Rechte Subkulturen

geschrieben von Juliet Schnabel

7. November 2022

Grundlagenwissen zum Internetphänomen QAnon

Am 4. Dezember 2016 stürmte ein Mann mit einem Sturmgewehr bewaffnet eine Pizzeria namens »Comet Ping Pong« in Washington, D. C., um entführte Kinder zu befreien, die dort angeblich von Hillary Clinton, Barack Obama, Lady Gaga und deren Kinderhändlerring festgehalten wurden. Weder er noch die später gerufene Polizei fanden die besagten Kinder im Keller, zumal das Gebäude gar keinen Keller hatte.

Von solchen Rückschlägen unbeschadet wurden im Oktober 2017 die ersten Nachrichten auf dem Internetforum »4chan« veröffentlicht, in welchen ein Autor namens Q durch kryptische Nachrichten suggeriert, dass Hillary Clinton, zusammen mit ranghohen Mitgliedern der Demokratischen Partei sowie der sogenannten Küstenelite, Medien und unzähligen Stars und Sternchen aus Hollywood, Teil einer pädophilen Intrige sei, die Kinder zwecks Missbrauchs, Menschenhandels, Bluttrinkens und Ritualmordes entführe. Der damalige US-Präsident Donald Trump wird in dieser Verschwörungserzählung als Held dargestellt, der diese Machenschaften aufdecken wird, dabei aber gegen die Massenmedien kämpfen muss, die mit Falschmeldungen über ihn das Ausmaß der Intrige verschleiern.

Die Macher vom Podcast »QAnon Anonymous«1 vermuten, dass es sich um mehrere Autoren handelt, die das Verschwörungsnarrativ der Kindesmissbrauchsintrige zu einem Zeitpunkt veröffentlichten, als im Trump-Lager zunehmend Frustration darüber aufkam, dass Trumps Wahlversprechen nicht umgesetzt wurden. Mit der Behauptung über einen Kampf im Verborgenen ließen sich diese Anhänger:innen auf eine spätere Erlösung vertrösten.

QAnon hat sich inzwischen als übergeordnete Verschwörungserzählung viele andere Theorien und Erzählungen einverleibt. Manche betreffen die ganze Welt, wie der Glaube, dass die Erde eine Scheibe ist, der Glaube an die Herrschaft von Eidechsenmenschen und Außerirdischen, bis hin zu spezifischeren Narrativen, z. B. dass Trump 2024 mit John F. Kennedy Jr. als Vizepräsident antreten wird – ungeachtet dessen, dass dieser 1999 bei einem Flugzeugabsturz starb.

QAnon hat weltweit in mehr als 70 Staaten Einzug in Politik und Kultur gehalten. Auf das Konto von QAnon-Anhänger:innen gehen mehrere tödliche Anschläge (u. a. Hanau), und es gibt Verbindungen zu Coronaleugner:innen, Impfgegner:innen, Reichsbürger:innen, der AfD und anderen rechten und extrem rechten Gruppen2. Auch bei der versuchten Reichstagsstürmung im August 2020 sowie der Erstürmung des Capitols in den USA im Januar 2021 spielte QAnon eine tragende Rolle. Wer also glaubt, dies sei nur ein US-amerikanisches Problem, verkennt die international vernetzten Kommunikations- und Agitationsformen der Rechten und ignoriert die Anschlussfähigkeit dieser Verschwörungsnarrative an schon lange existierende antisemitische, rassistische, antifeministische und LGBTQIA+-feindliche Ideologien (siehe Spalte).

Bausteine der QAnon Verschwörungen

Im Buch »Pastels and Pedophiles«3 werden vier Bausteine herausgestellt, die häufig in Verschwörungsnarrativen auftauchen. Der erste Baustein ist »Kinder als Beute« und ist ein altbekanntes antisemitisches und antiromanistisches Narrativ, das sich der »Politik des Äußersten« bedient, um heftige emotionale Reaktionen auszulösen. Kinder gelten als wehrlos und unschuldig, und sie verkörpern gleichzeitig als nächste Generation die Zukunft der Gesellschaft. Die antisemitische Ritualmordlegende findet sich im QAnon-Narrativ, Reiche und Mächtige würden Kinderblut trinken, um ewige Jugend zu erhalten, wieder. Oft werden religiöse Komponenten (z. B. satanistische Rituale) mit neuen Verschwörungsmythen verwoben. Gleichzeitig lässt sich mit dem Narrativ »Kinder als Beute« an homophobe Stereotype (schwule Männer betreiben Pädophilie) sowie an eine generelle LGBTQIA+-feindliche Panikmache (»Frühsexualisierung« als gezielte Rekrutierung und »Verqueerung« der Jugend) anschließen.

