Neue Dinge entdecken

geschrieben von Thomas Hacker

29. April 2023

Zur Webveranstaltung »NS-Vergleiche. Die deutsche Debatte um den Ukrainekrieg«

»Vergleichen und gleichsetzen sind zwei grundverschiedene Dinge. Wir vergleichen immer, und so lernen wir. Nur so können wir Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausfinden«. Dieses Statement des Historikers Christoph Dieckmann kann wohl als Klammer der VVN-BdA-Onlineveranstaltung am 27. März unter dem Titel »NS-Vergleiche. Die deutsche Debatte um den Ukrainekrieg« gelten. Günter Morsch, ebenfalls Historiker, wies darauf hin, dass Vergleiche häufig herangezogen werden, um etwas gleichzusetzen, zum Beispiel bei der Vermischung von NS-Herrschaft und Stalinismus. Die Journalistin Charlotte Wiedemann erinnerte an die Vorwürfe der Relativierung durch den antikolonialen Diskurs. So wurde in den USA bezüglich der Verbrechen gegenüber Indigenen mitunter vom »amerikanischen Holocaust« gesprochen. Im Gedenkdiskurs soll es laut Wiedemann nicht darum gehen, jemandem »etwas wegzunehmen«, sondern im konkreten Fall um mehr Verantwortung für Kolonialverbrechen.

Einigkeit herrschte darüber, dass der Blick auf Historie kein Aufrechnen bedeuten dürfe. Man könne und müsse immer das eine klar benennen, ohne das andere zu relativieren. Die allgemeine Erklärung der Menschenrechte sei die zentrale Konsequenz aus der Shoah, antifaschistische Erinnerungsarbeit müsse immer demokratisch und pluralistisch sein.

Angekündigt war allerdings auch, den »Missbrauch der Geschichte zur Kriegslegitimation von russischer Seite« zu diskutieren. Das wurde nicht eingelöst. Interessant gewesen wäre der Vergleich von Ideologien und von Sprache. Was bedeutet es, wenn Putin »Bastarde und Verräter« ausspucken will »wie eine Fliege«, wenn der Starmoderator des russischen Regierungsfernsehens, Wladimir Solowjow, von »LGBT-Anhängern, Drogensüchtigen und Perversen« spricht? Durch »vergleichen, ohne gleichzusetzen« könnte man neue Dinge entdecken, die es in der Geschichte so noch nicht gab. Was bedeutet es, wenn eine revanchistisch begründete Vergrößerung eines Staatsgebietes erzwungen wird und dabei jede Einmischung »zu Konsequenzen führen wird, die Sie in Ihrer Geschichte noch nie gesehen haben« (Putin am 27.2.2022)? Solowjow sagt zum atomaren Inferno: »Wir kommen in den Himmel, die anderen kratzen nur ab« und schwurbelt regelmäßig vom »Satanismus« des Westens. Dmitri Kisseljow, der Generaldirektor der russischen staatlichen Auslandsnachrichtenagentur zeigt Video-animationen zur atomaren Vernichtung der »Angelsachsen«, grinst dazu und kommentiert hämisch. Was würde es bedeuten, wenn man in der Geschichte tatsächlich hierzu nichts Vergleichbares finden könnte?

Die Veranstaltung vom 27. März als Video:
youtube.com/watch?v=OVkrO8vqmT0