anhänger*innen der Bücher weit verbreitet.
Auch wenn die Bücher Fiktion sind, so sind sie doch so geschrieben, als würde es sich um wahre Begebenheiten handeln. Der Autor Megre behauptet in den Büchern sogar, mit der Figur der Anastasia gemeinsame Kinder zu haben. Die Anhänger*innen der Buchreihe nutzen diese als Informationsquelle und befolgen die dort gegebenen Anweisungen. Dabei wird der Inhalt von den Akteur*innen verschieden gedeutet und mit weiteren Verschwörungserzählungen und rechtem Gedankengut vermischt. Die Anastasia-Bewegung ist dementsprechend vielfältig.
Die Akteur*innen
Es lässt sich schwer sagen, wie viele Anhänger*innen die Anastasia-Bewegung hat, denn wie einige Fans der Bücher selbst online auf einer Infoseite zu den Anastasia-Büchern schreiben, ist die Bewegung »alles andere als eine organisierte Bewegung, wie Verein, religiöse Gemeinde oder gar Partei, sondern vielmehr eine freie Gruppe von gleichgesinnten Menschen mit ähnlichen Träumen und Zielen«.
Die Zahl der Familienlandsitze in Deutschland wird auf knapp 20 geschätzt. Die Landsitze dienen als Vorzeigeobjekte und sind gleichzeitig geschützte Rückzugsorte für gemeinsame Treffen.
Das wohl größte Projekt in Deutschland ist das »Goldene Grabow« im Landkreis Ostprignitz-Ruppin in Brandenburg. Initiatoren sind das Paar Iris und Markus Krause. 2015 fand auf dem Gelände ein Sommerlager vom Jugendbund Sturmvogel, einer Abspaltung der verbotenen rechtsextremen Wiking-Jugend, statt.4 Weitere Verbindungen ins extrem rechte Milieu wurden nachgewiesen.
Kontakte gibt es auch zum Projekt »Weda Elysia« aus Wienrode in Sachsen-Anhalt. Mit dem Verein »Lindenquell e. V.« konnte Weda Elysia die ehemalige Dorfschänke kaufen und ist mit Sanierungsmaßnahmen beschäftigt, um einen »Ort des Frohsinns mit Kultur und Kunsthandwerk für Jung und Alt« zu schaffen.
Dabei ist die Schaffung eines Kulturortes, auch für die restliche Dorfbevölkerung, Teil ihrer Strategie. So wie auch das Goldene Grabow versuchte, zum Beispiel mit der Organisation eines Erntedankfestes eine aktive Rolle im Dorfleben einzunehmen, so will auch Weda Elysia fester Bestandteil des Dorfes sein. Die Anerkennung der Dorfbewohner*innen soll dabei auch Schutz vor Kritik bieten. Frank Willy Ludwig, der seinen Familienlandsitz im Nordosten von Brandenburg hat und unter dem Label »Urahnerbe Germania« eine Homepage betreibt sowie Vorträge anbietet, beschreibt die Strategie in einem Video von 2017 folgendermaßen:
»Zuerst, gründet etwas Schönes. (…) Das ist wichtig. Weil wenn du dich im Volk beliebt machst, kann kein Politiker, keine dunkle Macht mehr sagen: ›Ey das sind Böse.‹ Dann sagen die, ›na Moment mal, die habe ich doch im Konzert erlebt. Wie können die böse sein, die sind doch toll‹.«
Onlinevernetzung
Während einige Anastasia-Anhänger*innen sich vor allem mit der Gründung ihres eigenen -Familienlandsitzes beschäftigen, fallen andere durch ihren Onlineaktivismus auf. Der Aufbau eines eigenen Familienlandsitzes braucht nicht nur finanzielle Rücklagen, sondern auch einiges an Wissen und Mut. Leichter scheint da der Einstieg in die digitale Welt der Anastasia. Spendenaufrufe, Onlinefragestunden und digitale Kongresse bieten die Möglichkeit, selber aktiv zu werden und sich mit der Gemeinschaft zu verbinden. Für die Anbieter*innen der verschiedenen Telegram- und Youtube-Kanäle bieten sich so einige Gelegenheiten zum Geldverdienen: Auf den Kanälen findet sich nicht nur Werbung für die Hörbücher zu den Anastasia-Büchern oder zu »elysischer« (=himmlischer) Schokolade, sondern auch zu teuren Seminaren zu Selbstfindung und Spiritualität.
Durch die Anastasia-Bücher werden antisemitische und rassistische Positionen verbreitet, es lassen sich personelle und strukturelle Überschneidungen der Anhänger*innen zu verschiedenen rechtsradikalen Milieus nachweisen. Auch wenn die Bewegung auf den ersten Blick friedlich erscheint, darf diese auf keinen Fall unterschätzt werden.
1 Wladimir Megre 2017: Anastasia Band 1. Tochter der Taiga. 13. Taschenbuchauflage, Govinda Verlag, S.104
2 Wladimir Megre 2007: Anastasia Band 8.2. Die Bräuche der Liebe.
Verlag Die Silberschnur, S.145
3 Wladimir Megre 2011: Anastasia Band 6. Das Wissen der Ahnen. Verlag Die Silberschnur, 5. Auflage, S. 174
4 https://www.endstation-rechts.de/news/unter-dem-banner-des-sturmvogels, letzter Aufruf am 14.8.2022
Mehr Infos: anastasia.blackblogs.org