Ich gab ein Versprechen ab

geschrieben von Maxi Schneider

29. April 2023

Gisela Heiden im antifa-Gespräch über ihren Großvater und den Kampf um die KZ-Gedenkstätte Sachsenburg

antifa: Dein Großvater wurde von den Nazis verfolgt und war Häftling in verschiedenen frühen Konzentrationslagern. Was kannst du über seine Geschichte erzählen, und was hast du davon als Kind mitbekommen?

Gisela: Mein Großvater Hans Riedel, mit dem ich aufgewachsen bin, wurde im September 1933 von der Gestapo mitgenommen. Er wurde 1907 als elftes Kind einer SPD-geprägten Arbeiterfamilie geboren. Hans war Kommunist, leitete 1932 eine Kindergruppe, versteckte Waffen für die KPD und klebte Plakate gegen die Nazis. 1933 ging er zu Fuß über die Grenze ins Exil in die Tschechoslowakei, wurde aber von der Parteileitung nach einigen Monaten zurückgeschickt, um die illegale KPD im Erzgebirge aufzubauen. Auf dem Rückweg lief er einer SA-Streife in die Arme und stand von da an unter Beobachtung.

Im September kamen SA, SS und Polizei zur Hausdurchsuchung, und Hans kam nach Leipzig in Gestapohaft. Er wurde verhört und schwer verprügelt. Der Gestapo-Mann meinte, es sei ihm egal, ob er im Krankenhaus oder auf dem Friedhof lande. Die Oma, seine Frau, wusste nicht, wo er war, und hörte monatelang nichts von ihm. In der Backstube der Familie machten sich zwei SA-Männer als Gesellen breit. Als er nach seiner Entlassung im Frühjahr 1934 zurückkam, hielt ihn seine Frau für einen Bettler und erkannte ihn erst, als der Hund ihn begrüßte, so schlimm sah er aus. Von den Genossen war keiner mehr da. Alle waren ins Exil geflohen oder in Haft.

Als Kind wusste ich das alles nicht, aber ich erinnere mich noch, wie mich meine Oma bat, den Opa zum Essen zu holen. Da war ich vielleicht zehn Jahre alt. Er schlief und ich rief ganz laut »Riedel! Aufstehen!«. Da schoss er hoch und stand stramm. Als ich das meiner Oma erzählte, wurde sie ernst und sagte: »Das machst du nie wieder!«

Später war mir klar, dass diese Geschehnisse in den Menschen drin waren. Das haben die nie vergessen. Ich habe aber erst verstanden, was los ist, als mich mein Opa 1967 zur Einweihung des Denkmals nach Sachsenburg mitnahm. Von da an habe ich nachgefragt, und mein Opa hat auch erzählt, aber sehr vorsichtig. Immer, wenn wir an den Punkt kamen, an dem es um Misshandlungen und Gewalt ging, hat er das Gespräch abgebrochen und mich auf später vertröstet. Meine Oma wollte von all dem nichts wissen. Das hat sie zu sehr aufgeregt.

antifa: Gibt es eine Erzählung, die dir besonders im Gedächtnis geblieben ist?

Gisela: Ja, die Ermordung von Hugo Ament. Hugo war ein Freund meines Opas, mit dem er nach Burg Hohnstein kam. Hugo gehörte zur SPD und den Naturfreunden, unter deren Dach es geheime Treffen der Nazigegner gegeben hatte. Er war krank und schaffte schon kaum den Dauerlauf ins Lager. Auf der Burg gab es Quälereien im Hof. Hugo wurde herausgegriffen und besonders schikaniert. Danach wurde durchgezählt und Hugo fehlte. Mein Opa ist sich sicher, dass die Nazis ihn den Felsen hinunter geschmissen haben. Seine Witwe bekam dann die Nachricht, er sei an Herzversagen gestorben. Der Haftaufenthalt und die Kosten zum Ableben ihres Mannes wurden ihr in Rechnung gestellt.

antifa: Du bist seit Jahrzehnten sehr engagiert. Worin besteht deine politische Arbeit, und was lässt dich immer weiterkämpfen?

Gisela: Ich habe meinem Opa das Versprechen gegeben, dass wir dafür sorgen, dass es eine Gedenkstätte für das frühe Konzentrationslager Sachsenburg geben wird. Schon in der DDR habe ich mich für die Anerkennung meines Opas und seiner Genossen, die mich mit ihren Idealen ein Leben lang geprägt haben, eingesetzt. Nach der Wende wurden die Ausstellungen in den frühen Konzentrationslagern abgebaut. Seit 2011 bin ich in der LAG und setze mich dafür ein, dass diese Geschichte nicht vergessen wird. Gerade bereiten wir viele Veranstaltungen anlässlich des 90. Jahrestags der Errichtung des Lagers vor. Mir ist es wichtig, darüber aufzuklären, wie schnell es gehen kann, dass der Nachbar, mit dem man gestern noch am Gartenzaun stand, einem als Wärter im KZ gegenübertritt. Wir sind im Moment in einer schwierigen Zeit, und die Gewaltbereitschaft der Rechten ist erschreckend hoch. Man muss der Realität ins Auge blicken und sich die Geschichte genau anschauen. Es gilt die Opfer zu ehren und unser Wissen weiterzugeben. Für Sachsenburg brauchen wir zum Beispiel dringend Freiwillige, die jetzt anfangen, dort Führungen zu machen. Wir sind noch lange nicht am Ende. Das treibt einen immer weiter an.

Gisela Heiden ist Vorsitzende der Lagerarbeitsgemeinschaft Sachsenburg (LAG) und führt regelmäßig Gruppen durch das ehemalige frühe KZ. Sie setzt sich seit Jahren für die Einrichtung einer Gedenkstätte auf dem Lagergelände ein. Ihr Großvater war als Häftling in den frühen KZs Hohnstein und Sachsenburg.

Ausstellung über frühe KZs:

Erstmalig wird seit Februar bundesweit in mehreren Ausfertigungen eine Ausstellung über die frühen KZs gezeigt. »Der Auftakt des Terrors« wurde gemeinsam von 17 Gedenkstätten und Lernorten erarbeitet, die sich in der Arbeitsgemeinschaft »Gedenkstätten an Orten früher Konzentrationslager« zusammengeschlossen haben.

Veranstaltungsankündigungen

Am 31. Mai findet die zweite Veranstaltung der VVN-BdA-Reihe »Das Jahr 1933 – Vom Faschismus als Bewegung zum Faschismus an der Macht« statt. Thema: »Terror gegen links und die Errichtung der frühen Konzentrationslager«. Mit Maxi Schneider (Moderation und inhaltliche Einführung), Steffen Richter (AKuBiZ und engagiert für die Erinnerung an das frühe KZ Hohnstein) und Daniela Schmohl (VVN-BdA Leipzig, Sprecherin der sächs. LAG Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, Historikerin, Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen). Die Veranstaltung findet über Zoom statt. Einwahldaten werden auf vvn-bda.de veröffentlicht.

Anlässllich des 90. Jahrestags des ersten Lagerappells findet der Sachsenburger Dialog am 3./4. Juni auf dem Gelände des früheren KZ Sachsenburg (An der Zschopau 1, 09669 Frankenberg) statt. Infos: gedenkstaette-sachsenburg.de

Das Gespräch führte Maxi Schneider