Der zweite Baustein ist die »ZOG« (zionist occupied government = zionistisch besetzte Regierung): Ein globales Weltjudentum kontrolliert im Geheimen die Medien und Regierungen. Im Fokus stehen jüdische Personen (z. B. George Soros, Mark Zuckerberg), aber auch nichtjüdische, die als »versteckt jüdisch« imaginiert werden (z. B. Bill Gates), sowie internationale Organisationen wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Es gibt auch national begrenzte Variationen der geheimen Elite, z. B. den »Tiefen Staat« (ein geheimes Netzwerk hinter dem eigentlichen Staatsapparat). Dieser Baustein ist in fast allen Verschwörungstheorien anzutreffen, auch wenn meist Codewörter wie »Globalisten«, »Ostküstenelite«, »Rothschilds« und ähnliche benutzt werden.

Der dritte Baustein ist eine gefährliche Substanz oder Technologie, die auf die unwissende Bevölkerung losgelassen wird. Diese Formen waren schon Begründungsnarrative für die Hexenverbrennung und sind sehr lange in antisemitischen Narrativen des »Brunnenvergiftens« präsent. Heute finden sie sich zuhauf im Kontext der Pandemie. So wurde laut dem Wuhan-Labor-Narrativ Covid-19 in einem Labor entwickelt und absichtlich verbreitet, um die Weltbevölkerung zu dezimieren. Der gleiche Vorwurf wurde später gegenüber der Impfung erhoben. Nach Beginn des russischen Angriffskrieges auf die -Ukraine gab es eine Neuauflage des Wuhan-Labor-Narrativs, derzufolge Putin durch die Zerstörung von Biowaffenlaboren in der -Ukraine die nächste Pandemie verhindert habe.

Der vierte Baustein sind hybride Wesen, die die Herrschaft an sich reißen. Sie bestehen aus menschlichen und nichtmenschlichen Komponenten, z. B. als Außerirdische oder Eidechsenmenschen. Früher waren diese Hybriden z. B. Vampire, die als Mischung von Mensch und Fledermaus Blut trinken und damit an die antisemitische Ritualmordlegende Anschluss finden. Heute gibt es innerhalb von QAnon verschiedenste Kombinationen mit anderen Bausteinen, z. B. eine bluttrinkende globale Elite aus Eidechsenmenschen, die in Wirklichkeit unsterbliche Außerirdische sind.

Austauschnarrativ und Antifeminismus

Innerhalb des QAnon-Universums sind nicht alle Verschwörungserzählungen gleichberechtigt. Neben dem Kindesmissbrauchsnarrativ glauben aber die meisten an das Austauschnarrativ. Dieses ist auch bekannt als »Umvolkung«, »Bevölkerungsaustausch«, »Volkstod«, »der Große Austausch« oder »Weißer Genozid«. Der Erzählung zufolge soll die weiße (westliche/christliche) Bevölkerung durch niedrige Geburtenraten und »Mischehen« zunächst ausgedünnt und schließlich durch eine nichtweiße (nahöstliche/andersgläubige) ersetzt werden. Strippenzieher dieses Austausches seien, gemäß dem antisemitischen Verschwörungsbaustein »ZOG«, global agierende jüdische Eliten. Neben den Nichtweißen und den Jud:innen treten Feminist:innen, LGBTQIA+-Personen und Linke als eine geschlossene Gruppe auf, deren Aufgabe es ist, den weißen Mann vor dem kommenden Austausch in seiner Identität zu schwächen, z. B. durch Sensibilisierung, antisexistische Praxen, Aufweichung alter Geschlechternormen und Beziehungsformen sowie eine gezielte Homo-/Transsexualisierung. Diese Schwächung führt dazu, dass weiße Männer einerseits keine weibliche Partnerin zur Fortpflanzung finden und andererseits in einem imaginierten Endkampf gegen eine Invasion der Nichtweißen ihre eigene Rasse nicht mehr verteidigen können. Antifeminismus und LGBTQIA+-Feindlichkeit als dritter Pfeiler des Austauschnarrativs werden oft nur am Rande erwähnt, sind aber ein essentieller Bestandteil, da sie, ähnlich einer modernen Dolchstoßlegende, eine Erklärung dafür liefern, warum sich der angeblich überlegene weiße Mann nicht aus eigener Kraft gegen die angeblich unterlegenen Nichtweißen durchsetzen kann. Das Austauschnarrativ ist somit auch an schon existente Ressentiments innerhalb der Gesellschaft anschlussfähig.

