Ostermarsch reloaded
29. April 2023
Genauer hingeschaut, wer wo zu Ostern auf die Straße ging
Rhein-Ruhr: Man kann ihn als »Klassiker« beschreiben, den Ostermarsch Rhein-Ruhr. Er begann mit einer Auftakt-kundgebung vor der Urananreicherungsanlage der Urenco in Gronau, wo für den Atomausstieg und gegen die Gefahr eines Atomkrieges demonstriert wurde. Am Karsamstag zogen laut Medienberichten etwa 600 Menschen von Duisburg nach Düsseldorf. Weiter ging es mit Friedensaktionen in zehn NRW-Städten und endete schon traditionell am Ostermontag auf dem Dortmunder Hansaplatz, wo noch einmal an Willi Hoffmeister (1933–2021) erinnert wurde, der Jahrzehnte eine treibende Kraft der Ostermärsche war. Nicht nur im Aufruf, auch auf dem Plakat hieß die klare Botschaft: »Rechtsextremisten und Neonazis bleiben vom Ostermarsch ausgeschlossen«. Trotz schlechter Witterung waren mehrere Tausend auf den Beinen.
Rhein-Main: Eine lange Tradition haben auch die Aktionen im Rhein-Main-Gebiet. Dort beginnt die Debatte um den politischen Aufruf lange vor Ostern. In diesem Jahr waren die Diskussionen komplizierter, weil manche gewerkschaftlichen Gremien Beschlüsse gefasst hatten, die – anders als früher – Aufrüstung und Waffenexporte akzeptierten. Hier eine gemeinsame Basis für nichtmilitärische Konfliktlösungen und Abrüstung zu finden, war nicht immer möglich. Die Veranstaltungen in den verschiedenen Orten des Rhein-Main-Gebietes mündeten am Ostermontag in einer Abschlusskundgebung auf dem Frankfurter Römerberg mit etwa 4.000 Teilnehmenden. Man habe sich nicht durch »medial aufgeblähte Abgrenzungsdebatten« ablenken lassen, sondern sei »eindeutig gegen die fortschreitende Militarisierung und Kriegspropaganda aufgetreten«, hieß es in einer Bilanz. Auch in Nordhessen nahmen in diesem Jahr laut Polizeibericht etwa 800 Menschen am Ostermarsch teil. Deutlich mehr als in den vergangenen Jahren.
Saarbrücken: Es wurde zwar keine Massenveranstaltung, aber mehrere hundert Menschen in St. Wendel und in Saarbrücken machten deutlich: »Frieden für die Welt fängt bei uns im Saarland an«. Aufgerufen hatte das FriedensNetzSaar, das sich klar gegen alle rechten Vereinnahmungen abgrenzte. Unter dem Motto: »Die Waffen nieder! Kriege beenden! Brücken bauen für den Frieden!« sprachen Michael Quetting (ver.di Saar), Katja Richter (VVN-BdA Saar) und Barbara Spaniol (Die Linke). Getragen wird das Netzwerk neben politischen Parteien unter anderem von Gewerkschaftsgruppen, Naturfreunden, dem Haus Afrika Saarbrücken, dem ökumenischen Netz und Pax Christi.
Der politische Streit um die Bewertung des russischen Angriffs auf die Ukraine und mögliche politische Lösungsschritte führte dazu, dass in einigen Städten, zum Beispiel in Hamburg, getrennte Aktionen zum Ostermarsch stattfanden. Problematisch war, dass in einzelnen Orten auch Esoteriker und sogenannte Querdenker in den Ostermärschen auftauchten, ohne diese jedoch zu dominieren.
Offenbar ist der Friedensbegriff politisch so wertvoll, dass beispielsweise in Karlsruhe »Querdenker« selber einen nur mäßig besuchten »Friedensmarsch« anmeldeten, um im Windschatten der Ostermärsche Aufmerksamkeit zu erhalten. Auch in München organisierten »Querdenker« – konkurrierend zum Ostermarsch – eine Kundgebung, die ebenfalls unter dem Begriff »Frieden« labelte. Und in Berlin traten ukrainische Bellizisten auf, die – unterstützt von einer Politikerin der Grünen – als »neue Friedensbewegung« mit »Slawa Ukrajini« weitere Waffenlieferungen forderten. Trotzdem gelang es fast überall, klare Trennstriche zu Gruppen zu ziehen, die sich für rechte Ideologien offen zeigen. Es wird auch in Zukunft darauf ankommen, dass es regionalen Friedensbündnissen gelingt, durch klare Positionen Versuche der Vereinnahmungen abzuwehren, die es auch früher schon gegeben hat.
Eine positive Botschaft kam von Jochen Boczkowski, Kassel, der Ende März seinen 90. Geburtstag feierte: »Ich war schon in den 1960er-Jahren am Ostermarsch dabei. Dieses sichtbare Zeichen für Frieden und Abrüstung bleibt für mich als Antifaschisten unverzichtbar – egal wie viele Menschen mit mir auf die Straße gehen. Dass wir in Kassel diese Tradition seit über vierzig Jahren lebendig halten, kann Mut machen, auch für Jüngere.«
Ostermarsch sei »old school« und nicht mehr zeitgemäß, so heißt es. Dabei beteiligen sich gerade jene Medien an dem »Abgesang«, die ansonsten für Waffenlieferungen in Kriegsgebiete schreiben. Wer seit Jahren mit der Friedensbewegung verbunden ist, hat solche Statements in ähnlichen Varianten oft gehört. Festgemacht wird dies an der Anzahl und dem Alter der Teilnehmenden. Unstrittig ist, dass in Zeiten der gesellschaftlichen Debatten um atomare Bedrohung wie in den 1980er-Jahren die Zahlen höher lagen. Aber wer erinnert sich denn noch, dass sich an den ersten Ostermärschen bundesweit nur wenige Hundert beteiligten? Eigentlich müsste es den Kritikern doch auffallen, dass Ostermärsche – obwohl sie vielfach für tot erklärt wurden – immer noch stattfinden. Nach Zählung der Infostelle Ostermarsch haben 2023 mehr als 120 Initiativen Aktionen zu Ostern angekündigt. Hier soll genauer hingeschaut werden, wer wo auf die Straße ging.