Republik demontiert

geschrieben von Ulrich Schneider

4. September 2022

Teil 1 von 5 der Reihe: Der Weg ins Dritte Reich

Mit dem Sturz der sozialdemokratischen Reichsregierung Müller und der Einsetzung des ersten Präsidialkabinetts unter Heinrich Brüning 1930 begann die Demontage des parlamentarischen Systems der Weimarer Republik. Als der Reichstag den Haushalt 1930 ablehnte, wurde der Haushalt per »Notverordnung zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen« erlassen. Anschließend löste Reichspräsident Paul von Hindenburg – durchaus im Rahmen der Verfassung – den Reichstag auf und ordnete für September 1930 Neuwahlen an. Das Ergebnis war eine massive Verschiebung zugunsten der NSDAP, die über 15 Prozent zulasten der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) und der Deutschen Volkspartei (DVP) hinzugewann und mit 107 Abgeordneten die zweitstärkste Reichstagsfraktion bildete. Zwar besaßen die Rechtsparteien nur knapp ein Drittel der Mandate, sie verkündeten jedoch lautstark einen Machtanspruch der »Nationalen Opposition«.

Während das Brüning-Präsidialkabinett zur Bewältigung der Wirtschaftskrise massive Sparmaßnahmen zulasten der arbeitenden Bevölkerung verkündete, zu denen Lohnabbau, Aufhebung der Tariflöhne, Kürzungen sozialer Hilfen gehörten, proklamierten die Rechtsparteien die Aufkündigung des Versailler Vertrages. Als Machtdemonstration versammelten sich am 11. Oktober 1931 in Bad Harzburg die sogenannte Nationale Opposition aus NSDAP, DNVP, der Militaristenvereinigung »Stahlhelm« und andere nationalistische Gruppen. Mit Aufmärschen der uniformierten Kampfverbände wurde zum Sturz von Reichskanzler Heinrich Brüning und der sozialdemokratischen Regierung in Preußen aufgerufen. Die »Hauptresolu-tion der Harzburger Tagung« verlangte die Einsetzung einer »wirklichen Nationalregierung«. Wie wenig sich die NSDAP jedoch dieser »Gemeinschaft« unterzuordnen gedachte, demonstrierte sie mit einem zweitägigen Marsch von angeblich 100.000 SA-Männern im benachbarten Braunschweig. Adolf Hitler unterstrich hiermit seinen Machtanspruch gegenüber den anderen Rechtsparteien und Gruppen. Auch die Reichspräsidentschaftswahlen vom März 1932 zeigten diesen Konflikt innerhalb des Rechtsblocks, als die NSDAP mit Hitler als Kandidat ihren politischen Führungsanspruch unterstrich.

Im Oktober 2022 erscheint vom Verfasser im PapyRossa-Verlag, Köln ein Band mit mehr als 70 Quellen und Dokumenten unter dem Titel »Der Weg ins Dritte Reich – 1933«. 200 Seiten, 14,90 Euro

Im Oktober 2022 erscheint vom Verfasser im PapyRossa-Verlag, Köln ein Band mit mehr als 70 Quellen und Dokumenten unter dem Titel »Der Weg ins Dritte Reich – 1933«. 200 Seiten, 14,90 Euro

Als Brüning Ende Mai 1932 unter dem Druck der Rechtsparteien zurücktrat, ernannte Reichspräsident von Hindenburg Franz von Papen zum Reichskanzler, der ein »Kabinett der Barone« bildete, das auch von der DNVP unterstützt wurde. Die NSDAP versprach, das Kabinett zu tolerieren, wenn im Gegenzug das Organisations- und Uniformverbot gegen die SA und SS aufgehoben werde. Am 17. Juni 1932 folgte Papen dieser Aufforderung. Gleichzeitig löste Hindenburg den Reichstag auf und setzte Neuwahlen für den 31. Juli an. Die Aufhebung des SS- und SA-Verbots führte zu massiven Auseinandersetzungen im Reichstagswahlkampf. Innerhalb eines Monats gab es 99 Tote und 1.125 Verletzte bei Auseinandersetzungen, die zumeist von Naziformationen gegen Anhänger der Arbeiterparteien provoziert wurden.

Eine der gewalttätigsten Aktionen war der »Altonaer Blutsonntag« vom 17. Juli 1932. Der Altonaer Polizeipräsident hatte einen Aufmarsch der SA durch Altona, das damals zur preußischen Provinz Schleswig-Holstein gehörte (es wurde erst 1937 durch das Groß-Hamburg-Gesetz nach Hamburg eingemeindet), genehmigt. Aus ganz Norddeutschland wurden 7.000 SA-Leute herangekarrt, um das »rote Altona« zu erobern. Bei Protesten gegen diesen Naziaufmarsch wurden 18 Personen erschossen, zwei SA-Leute und 16 protestierende Anwohner. Während die Nazipropaganda Kommunisten verantwortlich machte, weiß man heute gesichert, dass alle Opfer von Polizeikugeln tödlich getroffen wurden.

Dieser Vorfall wurde von der Reichsregierung unter Papen zum Vorwand genommen, um die amtierende preußische Regierung am 20. Juli 1932 durch eine Notverordnung abzusetzen und so innenpolitisch die starke sozialdemokratische Bastion in Preußen zu beseitigen, die seit der Landtagswahl vom 24. April 1932 nicht mehr über eine Mehrheit verfügte. Mit dem sogenannten Preußenschlag wurde die geschäftsführende preußische Regierung unter Otto Braun (SPD) abgesetzt und Franz von Papen zum »Reichskommissar für Preußen« ernannt. Innenminister wurde der Essener Oberbürgermeister Franz Bracht, der eng mit dem Industrieunternehmen Krupp verbunden war. Faktisch wurden damit die Rechte des Parlaments aufgehoben, die Landesregierung entmachtet und die Polizeigewalt durch die Reichsregierung übernommen.

Die KPD rief SPD und Gewerkschaften zum Generalstreik auf, ähnlich wie 1920 gegen den Kapp-Putsch in Berlin. Doch die SPD entschied sich nicht für politische Kampfmaßnahmen, sondern für eine Klage vor dem Staatsgerichtshof. Die Wähler sollten bei der Reichstagswahl am 31. Juli eine politische Antwort zugunsten der SPD geben. Für die Papen-Regierung war es eine Beruhigung, als der Nachrichtendienst am Abend des 20. Juli mitteilte, dass im Ruhrgebiet »vollkommene Ruhe herrsche«. Die Gewerkschaften hätten in ihrer Vorstandssitzung beschlossen, nicht den Generalstreik zu proklamieren, sondern sich erst nach den Wahlen erneut mit der Frage zu beschäftigen. Damit hatten SPD und Gewerkschaften vor diesem Rechtsbruch des Präsidialkabinetts kapituliert.

Der Weg ins »Dritte Reich« begann nicht am 30. Januar 1933 mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler, sondern lange vorher in der Weimarer Zeit, als mit dem Abbau sozialer und politischer Rechte die Voraussetzungen für eine faschistische Krisenlösung geschaffen wurden. In den folgenden fünf Ausgaben der antifa soll an einige dieser Markierungspunkte erinnert werden, Voraussetzungen zur Machteinsetzung und zur Machtetablierung der faschistischen Herrschaft in Deutschland.