Antifeministische Positionen sind in patriarchalen Gesellschaften logischerweise weit verbreitet. So ist ein familienorientierter Antifeminismus in großen Teilen konservativer und reaktionärer Interessengruppen präsent. Die weiße bürgerliche Kleinfamilie, die auf dem Hetero-Frau/Mann-Beziehungsmodell beruht, gilt in diesen Gruppen als das Ideal, weshalb sie mit Sorge auf Entwicklungen schauen, die mit diesem Ideal konkurrieren, es gefährden oder gar in Frage stellen, sei es durch sinkende Geburtenraten, das Recht auf Schwangerschaftsabbruch und sexuelle Selbstbestimmung oder die rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung von LGBTQIA+-Personen. Dieser familienorientierte Antifeminismus ist oft religiös fundiert, auch wenn nicht notwendigerweise direkte Verbindungen zu kirchlichen Organisationen bestehen.

In diesem Zusammenhang sind auch speziell auf Frauen als Zielgruppe zugeschnittene ästhetische Strategien Schwerpunkte, die unter dem Begriff »Pastel QAnon« zusammengefasst werden, zu beobachten. Hier liegt der Fokus meist auf dem angeblichen Kindesmissbrauch, gegen den auch jenseits der üblichen QAnon-Kanäle mit Slogans wie »Save the children« rekrutiert wird. »Save the children« war vorher eine durchaus legitime Bewegung, die von QAnon gekapert wurde und in deren Namen so viele schädliche Falschinformationen verbreitet wurden, dass inzwischen mehrere Kinderschutzorganisationen davor warnen.

Geteilter Frauenhass: Die Manosphere

Die antifeministische Grundhaltung bildet das Fundament, auf dem die sogenannte Manosphere, ein loses Netzwerk von organisierten Antifeminist:innen im Internet, aufbaut. In Foren, auf Blogs, in Videos und Podcasts tritt ein breites Spektrum von Pseudointellektuellen, Verführungsprofis und aufmerksamkeitssuchenden Extremisten (sogenannte Edgelords) auf, zu dem auch die Überreste der atheistischen Skeptizismusbewegung gehören. Das Scheitern am ausbeuterischen Spätkapitalismus wird in diesen Foren als ein besonderer Verrat wahrgenommen. Denn aufgrund ihrer privilegierten Anspruchshaltung denken sie, ihnen stünden Macht und Erfolg mehr zu als den ihnen untergeordneten Gruppen (wie Frauen, Nichtweißen usw.). Die Nichterfüllung des kapitalistischen Heilversprechens, gepaart mit diesem Allherrschafts-Männlichkeitsideal, führt zu zerstörerischen Rachefantasien gegenüber der Welt, die ihnen anscheinend einen Sinn des Lebens verweigert.

Der Hass auf die Welt äußert sich in immer drastischeren Thesen und Argumenten, die nicht als Radikalisierung, sondern als aufklärerischer Skeptizismus gerechtfertigt werden. Versteckt in Humor und Sarkasmus wird die eigene Radikalität verharmlost, wohl wissend, dass das Publikum dadurch immer empfänglicher wird für Hass und Gewalt.

Neben bereits länger bestehenden Gruppen wie der Männer- und Väterrechtsbewegung fallen in der antifeministischen Manosphere vor allem drei Untergruppen auf: Incels (»involuntary celibate: unfreiwillig zölibatär«, meist Männer, die eine Partnerin wollen, aber nicht bekommen), PUA (»Pick-up-Artists: Verführungskünstler«, Männer, die behaupten, mit speziellen Methoden Frauen massenweise verführen zu können) und MGTOW (»Men going their own way: Männer gehen ihren eigenen Weg«, Männer, die sich ein Zusammenleben mit Frauen nicht mehr vorstellen können und sich daher in reine Männergesellschaften abspalten).

