Der schwarze Oktober
8. November 2022
Die AfD baut darauf, Nutznießerin des brennenden Herbstes zu werden – mit Erfolg
Der Oktober 2022 ist der schwarze Oktober des Antifaschismus, denn in ihm hat sich der Weg der AfD entschieden und zugleich ihr neuer Aufschwung begonnen.
Seit Februar spielen äußere Faktoren der extremen Rechten insgesamt, insbesondere aber der AfD massiv in die Hände. Der russische Angriffskrieg und die sich daraus ergebende Kette ökonomischer, sozialer und politischer Verwerfungen sind ein Gottesgeschenk für deutsche Neofaschist*innen. Sie umarmen deshalb die »Krise« und suchen danach, sie in den Köpfen zu verstärken oder sogar erst zu erzeugen. Die AfD baut darauf, die Nutznießerin des brennenden Herbstes zu werden, egal, wer die Flammen mit welchem Ziel angefacht hat.
Bereits Macht, wenn der Widerstand fehlt
Die AfD übt nicht erst Macht aus, wenn sie 50 plus X Prozent bei Wahlen erzielt, sondern wenn es keinen organisierten Widerstand gegen sie mehr gibt und daraufhin die konformistische Mitte kollabiert. Beobachten kann man dies bereits in besorgniserregend vielen Orten in den neuen Bundesländern. Den wieder aufgelegten »Montags-Spaziergängen« in Form von vorgeblichen »Friedens- und Sozialprotesten« wird kaum noch etwas entgegengesetzt.
In der AfD hat sich eine klare Pro-Putin-Position zum -Ukrainekrieg durchgesetzt. Historisch gesehen ist dies der Punkt, an dem sich die AfD deutlich vom Hitlerismus unterscheidet. Hitler hatte Mitte der 1920er-Jahre in einem erbitterten Machtkampf innerhalb und außerhalb der NSDAP die Kolonisierung der Sowjetunion als außenpolitisches Hauptziel durchgesetzt. Darin war er so erfolgreich, dass völlig in Vergessenheit geraten ist, dass es im rechten Milieu der Weimarer Republik eine starke Strömung gab, die im »Westen« den Hauptfeind sah, deshalb auf ein wie auch immer geartetes Bündnis mit Russland setzte und dies in eine Geschichte der verwandten »Volksseelen« verpackte. Den damaligen sowjetischen Charakter Russlands erklärte man zu einer vernachlässigbaren Frage, bei den »Nationalbolschewisten« den Stalinismus sogar zum Vorbild einer militarisierten Arbeitsdiktatur. An die Ideologen dieser Linie – vor allem Arthur Moeller van den Bruck und Ernst Niekisch – knüpft insbesondere Björn Höcke inhaltlich an.
Die AfD interpretiert die russische Quasi-Diktatur innenpolitisch als Vorbild und außenpolitisch als zentralen Verbündeten im Kampf um die deutsche Vorherrschaft. Damit will sie in drei -Milieus ausgreifen: das verschwörungsideologische der Corona-Leugner, das antiimperialistische der Traditionslinken und das soziale Milieu kleiner Unternehmer*innen und Handwerker*innen.
Drei katastrophale Ereignisse machen das Besondere des Oktobers aus. Am 8. des Monats gelang es der AfD, einen nahezu reinen Naziaufmarsch mit 10.000 Teilnehmer*innen durchs Berliner Regierungsviertel durchzuführen. Die ideelle Gesamt-Antifa brachte keine 2.000 Gegendemonstrant*innen zusammen, was der Polizei ermöglichte, die AfD zu bevorzugen und die Antifa übelst zu schikanieren.
10,9 Prozent für AfD bei Wahl in Niedersachsen
Einen Tag später erreichte die AfD bei den niedersächsischen Landtagswahlen mit 10,9 Prozent nicht nur viel mehr Stimmen als bei der vorherigen Wahl, sondern wahrscheinlich die Trendwende nach mehreren Niederlagen. Ihr konsequenter Angstwahlkampf führte zum Erfolg.
Das größte Menetekel stand aber bereits am 3. Oktober an der Wand. Höcke hielt in Gera vor 10.000 enthusiasmierten Teilnehmer*innen eine nationalsozialistische Grundsatzrede (siehe Spalte). Mit ihr hat er seinen Herrschaftsanspruch innerhalb wie außerhalb der Partei unmissverständlich deutlich gemacht, und es gibt keinen Anlass mehr, daran zu zweifeln, dass er der Führer dieser Partei werden wird. Festzuhalten ist, dass Höcke nicht einfach nur extrem rechts, sondern dass er ein tatsächlich nationalsozialistischer Politiker ist, der allerdings außenpolitisch an den unterlegenen Flügel der NSDAP der 1920er-Jahre anknüpft.
Meisterwerk des Bösen
Die Rede war ein Meisterwerk des Bösen. Er trieb seine Zuhörer*innen immer tiefer in ihre Ängste, verband Halbwahrheiten und unterkomplexe Argumentationen mit Codeworten und codierten Auslassungen, »weihte« seine Zuhörer*innen in sein »Wissen« ein und bereitete sie auf kommende extreme Maßnahmen vor. Das alles wohlgemerkt vor 10.000 Zuhörern*innen in einer 90.000-Einwohner-Stadt, die begeistert deutsche, sächsische, reichsdeutsche, russische und aus alledem zusammengemischte Fahnen schwenkten.
Es gibt nicht viele Organisationszusammenhänge, die sich dieser Entwicklung bundesweit organisiert, mit den richtigen Mitteln und vor allem inhaltlich klar und entschieden auf allen Ebenen entgegenwerfen. Die VVN-BdA und das maßgeblich von ihr getragene Bündnis »Aufstehen gegen Rassismus« haben all dies, aber eines noch nicht: genug Menschen und genug Geld. Macht mit!
Aller Verpackungen entkleidet sagte Björn Höcke am 3. Oktober in Gera Folgendes: Die Juden beherrschten die USA und seien schuld am Ersten Weltkrieg, am Zweiten Weltkrieg, an aller Gewalt des 20. Jahrhunderts und am jetzigen Krieg in der -Ukraine. Die armen Deutschen würden immer wieder dazu getrieben, gegen Russland in den Krieg zu ziehen, obwohl sie das nie gewollt hätten. Die Juden wollten durch die Amerikaner alle Völker mittels ihres »Regenbogenimperiums« auslöschen, insbesondere aber das deutsche, das etwas ganz Besonderes sei. Dagegen dürfe und müsse man sich mit allen Mitteln verteidigen, sonst drohe der Volkstod. Das deutsche und das russische Volk seien »seelisch verwandt«. Wenn die Deutschen aber erst einmal mit Russland zusammengingen, könnten wir endlich an »unser grandioses historisches Erbe« anknüpfen und die neue »deutsche Freiheit« anbrechen lassen.