Faschismus und Antifaschismus

8. November 2022

Von Mari Franceschini, Vizepräsidentin der Associazione Nazionale Partigiani d’Italia (ANPI)

Wenn wir über Faschismus sprechen, müssen wir den Gebrauch und die Bedeutung, die wir diesem Wort heute geben, verstehen. Für mich ist Faschismus aktuell alles, was in Taten, Worten und Theorien die Verwirklichung und die Weiterentwicklung der Demokratie und den Ausbau einer gerechten Gesellschaft angreift und verhindert. Antifaschismus bedeutet für mich heute, sich dafür einzusetzen, dass die Geschichte und die Erinnerung an die Barbarei, die faschistische Regierungen begangen haben, nicht vergessen werden. Die Erinnerung daran, wozu Menschen gegenüber anderen Menschen fähig waren und sind, ganze Generationen in grausame und sinnlose Kriege zu ziehen, dass sie fähig waren und sind, zu foltern, zu deportieren und die vielen Gräueltaten in ungeahntem Ausmaß zu begehen.

Antifaschismus bedeutet für mich, eine Kultur des Friedens zu pflegen, es bedeutet, in der Gesellschaft die Fähigkeit zu entwickeln, die Gefährlichkeit der Keime des alten und neuen Faschismus frühzeitig zu erkennen. Anfänge, die weit über das Auftreten bestimmter Gruppen wie Casa Pound usw. hinausgehen, die sicherlich scharf angeprangert werden müssen, ebenso wie rassistische und homophobe Positionen, die in Wirklichkeit zu Hass und Gewalt aufstacheln, aufgezeigt werden müssen, indem die bestehenden Gesetze strikt durchgesetzt werden müssen. Die Verantwortlichen müssen aufgefordert werden, nicht so zu tun, als könnten neofaschistische Äußerungen dadurch legitim sein, dass wir in einer Demokratie leben und jeder das Recht hat, sich zu äußern. Genauso wie wir bereit sein müssen, deutlich zu verurteilen, müssen wir offen sein für die Auseinandersetzung mit anderen Positionen und dürfen Phänomene nicht abtun, bevor wir sie untersucht und verstanden haben.

Antifaschismus bedeutet, die tausend Gesichter, die der Faschismus annehmen kann, zu erkennen und zu entlarven, wie zum Beispiel:

  • Krieg und die vielen sogenannten lokalen Kriege, die so zahlreich und komplex sind, dass wir das Gefühl haben, in einem Weltkrieg zu leben, der zusammen mit Hunger und Ungerechtigkeiten zu einem biblischen Exodus verzweifelter Völker führt;
  • die ungeregelte Globalisierung, die Rückkehr des Stacheldrahts an den Grenzen in Europa, das sich selbst als demokratisch bezeichnet, die grassierende soziale Ungerechtigkeit, die Wohltätigkeit als Antwort auf den Anspruch umgesetzter Grundrechte, die zunehmende Schwierigkeit des Zugangs zur Arbeit und der zunehmende Mangel an Würde der Arbeit selbst;
  • die zunehmende Erschwerung des Zugangs zu Kultur, Gesundheitsfürsorge, Schutz der Kindheit und des Alters.

All dem können und müssen wir Antifaschismus entgegensetzen.

Antifaschismus ist ein zeitloser, immer und in jedem Fall gültiger Wert, der einer ebenso zeitlosen Gefahr der Errichtung nationalistischer und chauvinistischer Regime mit der daraus folgenden Zerstörung der Demokratie entgegensteht.

Ich glaube, dass von Verbänden wie der ANPI und der FIR das Engagement erwartet wird, das Ideal der Einheit zu verfolgen, einen Zusammenschluss antifaschistischer Kräfte für den Aufbau einer Gesellschaft, die die Verneinung des Faschismus ist, und zwar von jeder Form des Wiederentstehens, von der schärfsten und direktesten bis zur hinterhältigsten und weichsten.

Antifaschistisches Denken zielt auf eine gerechtere, freiere Gesellschaft ab, in der alle Menschen ihre Fähigkeiten und Visionen aufbauen und zum Ausdruck bringen können.

Die Errungenschaften des europäischen Widerstands während des Kampfes um die Befreiung von der faschistischen Barbarei zu verteidigen, ohne sich dahinter zu verschanzen, sondern mit einem konstruktiven und inklusiven Geist, bedeutet heute, die Fähigkeit zu haben, sich den Herausforderungen der Gegenwart in ihrer Komplexität bewusst zu stellen, ohne Vereinfachungen aus Bequemlichkeit, ohne das Wissen und die Möglichkeiten zu reduzieren und abzuschneiden.

Sie zu verteidigen bedeutet, weiterhin darauf zu vertrauen, dass wir eine Gesellschaft erreichen können, die zu Solidarität, Gerechtigkeit und einer humanen politischen und wirtschaftlichen Ethik fähig ist. Sie zu verteidigen, bedeutet, einen positiven Blick auf die Gegenwart und auf die Zukunft zu werfen, was uns heute fast vollständig verwehrt wird. Sie zu verteidigen bedeutet, die Fähigkeit wiederzuerlangen, von Utopien und neuen -Visionen zu träumen, die in der Lage sind, Projekte zu unterstützen, die nicht nur gruppenbezogen sind, sondern eine gesellschaftliche Perspektive haben.

Die FIR muss und kann eine wertvolle Kulturschmiede sein und das große und einladende Zuhause für alle aufrichtigen Antifaschisten und die Erbauer einer neuen internationalistischen Menschheit.

Übersetzung aus dem Italienischen: Redaktion