Alle Gruppen definieren sich über ihr Verhältnis zu Frauen, und (abgesehen von MGTOW) ist Sex mit Frauen primäres Ziel (PUA) oder Frustration (Incels). Gleichzeitig sind ihre szeneeigenen Begriffe und Beschreibungen von Sex und Körpern (inklusive ihrer eigenen Körper) gruppenübergreifend nicht nur brutal und mechanisch, sondern vor allem geprägt von Ekel und Verachtung. Auch gibt es oft Überläufer zwischen den Gruppen; aus gescheiterten PUAs werden oft Incels, und manche Incels geben die Frauensuche vollständig auf und schließen sich den seperatistischen MGTOW an. Vor allem die PUA-Szene bietet ihren Gurus vielfältige Möglichkeiten, aus dem Elend ihres Publikums Kapital zu schlagen, sei es mit überteuerten Männlichkeitsworkshops oder Protein-Wunderpillen.

Obwohl sie also oberflächlich gegensätzliche Ziele und Probleme haben (Incels und PUA wollen Frauen, aber MGTOW nicht, und PUA bekommen Frauen, aber Incels nicht), sind ihre Selbstbeschreibungen lediglich Variationen eines geteilten Frauenhasses, welcher identisch ist mit dem antifeministischen Pfeiler des Austauschnarrativs. Auch wenn antifeministische Gruppen ihren Hass zunächst auf Frauen fokussieren, ist eine LGBTQIA+- Feindlichkeit immer implizit, denn Antifeminismus ist ideologisch geprägt von einer konservativen Vorstellung von Männlichkeit, die sich durch die Vormachtstellung gegenüber der Frau definiert und alle Abweichungen verbietet. Beim nächsten Attentat eines Incels täten daher progressive Kräfte sicherlich gut daran, diese Taten in ihrem antifeministischen Kontext zu beschreiben, und nicht als Verzweiflungstat eines vereinsamten Mannes.

Die Überschneidungen zwischen antifeministischen Grundlagen und dem Austauschnarrativ sind nicht nur ideologisch, sondern auch personell unbestreitbar. Bei Attentaten, die vor allem als rassistisch wahrgenommen wurden (Oslo 2011, Christchurch 2019), spielten antifeministische Ideologiefragmente eine Rolle. Umgekehrt finden sich z. B. im Manifest des Incel-Attentäters von Isla Vista (2014) Verweise auf das Austauschnarrativ. Es gibt eine so gehäufte Rekrutierung von Incels in die extreme Rechte, dass dieses Phänomen inzwischen in den USA als »Incel-Altright-Pipeline« beschrieben wird. Es wird entlang schon vertrauter Ideologiefragmente rekrutiert und radikalisiert. So lamentieren Incels oft, dass sie vor allem Probleme bei der Partnerinnensuche haben, da sie nicht den gängigen Schönheitsidealen für Männer entsprechen. Diese Minderwertigkeit wird als genetisch und damit als unabänderbar dargestellt und oft anhand von Schädelformen veranschaulicht. Incels betreiben so eine Art Eugenik gegen sich selbst und bauen sich ein bipolares Weltbild, das nicht nur eine unüberwindbare Grenze zwischen Männern und Frauen zieht, sondern auch alle Männer aufteilt in Alphas und Betas, in genetische Gewinner und Verlierer. In diesem Fatalismus, der sich in Selbsthass äußert, sind Kernelemente rechter und faschistischer Ideologien verankert, auf die rechte Gruppen dankbar zurückgreifen können.

Auch abseits dieser Überschneidungen mit anderen Verschwörungsmythen besteht ein direkter Zusammenhang zwischen Frauenhass und den Gewaltexzessen sogenannter Einzeltäter. In den USA besteht bei zwei Dritteln der Massenschießereien ein Hintergrund von häuslicher Gewalt, und wenn es diesen Hintergrund gibt, ist die Zahl der Todesopfer oft höher. Dieser Zusammenhang hat es inzwischen in die Diskussion um die Waffengesetze geschafft. In Fällen häuslicher Gewalt soll der Waffenbesitz und Waffenerwerb verboten oder zumindest erschwert werden.

