Umgang mit NS-Mördern

geschrieben von Regina Girod

7. Januar 2023

Ein Fundstück aus dem Archiv der VVN-BdA

Zu den größten und wichtigsten Aktenbeständen des Bundesarchivs der VVN gehören die sogenannten Täterakten, die vom Referat NS-Verbrechen beim Präsidium der VVN angelegt und geführt wurden. Sie enthalten alphabetisch geordnet rund 6.500 Namen von deutschen NS- und Kriegsverbrechern. Zu manchen Personen existiert nur ein Blatt mit Angaben, die von Überlebenden gemacht wurden, es gibt aber auch dicke Akten, die jahrelange Kämpfe dokumentieren, mit denen die VVN die Strafverfolgung von NS-Tätern angeregt und begleitet hat. Das Studium dieser Akten ist bis heute sehr belastend. Die Dokumentation ungeheurer Gräueltaten wird ad absurdum geführt von Gerichtsprozessen, die oft genug mit Freisprüchen oder der Einstellung der Verfahren endeten. Sie belegen juristische Einschätzungen, dass die BRD bis in die 1980er-Jahre ein »Unrechtsstaat« war, der die juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen systematisch behindert hat.

Herausgegriffen aus dem Bestand mit dem Buchstaben M hier die Akte von Bruno Wilhelm Meiert, das erste Blatt, ein standardisiertes Datenblatt, enthält Angaben zu seiner Person: geboren am 4. März 1917, Mitglied der SS, beteiligt an der Erschießung von Juden in Lublin, zum Zeitpunkt des Anlegens der Akte tätig als Polizeioffizier in Schleswig-Holstein. Am 22. Juni 1961 wurde Meiert auf Anordnung des Amtsgerichts Wiesbaden unter dem Tatvorwurf der massenhaften Ermordung von Juden in Polen verhaftet, das Innenministerium in Kiel suspendierte ihn vom Dienst und leitete ein Disziplinarverfahren gegen ihn ein. Am Ende der Akte findet sich die Auskunft, dass er nach zweieinhalb Jahren Untersuchungshaft freikam und bis zum Gerichtsprozess 1970 als suspendierter Beamter die Hälfte seiner Bezüge erhielt.

Die Akte von Bruno Wilhelm Meiert

Die Akte von Bruno Wilhelm Meiert

Ein großer Teil der Akte Meiert besteht aus Korrespondenzen zwischen dem Oberstaatsanwalt beim Landgericht Wiesbaden, der die Untersuchung gegen Meiert und acht weitere Beschuldigte führte, und Mitarbeitern des Referats NS-Verbrechen der VVN, die sich nach dem Stand des Verfahrens erkundigten, Informationen über Mordaktionen und mögliche Zeugen übermittelten und immer wieder darauf drängten, dass es endlich zur Anklageerhebung kommt. In den zehn Jahren, die die Ermittlungen dauerten, starb einer der Beschuldigten, gegen zwei weitere wurde das Verfahren eingestellt, schließlich wurden 1970 – 25 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs – fünf Naziverbrecher wegen gemeinschaftlich begangenen Mordes an mindestens 64.826 Juden angeklagt.

Meiert, SS-Obersturmführer, war der jüngste der Angeklagten. Von 1940 bis 1942 kommandierte er in Zamość einen bodenständigen Reiterzug der Polizei, der unmittelbar in Deportationen und Erschießungen eingebunden war. Der Prozess selbst wird in der Akte anhand von Zeitungsausschnitten aus der regionalen Presse und aus Die Tat dokumentiert. Nach deren Angaben handelte es sich um den größten Prozess in der Wiesbadener Justizgeschichte, er wurde für mehrere Monate terminiert, allein 248 Zeugen waren geladen. Die Anklageschrift warf Meierts Einheit unter anderem vor: »89 Juden wurden in ihren Wohnungen und mindestens weitere 80 auf der Straße während des Zusammentreibens der Juden und auf dem Marsch zur Verladerampe erschossen. Die Leichen dieser 80 Menschen wurden gesammelt, zu den Lebenden in die Waggons gepfercht und mit nach Bełżec transportiert«.

In den Vernehmungen zur Person betonte der Angeklagte Meiert sein deutsches Bewusstsein und sprach »mit posthumer Ehrerbietung« vom Reichsführer SS. Eine Woche nach der Eröffnung des Prozesses lehnte das Gericht eines seiner Mitglieder, einen Ergänzungsrichter, wegen Befangenheit ab, weil dessen Großmutter jüdischer Abstammung war. Als unbefangen galten dagegen der Gerichtsvorsitzende, der Scharführer des NSKK (einer paramilitärischen Unterorganisation der NSDAP) gewesen war, und ein Geschworener, der der Waffen-SS angehört hatte.

Die VVN-Täterakte Meiert endet mit den Berichten über den Prozess, ohne auf die Urteile einzugehen. Diese sind heute jedoch im Internet zu finden. Bruno Meiert wurde 1973 im Wiesbadener Judenmordprozess freigesprochen.

In loser Folge stellen wir hier Dokumente aus den Archiven der VVN-BdA vor.