Wider die Macht

geschrieben von Gerald Netzl

4. September 2022

Die Kunstsammlung des Dokuarchivs des österreichischen Widerstandes (DÖW)

Seit Februar 2022 und noch bis 15. Januar 2023 zeigt das Haus der Geschichte in der Landeshauptstadt von Niederösterreich St. Pölten mehr als 150 Grafiken, Zeichnungen und Ölgemälde aus der ca. 200 Objekte umfassenden Kunstsammlung des DÖW. Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) mit Sitz in Wien ist eine Stiftung, die gemeinsam von der Republik Österreich, der Stadt Wien und dem Verein Dokumentationsarchiv getragen wird. Es betreibt Informationsarbeit durch Buchveröffentlichungen und im Internet und sammelt, archiviert und wertet Quellen zu folgenden Themen wissenschaftlich aus: Widerstand, Verfolgung und Exil während der Zeit des Nationalsozialismus, NS-Verbrechen, NS- und Nachkriegsjustiz, Rechtsextremismus in Österreich und Deutschland nach 1945, Restitution und Wiedergutmachung von NS-Unrecht.

Einblicke in Schicksale und Lebenswege

Die Exponate der Ausstellung dokumentieren Widerstand, Krieg, Verfolgung und Exil zwischen 1934 und 1945 und ermöglichen in vielen Fällen als persönliche Zeugnisse von Haft und Flucht Einblicke in Schicksale und Lebenswege. Zur beeindruckenden Ausstellung ist ein nicht minder beeindruckender Katalog erschienen.

Katalogseite zu Benedikt Fred Dolbin, der u. a. als Zeichner und Illustrator arbeitete

Katalogseite zu Benedikt Fred Dolbin, der u. a. als Zeichner und Illustrator arbeitete

Die Ausstellung gliedert sich in einen chronologischen und einen thematischen Teil. Im ersten Teil wird anhand beispielhafter Biografien und Kunstwerke von den verschiedenen Formen des Widerstandes berichtet: von den Februarkämpfen 1934 und dem Bürgerkrieg in Spanien über die Résistance in Frankreich, in der zahlreiche ÖsterreicherInnen aktiv waren, bis zum militärischen Widerstand am Ende des Zweiten Weltkrieges. Im zweiten Teil zeigt die Ausstellung, wie die Überlebenden nach 1945 ihre Erinnerungen auf unterschiedliche künstlerische Weise verarbeitet haben. Manche dokumentierten ihre traumatischen Erfahrungen in drastischen Darstellungen, andere verwandelten sie in abstrakte Formen, wiederum andere wollten mit ihren Bildern vor einer Wiederholung der Geschichte warnen.

Heterogene Sammlung

Der umfangreiche Katalog ist im Residenz Verlag erschienen und kostet 28 Euro. Coverbild von Carry Hauser

Der umfangreiche Katalog ist im Residenz Verlag erschienen und kostet 28 Euro. Coverbild von Carry Hauser

Die Kunstsammlung des DÖW ist keine konzipierte, nach definierten Kriterien angelegte Sammlung. Nein, sie zeichnet sich durch Heterogenität aus: Ihre Exponate sind Geschenke von etwa 80 KünstlerInnen und Laien, die sich dem DÖW verbunden fühlten – darunter heute in Vergessenheit geratene ebenso wie namhafte, etwa Oskar Kokoschka, Alfred Hrdlicka, Axl Leskoschek, Trude Waehner, Alfons Walde, Georg Eisler und andere. Ebenfalls Bestandteil der Sammlung sind in situ entstandene Zeugnisse der Haft in Ghettos und Konzentrationslagern. Kunst in diesen prekären Verhältnissen war für viele tatsächlich »Lebens-Mittel«. Für Irritation beim Betrachter sorgt ein Porträt von Major Karl Biedermann in voller Wehrmachtsuniform aus dem Jahr 1943.

Vieles ist verloren gegangen

Im Zuge der Flucht vor der NS-Verfolgung ging ein Großteil der Werke, die von den KünstlerInnen zurückgelassen werden mussten, verloren – die in Wien geborene Malerin und Grafikerin Trude Waehner (1900–1979) war davon gleich zweimal betroffen. Sie wurde in den späten 1920er-Jahren am Bauhaus in Dessau aufgenommen, 1931 zog sie nach Berlin. Ihre antifaschistischen Grafiken machten auch sie zum Ziel nationalsozialistischer Angriffe, so wurde etwa ihr Atelier verwüstet. Nach der NS-Machtübertragung 1933 flüchtete Waehner heim nach Wien, nach der Okkupation Österreichs durch Hitlerdeutschland im März 1938 gelangte sie über die Schweiz, Frankreich und Großbritannien in die USA. Sowohl ihre Berliner als auch ihre Wiener Arbeiten aus den 1930er-Jahren verschwanden.

Auf einem Bildschirm ist ein virtueller Rundgang durch die Ausstellung »Niemals vergessen!« von 1946 möglich, was sicherlich zur Verbreitung beiträgt.

Wir beglückwünschen unseren Autor zur Wahl zum Vorsitzenden des österreichischen Bundes Sozialdemokratischer FreiheitskämpferInnen, Opfer des Faschismus und aktiver AntifaschistInnen im Mai 2022. Mehr zum Verband und dessen Magazin Der Kämpfer: freiheitskaempfer.at