Soziale Seuchen

Auch die erwähnte LGBTQIA+-Feindlichkeit ist keine Nebensache, was die vermehrten Angriffe auf Pride/CSD-Paraden und z. B. Bücherverbote in den USA zeigen. In einer Art Neuauflage der »Satanic Panic« (christliche Moralpanik) aus den Achtziger- und Neunziger-Jahren warnen Anhänger:innen von Verschwörungsnarrativen vor einer Epidemie der »Groomer«, also Pädophiler, die durch eine sogenannte Frühsexualisierung Kinder manipulieren und für sexuellen Missbrauch vorbereiten wollen bzw. Kinder durch die bloße Thematisierung von Geschlechtsidentität in die Transgeschlechtlichkeit rekrutieren wollen. Dabei werden »Groomer«-Vorwürfe gegen Menschen erhoben, die entweder lediglich als LGBTQIA+-Personen in der Öffentlichkeit präsent sind, oder LGBTQIA+-Jugendliche in ihrer Identitätsfindung unterstützen und vor Diskriminierung schützen wollen.

Sowohl rassismuskritische als auch LGBTQIA+-freundliche Inhalte an Schulen und in den Mainstreammedien werden als soziale Seuche dargestellt, die sich in den Köpfen und den Körpern der Bevölkerung unkontrolliert ausbreitet und sie in den Untergang treibt. Der Fokus ist dabei meist auf die Kinder gerichtet, die von Ärzt:innen, Politiker:innen und Sozialarbeiter:innen durch Gehirnwäsche, Medikamente und Operationen für die LGBTQIA+-Legionen rekrutiert werden sollen. Dieselben Gruppen, die gegen die Thematisierung der Sklaverei in Schulen protestiert haben, sprangen nur Monate später auf den Anti-»Groomer«-Zug auf, was die Verwobenheit von hegemonialem Weißsein und Patriarchat noch einmal verdeutlicht.

Bei all dem geht es keineswegs um das Kindeswohl, sondern um die Unterdrückung von LBGTQIA+-Personen, inklusive Kindern und Jugendlichen. Zahllose Studien haben bestätigt, dass unter anderem gesellschaftliche Akzeptanz, Repräsentation in Kultur und Medien, Zugang zu Beratungsangeboten und eine genderbestätigende medizinische Versorgung bei LGBTQIA+-Kindern und Jugendlichen zu einer signifikanten Verbesserung der seelischen Gesundheit führen. Wer diese Angebote verhindern will, nimmt das seelische Elend und oft genug den Tod dieser Kinder und Jugendlichen in Kauf.

Was tun?

Der erste Schritt in der Auseinandersetzung mit -QAnon und Co. ist ein Ende der Verharmlosung solcher digitalen Subkulturen. QAnon sind nicht nur ein paar Spinner am Rande der Gesellschaft. Das Fokussieren auf die irrationalen Elemente im Kern der Narrative (z. B. Echsenmenschen) blendet aus, dass ein Großteil der Rekrutierung an der Peripherie der Erzählungen geschieht. Viele Menschen teilen sicherlich nicht alle Verrücktheiten von QAnon, aber unter anderen Namen finden sich Bruchstücke von Verschwörungsmythen in breiten Teilen der Gesellschaft wieder. Sich darüber lustig zu machen verdeckt diese breite Akzeptanz. Zudem: Auch kleine, verrückte Gruppen können viel Schaden anrichten, z. B. durch Anschläge, die hauptsächlich marginalisierte Gruppen treffen. Daher ist eine grundsätzliche Solidarisierung mit den betroffenen Gruppen antifaschistische Pflicht. Dies heißt auch, sich von dem Narrativ der »spalterischen Identitätspolitik« zu verabschieden und marginalisierte Gruppen nicht mit der nie enden wollenden Diskussion über Haupt- und Nebenwidersprüche im Kapitalismus anzuöden. Kämpfe um Befreiung von der patriarchalen Norm, Kämpfe um Repräsentation in politischen und kulturellen Arenen sind keine Nebenwidersprüche, sondern Kern einer gerechten Welt.

