Bitte keinen Krach

geschrieben von Juliet Schnabel

29. April 2023

Das Buch »Massenradikalisierung«: Von der Mitte, für die Mitte, über die Mitte

In ihrem neuen Buch »Massenradikalisierung« präsentiert Julia Ebner einen Überblick zu aktuellen rechten Entwicklungen – oft so ausführlich, dass die Lektüre für gut informierte Antifas ermüdend wirken kann. Sie stellt anschaulich ideologische Verbindungen der verschiedenen Bewegungen dar, von Incels über »white supremacists« bis hin zu Klimawandelleugner:innen und QAnon. An einer radikalen Analyse scheitert Ebner – vermutlich, um dem Vorwurf einer linken Positionierung vorzubeugen. Und so schreibt sie von, für und über die Mitte, ohne diese zu definieren.

Konfrontiert mit linken Positionen verwehrt sich die Autorin trotz offensichtlicher Sympathien einer Solidarisierung. So stellt Ebner dar, warum »Black Lives Matter« irgendwie schon recht hat – um kurz darauf zu mahnen, dass deren Aktivismus zu einer Polarisierung führe, die das Risiko eines rechten Backlashes und eines Zerreißens der Mitte berge. Implizit klingt der Ratschlag durch, beim Aufstehen gegen die eigene Unterdrückung bitte nicht allzuviel Krach zu machen. Eine Gesellschaft, die auf Ausbeutung aufgebaut ist, braucht jedoch revolutionäre Bewegungen und keine apathische Mitte. Abolitionist:innen und Suffragetten galten zu ihrer Zeit ebenfalls als radikal und spalterisch, und ihre Kämpfe waren weder leise noch unblutig.

Hufeisentheorie

Julia Ebner: Massenradikalisierung: Wie die Mitte Extremisten zum Opfer fällt. Suhrkamp Verlag, Berlin 2023, 360 Seiten, 20 Euro

Julia Ebner: Massenradikalisierung: Wie die Mitte Extremisten zum Opfer fällt. Suhrkamp Verlag, Berlin 2023, 360 Seiten, 20 Euro

Die Tendenz, beiden Seiten die Verantwortung für die Misere in die Schuhe zu schieben, wird explizit, wenn Ebner behauptet, dass es bei QAnon kein links und rechts gäbe. Dass QAnon angeblich in diesen Spektren gleichmäßig vertreten ist, ist lediglich anekdotisch, und widerspricht allem, was sich zum Beispiel bei den US-Kongresswahlen 2022 beobachten ließ. So schreibt Ebner, dass es inzwischen QAnon-Abgeordnete im Kongress gibt und lässt unerwähnt, dass diese allesamt Republikaner:innen sind. Auch in Deutschland zeigt die Studie »Q vadis?« von CeMAS klare Überschneidungen zwischen QAnon und AfD, und beim Blick auf die »Patriotische Union« wird ebenfalls klar, dass QAnon rechts einzuordnen ist. All dies klingt verdächtig nach Hufeisentheorie, welche unter anderem dazu dient, Antifakämpfe zu delegitimieren und zu kriminalisieren sowie das Erstarken faschistischer Ideologien zu verharmlosen. Dies geschieht allerdings eher durch schwammige Formulierungen als Schuldzuweisungen. Ebners Konzept der »Identitätsfusion«, die eine gesteigerte Gewaltbereitschaft indiziert, könnte zum Beispiel auch auf queere, Schwarze oder migrantische Communities zutreffen, weil es so allgemein formuliert ist. Durch das Ignorieren hegemonialer Verhältnisse und intersektionaler Unterdrückung weitet sie eine Täterschaft auf marginalisierte Gruppen aus.

Ähnlich vage ist der Begriff »liberal«. Da Liberale eh und je vor allem als die sprichwörtlich speichelleckenden Steigbügelhalter des Faschismus auffallen, ist der Befriff ein gravierender Fehler, denn er wirft linke und neoliberale Positionen durcheinander. So wird verdeckt, dass etwa die AfD nicht von Nazis, sondern von neoliberalen Euro-Skeptiker:innen gegründet wurde, oder dass in den USA selbsterklärte »libertarians« wie Peter Thiel mit öffentlichen Äußerungen und Wahlkampfspenden explizit eine Diktatur der Reichen anstreben. Dieser Beschwörung der Mitte entsprechend kommen linke Positionen in den Lösungsansätzen kaum vor. Stattdessen sollen die Privatwirtschaft oder eine Koalition aus konservativen und progressiven Berühmtheiten die Demokratie retten. Wer über die wachsende Bedrohung von rechts schreibt, möge mal in die Geschichte schauen, um dort etwas über die Rolle von Privatwirtschaft und Konservatismus zu lernen.

Betriebsblinder Optimismus

Etliche Lösungsansätze kranken an einem betriebsblinden Optimismus, nach welchem die meisten Probleme mit KI, Faktenchecks und Workshops lösbar erscheinen – zufälligerweise also die Ansätze, die der Londoner Thinktank ISD in seinen Leistungen anbietet, für den Ebner selbst arbeitet. Aus diesem Optimismus heraus imaginiert sie beispielsweise eine neutrale Medien-Lizenzierungsstelle, die einerseits überstaatlich sein müsste, um Desinformation aus dem Ausland zu verhindern, und andererseits eine staatliche Autorität bräuchte, um nicht lizenzierte Medienproduktionen auch effektiv unterbinden zu können. Abgesehen davon, dass dies praktisch nicht umsetzbar ist, und implizit von einem neutralen Staat bzw. Weltstaat ausgeht, den es so nicht gibt, ist die Vorstellung absolut dystopisch – und nebenbei ein Aspekt antisemitischer Verschwörungsnarrative über die sogenannte Neue Weltordnung.

In der Diskussionskultur der Incels, Alt-Right und rechten Trolle ist alles Sarkasmus, alles ist nur ein Spiel, bis es eben keines mehr ist, und zwischen diesen Ebenen wird so lange hin- und hergewechselt, bis das eigene Realitätsverständnis zerbröselt und die Welt nur noch als Simulation erscheint, deren Grenzen manche mit einem Blutbad herausfordern wollen. Dieser Verlust einer geteilten Realität ist fataler und somit deprimierender als alle Zitate und Statistiken, denn es lässt viele der vorgebrachten Lösungsansätze wie ein Greifen nach Strohhalmen erscheinen.

»Deprimierend«, »schockierend« und »beklemmend« – so wird Julia Ebners Buch in anderen Rezensionen beschrieben. Und sicherlich sind all diese Beschreibungen akkurat, denn die detaillierten Beschreibungen der verschiedenen rechten Szenen sind für Neulinge auf dem Gebiet starker Tobak. Wer sich allerdings schon länger mit diesen Entwicklungen beschäftigt, dürfte nicht allzu schockiert oder auch nur überrascht sein von dem, was der Autorin bei ihren Undercover-Recherchen begegnet. Zu oft bleibt sie zu sehr in ihrer eigenen Schockstarre gefangen, um zum ideologischen Kern dieser Bewegungen durchzudringen.

Juliet Schnabel veröffentlichte in der antifa-November/Dezemberausgabe 2022 ein Spezial zu QAnon
(siehe antifa.vvn-bda.de/2022/11/07/
rechte-subkulturen)