Sichtbarkeit erhöhen

geschrieben von Andreas Siegmund-Schultze

29. April 2023

Bau- und Begegnungstage der »Initiative für einen Gedenkort ehemaliges KZ Uckermark e. V.«

antifa: Ihr veranstaltet von 4. bis 13. August auf dem Gelände des ehemaligen KZ Uckermark Bau- und Begegnungstage. Was ist euer Anliegen?

Nandi: Wir wollen dabei einen Raum für die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Ortes schaffen. Geplant sind Begegnungen mit Angehörigen von Überlebenden. Überlebende selbst werden dieses Jahr wahrscheinlich aus gesundheitlichen Gründen nicht anreisen können. Auch die Arbeit auf dem Gelände selbst, darunter die Instandhaltung, verstehen wir als Form des Gedenkens. Weiterhin organisieren wir Workshops und Rundgänge, Raum soll es zudem für den Austausch unter den Teilnehmenden geben. Natürlich planen wir ebenso Pausen ein – mit Zeit zum Baden, Schlauchboot fahren und alles sacken lassen.

antifa: Was lässt sich über den Ort sagen?

Nandi: Das KZ Uckermark war ab 1942 ein Jugend-KZ, in dem vor allem Mädchen eingesperrt und gequält wurden. Viele Inhaftierte wurden als sogenannte Asoziale verfolgt. Später, ab Januar 1945, gab es eine zweite Phase, wodurch das KZ zum Vernichtungsort wurde und vorwiegend Gefangene aus dem nahen KZ Ravensbrück hier selektiert und ermordet worden. Beide Phasen spielen natürlich eine wichtige Rolle bei unserem Gedenken.

antifa: An wen richtet ihr euch?

Nandi: Teilnehmen können FLINTA*1. Wir versuchen ebenso, Leute einzuladen, die nicht in Deutschland leben, und haben eine Quote für von Klassismus Betroffene. Wir wollen, dass alle möglichst die ganze Zeit da sind. Für die Gruppenprozesse und auch für den Besuch wäre es eher unpassend, wenn Leute währenddessen an- und abreisen.

antifa: Seit wann wird auf dem Gelände an die NS-Geschichte erinnert?

Nandi: Das erste Mal fand 1997 ein Baucamp statt, angestoßen von der Lagergemeinschaft Ravensbrück. Dies geschah auch deshalb so spät, weil das Gelände bis 1994 militärisch genutzt wurde und nicht betretbar war. Bis heute sieht man wenig aus der Zeit des KZ. 2012 wurde ein Teil der Hallen, die während der militärischen Nutzung entstanden sind, abgerissen. Das war für uns wichtig, weil damit der Ort einerseits besser erfassbar, aber auch zugänglicher wurde.

antifa: Bei euch stehen NS-Verfolgte im Vordergrund, die in der Erinnerungspolitik häufig fehlen und als »vergessene Opfer« gelten. Wie wirkt sich das auf eure Arbeit aus?

Nandi: Einerseits ist es gar nicht so leicht, Kontakt mit Überlebenden aufzunehmen, weil es so wenig Organisierung von Menschen, die als »asozial« stigmatisiert wurden, nach 1945 gab, auch weil die Stigmatisierung und Verfolgung ja weiterging.

Und bis heute gibt es viele Überlebende, die nicht über ihre Verfolgung sprechen oder gesprochen haben, aus Angst vor andauernder Stigmatisierung. Es geht uns darum, die Sichtbarkeit zu erhöhen, aber es gibt nach wie vor für als »asozial« stigmatisierte Verfolgte eine viel geringere Wahrnehmung beim Gedenken und auch bei den Entschädigungen kommen sie nicht bzw. erst seit 2020 vor. Für uns als selbstorganisierte Gedenkinitiative hat es Vorteile, dass wir nicht staatlich angebunden sind. Wir können zusammen mit den Überlebenden und ihren Angehörigen eigene Gedenkpraxen entwickeln und den Gedenkort antifaschistisch verorten. Aber natürlich fehlt uns immer wieder das Geld.

antifa: Seit wann gibt es eure Initiative als Netzwerk autonomer, feministischer Antifas schon, und was hat sich seit eurer Gründung verändert?

Nandi: Unseren Verein gibt es seit 2006, wir sind ein aus der Lagergemeinschaft entstandenes bundesweites Netzwerk. Was sich verändert hat, ist die Zusammensetzung der Initiative. So waren wir anfangs eine Frauen-Lesben-Gruppe, im Zuge der innerfeministischen Diskussionen haben wir uns hin zu einer FLINTA*-Gruppe entwickelt. Sie war am Anfang sehr stark getragen und gestaltet von Menschen, die von Klassismus betroffen sind. Das hat sich geändert, und wir versuchen da gegenzusteuern. Nicht vergessen werden sollte, dass die Überlebenden, mit denen wir Kontakt haben und hatten, älter geworden und teilweise gestorben sind. Zu unseren Aktionen können leider immer weniger von ihnen kommen. Da unsere Arbeit aber stark an den Überlebenden und ihren Wünschen orientiert ist, ändert sich viel, weil wir uns anders Gedanken machen müssen, wie wir sie in die Arbeit einbeziehen, wo sie kaum noch persönlich vor Ort sein können.

antifa: Gibt es noch etwas, worauf du hinweisen magst?

Nandi: Am 22. und 23. April fand die Befreiungsfeier in Ravensbrück statt, deren Teilnahme jedes Jahr empfohlen werden kann. Zudem finden sich auf unserer Website einige Filme und Biografien von Überlebenden, darunter jene von Stanka Krajnc Simoneti sowie Łucja Barwikowska. Stanka lebt auch noch und Łucja ist letztes Jahr leider gestorben. Auch eine neue Wanderausstellung wurde erstellt und kann ausgeliehen werden.

Infos: gedenkort-kz-uckermark.de

Nandi von der »Initiative für einen Gedenkort ehemaliges KZ Uckermark e. V.« auf die Frage, wie sie selbst zur Gruppe gestoßen ist:
»Ich war schon vorher im gedenkpolitischen Bereich aktiv und bin 2012 über eine befreundete Person das erste Mal auch zu den Bau- und Begegnungstagen gefahren. Schon damals fand ich diesen Raum selbst-organisierten und linken Gedenkens total wertvoll. Und ich hatte das Glück, noch mehrere Überlebende, darunter Stanka Krajnc Simoneti und Łucja Barwikowska, kennengelernt zu haben. Es war eine wertvolle Erfahrung für mich, diese wirklich beeindruckenden Frauen kennenzulernen und zu erleben, wie in der Initiative ein wirkliches Interesse an Beziehungen mit ihnen besteht«.

1 Frauen, Lesben, Inter, Non-Binary, Trans und agender*

Die Teilnahme an den Bau- und Begegnungstagen können FLINTA*, die angestellt sind, je nach Bundesland auch als Bildungsreise durchführen.

Das Gespräch führte Andreas Siegmund-Schultze