Grundlegend ist auch, die Radikalisierungsstufen zu erkennen. In der Analyse darf man sich nicht von einem höflichen Ton oder respektablem Auftreten fehlleiten lassen. Die zugrunde liegende Ideologie muss jenseits aller Verschleierungsmethoden freigelegt werden, um zu verstehen, was die konkreten Anliegen sind und mit welchen Mitteln sie gedenken, diese umzusetzen. Die Rolle, die eher moderate Vertreter:innen von Verschwörungsnarrativen spielen, darf auch hier nicht unterschätzt werden. Oft ebnen sie den Weg der Radikalisierung, indem sie ein zivilbürgerliches Publikum ansprechen. Wer sie analysieren und aufklären will, muss das in diesen Zeiten sehr schnell tun. Allein im Jahr 2022 wechselten sich mehrere QAnon-inspirierte Verschwörungsmythen hierzulande ab. Nach dem Wegfall der meisten Infektionsschutzmaßnahmen im Frühjahr sprangen viele Corona-Leugner:innen dankbar auf die Thematik des russischen Angriffskrieges auf. Sie verbreiteten u. a. eine ukrainische Version der Kindesmissbrauchsintrige, nach der Putin die -Ukraine in Wirklichkeit angreift, um entführte Kinder aus der Sexsklaverei zu befreien. Zugleich wurde sowohl in den westlichen Foren als auch im russischen Staatsfernsehen das »Gayropa«-Narrativ verbreitet, welchem zufolge Europa einer »Verschwulung« bzw. »Vertransung« zum Opfer gefallen sei, die sich nun als soziale Seuche mit Wolodymyr Selenskyj an der Spitze immer weiter ausbreite. Während des Sommers gewann im Umfeld von Pride/CSD-Veranstaltungen das »Groomer«-Narrativ Aufwind, und seit Herbst ist die Bewegung aktiv in den Protesten gegen steigende Energiekosten und Sanktionen gegen Russland, um zu rekrutieren. Ein zukünftiges Thema könnten Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels sein. Es braucht daher Strategien der Aufklärung, die sich daran anpassen. Dies beinhaltet Kommunikationsformen und Medien, die schnell und unaufwendig aktualisierbar sind und gleichzeitig von Leuten aus verschiedenen Generationen und mit verschiedenen Bildungshintergründen nutzbar sind. Eine antifaschistische Bildungsarbeit muss es leisten, dass sowohl die Codes, die Bausteine, die Methoden und die Hauptakteure dieser Narrative bekannt sind. Um auch unbekannte Narrative als solche entlarven zu können, braucht es in der Analyse weniger zeitraubende wissenschaftliche Strenge und mehr assoziative Herangehensweisen, die dem Gegenstand gerecht werden.

Auch wenn beim Sperren und Löschen in den sozialen Medien die verschwörungsnarrativen Inhalte oft neue Wege finden, hilft Deplatforming dabei, die schiere Masse an Fehlinformationen und Ressentiments zumindest einzudämmen. Hinzu kommt, dass durch Deplatforming weniger Geld in die Taschen der Hauptakteure fließt, die diese Inhalte oft auch aus einem finanziellen Interesse verbreiten. Dies geschieht z. B. durch das Sperren von monetarisierten Videos, dem Unterbinden des Verkaufs von Fanartikeln oder der Behinderung der Verbreitung von Spendenaufrufen. Auch ist eine genauere Aufklärung darüber nötig, welche Geldgeber:innen hinter bestimmten Persönlichkeiten stehen.

Gesamtgesellschaftliche Krisen, ob Pandemie, Klimawandel, Krieg oder Inflation, sowie die inhärente Krisenhaftigkeit des Kapitalismus treiben oft die Anhänger:innenzahlen von Verschwörungsnarrativen in die Höhe, lassen sich jedoch nicht so ohne weiteres abschalten. Auch wenn die Lösung dieser Probleme massive gesellschaftliche Umwälzungen voraussetzt, sollten sie im Großen wie im Kleinen angegangen werden, um das Leben aller zu verbessern.

Wir sollten uns nichts vormachen: Aussteiger:innen, die aus diesen Subkulturen raus wollen, benötigen Beratungsangebote und Unterstützungsgruppen sowie die Möglichkeit, zerstörte Kontakte wieder aufzubauen und ihren Weg aus der Isolation zurück in die Gesellschaft zu finden. Je nachdem, wie weit die Radikalisierung fortgeschritten ist, sind Fakten oft nicht der Weg zum Ziel. Die Bedürfnisse, die das Narrativ erfüllt, sind oft emotionaler oder spiritueller Natur und müssen dementsprechend adressiert werden. Vor diesen Personen und deren Umfeld liegt, ähnlich wie beim Ausstieg aus Sekten oder bei der Überwindung einer Suchtkrankheit, ein steiniger Weg ohne Erfolgsgarantien.

Die Autorin ist Mitglied in der Berliner VVN-BdA und in der Erwachsenenbildung tätig.

