Offene Diskriminierung

geschrieben von Anna Styczyńska

9. März 2023

Polnischer Antisemitismus in den 1920er- und 1930er-Jahren

»Christusmörder«

Im Vorkriegspolen wurden die Juden als Fremde behandelt. Einer der Hauptakteure des polnischen Antisemitismus war die katholische Kirche, der die Mehrheit der polnischen Gesellschaft angehörte. Juden für den Tod Jesu verantwortlich zu machen und sogar an »Blutverleumdungen« (es wird behauptet, dass Juden sich an der Entführung, Folter und Opferung christlicher Kinder beteiligen) zu glauben, war in Polen üblich. Predigten und Artikel in der katholischen Presse, die reich an Verschwörungstheorien über die »jüdische Freimaurerei« sowie an antijüdischen und antisemitischen Thesen waren, fanden dank der hohen gesellschaftlichen Stellung der Priester große Aufmerksamkeit.

»Żydokomuna«

Vor allem seit dem Polnisch-Sowjetischen Krieg (1919–1921) galten Kommunisten als Feinde des Landes, das erst kurz zuvor seine Unabhängigkeit wiedererlangt hatte. Ab den 1920er-Jahren identifizierte die antisemitische Propaganda den Kommunismus mit den Juden und stützte sich dabei auf das fest verankerte Bild des »jüdischen Verräters«. Der Begriff »Żydokomuna« (Juden-Kommunismus) wurde üblich. Die Tatsache, dass sich Juden kommunistischen und sozialistischen Organisationen anschlossen und große Hoffnungen in linke Ideen setzten, lieferte Futter für die Propaganda. Eines der Symbole dieser Zeit war die Ermordung des ersten Präsidenten der Zweiten Polnischen Republik am 16. Dezember 1922. Gabriel Narutowicz wurde von der Rechten als »jüdische Marionette« bezeichnet; der Attentäter behauptete, er habe sein Heimatland vor einer »jüdisch-sozialistischen Verschwörung« gerettet.

»Judeopolonia«

In den 1930er-Jahren lebten in Polen über drei Millionen Juden (10 Prozent der Bevölkerung), und die große Mehrheit von ihnen wohnte – im Gegensatz zu den ethnischen Polen – in Städten und Gemeinden. Die Nationalisten drohten ständig mit der angeblichen Gefahr einer jüdischen Vorherrschaft. Angesichts sozialer Ungleichheiten, Krisen, wachsender Armut und einer ungewissen Zukunft wurden antisemitische Vorstellungen immer populärer. Seit Mitte der 1930er-Jahre diskriminierte die polnische Regierung Juden offen, duldete ihre Unterdrückung und versuchte mit allen Mitteln, »jüdische Aktivitäten« einzuschränken. Das polnische Außenministerium bemühte sich um eine Kolonie, Madagaskar, um die »überschüssige jüdische Bevölkerung« dort anzusiedeln. 1938 versuchte die polnische Regierung aus Angst vor dem Zustrom polnischstämmiger Juden aus dem »Dritten Reich«, ihnen die Staatsbürgerschaft zu entziehen. Als Reaktion darauf wurden 17.000 Juden verhaftet und in Zügen aus dem Reich an die polnische Grenze geschickt, die schnell geschlossen wurde. Nachdem sie einige Tage im Niemandsland verbracht hatten, wurden die meisten Flüchtlinge in einem Lager in Zbąszyń untergebracht. Trotz der schwierigen Bedingungen war es ihnen fast ein Jahr lang offiziell untersagt, die provisorischen Lager zu verlassen und sich anderswo niederzulassen.

»Bij Żyda«

Die soziale und wirtschaftliche Ausgrenzung der Juden war eines der Hauptanliegen der Nationaldemokratie (ND) und der Nationalen Partei, der größten Oppositionspartei vor dem Zweiten Weltkrieg. Der von der ND angeregte Wirtschaftsboykott manifestierte sich nicht nur im Boykott jüdischer Geschäfte und Werkstätten. Ab 1934 drückte die Regierung ein Auge zu bei den blutigen antijüdischen Ausschreitungen und Angriffen faschistischer Jugendmilizen. Juden zu bedrohen und zu verprügeln, ihre Stände auf Märkten zu zerstören und ihr Eigentum (Waren, Häuser, Arbeitsplätze) zu vernichten, gehörte zur regelmäßigen Praxis der Nationalisten. Zwischen 1935 und 1937 kam es in Polen zu rund 100 antijüdischen Übergriffen (u. a. Pogrome in Przytyk und Brześć), bei denen 14 Menschen getötet und mehr als 2.000 verletzt wurden. Die Angreifer waren nicht nur Milizen, sondern auch »einfache Einheimische«.

Das beliebte Schlagwort »Schlagt den Juden« wurde auch von der Studentenschaft mit Begeisterung aufgenommen. 1932 schlug der akademische Zweig der nationalistischen Jugendbewegung vor, den Juden die gesetzlichen Rechte, die Staatsbürgerschaft, das Recht, öffentliche Ämter zu bekleiden, Nicht-Juden zu heiraten und den Zugang zum Bildungswesen zu entziehen. Der »Numerus clausus«, das Prinzip der Begrenzung des Anteils jüdischer Studenten, wurde an vielen medizinischen und technischen Fakultäten eingeführt, und ab 1937 wurde das »Bankghetto« – getrennte Bänke in den Hörsälen für Juden – legalisiert. Nationalisten, machten regelmäßig Jagd auf jüdische Studenten und Dozenten, hielten sie aus den Hörsälen fern, warfen sie von den »nichtjüdischen Plätzen«, verfolgten und verprügelten sie. Ab Mitte der 1930er-Jahre kam es vor allem an den Universitäten von Warschau, Vilnius und Lviv fast täglich zu schweren Übergriffen. Allein im Studienjahr 1938/1939 verloren drei jüdische Studenten in Lemberg ihr Leben durch antijüdische Gewalt.

Der Antisemitismus war im Gegensatz zu dem Diskurs, der in der polnischen Erinnerungspolitik vorherrscht, ein integraler Bestandteil des Polens der Zwischenkriegszeit. Die Absatzüberschriften sind Slogans jener Zeit und spiegeln die Realität wider, mit der Juden in der Zweiten Polnischen Republik konfrontiert waren.