Spätestens seit den rassistischen Anschlägen von Halle und Hanau, bei denen vermeintliche Einzeltäter mordeten, die sich im Internet radikalisiert hatten, stellt man sich auch hierzulande die Frage, woher diese Radikalisierung eigentlich kommt und wie wir ihr begegnen. Wir wollen mit diesem Spezial versuchen, dem Verstehen näher zu kommen.

Der Begriff QAnon wird oft für drei Dinge gleichermaßen verwendet: den Autor der Nachrichtenfragmente auf 4chan (sogenannte QDrops), das Narrativ der Kindesmissbrauchsintrige und das mittlerweile viel größere Universum der kleinen und großen Verschwörungstheorien, die mit integriert wurden.

Unter dem Begriff Pizzagate machten im US-Wahlkampf 2016 Fakenews auf 4chan und Reddit die Runde, die auch auf promimente Mitglieder der Demokratischen Partei abzielten. Den Verschwörungserzählungen zufolge agierte im Restaurant »Comet Ping Pong« in Washington, D.C. ein Netzwerk, das dorthin Kinder entführe sowie sexualisierte Gewalt an ihnen verübe.

LGBTQIA+ steht für lesbische, schwule, bisexuelle, transgeschlechtliche/Transgender-, queere, inter– und asexuelle Menschen

1 Podcast unter qanonanonymous.com

2 CeMAS Studie: Q Vadis? (2022)

3 Pastels and Pedophiles: Inside the Mind of QAnon (2021)

Weiterführende Literatur:

Veronika Kracher:Incels. Ventil Verlag, Mainz 2020

Andreas Kemper (Hg.):. Die Maskulinisten. Unrast-Verlag, Münster 2012

Simon Strick: Rechte Gefühle.transcript Verlag, Bielefeld 2021

Täter von Anschlag in Bratislava auch durch QAnon radikalisiert

Bei einem von einem 19-Jährigen am 12. Oktober in Bratislava verübten Anschlag auf Besucher:innen der queeren Bar »Tepláreň« sind zwei Menschen erschossen worden, eine Kellnerin wurde schwer verletzt. Der Schütze Juraj Krajčík ist Sohn eines Politikers der rechten slowakischen Partei »Vlast« (»Heimat«), dem vermutlich auch die Tatwaffe gehört. Der Täter tötete sich nach dem Anschlag selbst. Er soll sich u. a. durch Websites von QAnon, Imageboards wie 4chan sowie 8chan, in Telegram-Gruppen und durch Schriften von White Supremacists radikalisiert haben. Zudem bekannte er sich zu Donald Trump und Alt-Right.

Unmittelbar vor dem Anschlag hatte Krajčík auf Twitter ein 65-seitiges Manifest veröffentlicht, in dem gegen Jüdinnen und Juden sowie -LGBTQIA+ gehetzt und diese als »Feinde der weißen Rasse« ausgemacht werden. Bereits seit August 2022 waren auf seinem Twitter-Account Hinweise zu finden, die auf eine längere Vorbereitung der Tat schließen lassen. Unmittelbar nach dem Anschlag bekannte sich Krajčík zum Terrorakt und rechtfertigte sein Handeln. Am 14. Oktober gingen in Bratislavas Altstadt 15.000 Menschen in Solidarität mit den Opfern und der LGBTQIA+-Bewegung auf die Straße.

In dem Manifest habe Krajčík laut Anti-Defamation League (ADL) unter anderem propagiert, dass Jüdinnen und Juden eine Kampagne inszenieren würden, um weiße Menschen durch People of Color zu »ersetzen«. ADL zufolge reihe das Manifest und sein Inhalt das Verbrechen in Bratislava in eine immer länger werdende Liste von Anschlägen ein, bei denen extrem rechte Täter einem ähnlichen Schema folgten. Als Beispiele sind u. a. Anschläge auf Besucher:innen einer Synagoge in Pittsburgh 2018 mit elf Toten, auf eine Moschee im neuseeländischen Christchurch 2019 mit 51 Todesopfern und in einem Walmart in Texas 2019 mit 22 Toten genannt; letzterer hatte sich gegen die hispanische Community gerichtet. Zudem wird der Mord an elf schwarzen Kund:innen eines Supermarkts in New York Anfang 2022 genannt.                         Andreas Siegmund-Schultze