Kein Mensch ist asozial

geschrieben von Peter Nowak

11. Juli 2023

Nachruf auf Anne Allex, die Stichwortgeberin für solidarische Theorie und Praxis

»Unsere Weggefährtin Anne Alex ist gestorben. Sie war eine Kämpferin. Unsere Arbeit der Initiative hat sie viele Jahre solidarisch und kritisch begleitet.« Mit diesen Worten verabschiedete sich die »Initiative Gedenkort Konzentrationslager Uckermark« von einer am 28. April mit 64 Jahren verstorbenen Frau, die in den letzten Jahren für die Rechte von als asozial stigmatisierten Menschen eintrat. Dazu gehörten auch die jungen Frauen, die im deutschen Faschismus verschleppt wurden.

Anne Allex im Jahr 2018 in Berlin-Kreuzberg bei einer Aktion für einen Gedenkort Fontanepromenade 15. Hier befand sich zwischen 1938 und 1945 die »Dienststelle für Juden beim Berliner Arbeitsamt«. Jüdinnen und Juden wurden durch die Nazibehörde zur Zwangsarbeit in Berliner Rüstungsbetrieben verpflichtet.

Anne Allex im Jahr 2018 in Berlin-Kreuzberg bei einer Aktion für einen Gedenkort Fontanepromenade 15. Hier befand sich zwischen 1938 und 1945 die »Dienststelle für Juden beim Berliner Arbeitsamt«. Jüdinnen und Juden wurden durch die Nazibehörde zur Zwangsarbeit in Berliner Rüstungsbetrieben verpflichtet.

Anne war 2007 Mitbegründerin des Berliner »AK Marginalisierte gestern und heute«. Schon im Namen wird deutlich, dass es Anne Allex und ihren Mitstreiter*innen nicht nur um historische Gerechtigkeit für Menschen ging, die durch die Gesellschaft als asozial und arbeitsscheu diffamiert wurden. Zu ihnen gehörte auch eine Großmutter von Anne, die ab 1936 bei Osram zu Zwangsarbeit verpflichtet wurde. Erst ab Mitte der 1990er habe sie die Dimension dieser Verfolgung begriffen, erzählte Allex später. Dazu hat auch ihr Kampf gegen die Entrechtung von Erwerbslosen beigetragen. Dagegen kämpfte Anne seit den 1990ern in unterschiedlichen Initiativen und wurde dafür bundesweit geschätzt. Anne hatte in der DDR als Ökonomin an der Schule des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes Bernau unterrichtet und musste sich nach 1989 auch beruflich neu orientieren. Für einige Jahre war sie als Mitarbeiterin bei Abgeordneten der PDS-Fraktion beschäftigt. Dort setzte sich Anne für die gewerkschaftliche Organisierung der wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen ein, was selbst bei einer linken Partei nicht überall auf Zustimmung stieß.

Verschärfung der Ausgrenzung

Die Selbstorganisation war auch Annes Leitmotto bei ihren zahlreichen Aktivitäten in der Erwerbslosenbewegung. Als Mitglied des Runden Tisches der Erwerbslosen und Sozialhilfeempfänger*innen war sie bundesweit bekannt und geschätzt. Die Einführung von Hartz IV sah Anne als massive Verschärfung der Ausgrenzung von armen Menschen. Sie versuchte mit ihren Mitstreiter*innen auf verschiedenen Ebenen, den Widerstand dagegen zu befördern. 2006 war Anne Herausgeberin des »Schwarzbuchs Hartz IV«, in dem Beispiele von Entrechtungen durch Jobcenter, aber auch von Widerstand der Betroffenen dokumentiert sind. Anne gehört außerdem zu den Initiator*innen eines Nothilfetelefons, bei dem sich Menschen melden konnten, die befürchteten, ihre Wohnung zu verlieren, weil das Jobcenter nicht mehr die volle Miete übernimmt und sich dadurch Mietschulden ansammeln. »Keine Räumung unter dieser Nummer« lautete das Motto, mit dem dieses Nothilfetelefon beworben wurde. Aus dieser Initiative ist die Kampagne gegen Zwangsräumungen hervorgegangen, die in verschiedenen Städten in den letzten Jahren beachtliche Mobilisierungen von Mieter*innen erreichte. Auch hier war Anne Stichwortgeberin für eine solidarische Praxis.

Für die Rechte der Stigmatisierten

Mit ihrem jahrelangen Einsatz für die Rechte der Erwerbslosen begründete Anne auch ihr Engagement für die Rechte der als asozial Stigmatisierten, die in den letzten 15 Jahren ihres Lebens eine wichtige Rolle spielte. Dabei betonte sie immer, dass es keine historische Beschäftigung ist. »In der deutschen Geschichte wurde Erwerbslosen durchgehend die Schuld an ihrer Situation in die eigenen Schuhe geschoben. Das war bereits vor 1933 so, was sich beim Phänomen der sogenannten Arbeitshäuser zeigt. Die Faschisten wollten Erwerbslose als ›Minderwertige‹ ausrotten. Nach 1945 wurde in der BRD die Zwangsarbeit laut Bundessozialhilfegesetz eingeführt, die verfälschend ›Hilfe zur Arbeit‹ hieß«, begründete Anne in einem Interview mit dem Neuen Deutschland, wieso sie im Anschluss an ihr Engagement gegen Hartz IV den Kampf für das Gedenken an Opfer »sozialrassistischer Verfolgung« in den Mittelpunkt stellte.

Anne Alex ist am 28. April 2023 verstorben.

Anne Alex ist am 28. April 2023 verstorben.

Eine zentrale Rolle spielte der von ihr gegründete »AK Marginalisierte gestern und heute« beim Kampf um Erinnerung an Menschen, die zwangsweise im Berliner Arbeitshaus an der Rummelsburger Bucht leben mussten. Bei den zahlreichen Aktionen, die der AK damals vor Ort organisierte, lernte Anne neue Mitstreiter*innen und Kompliz*innen kennen, junge Antifas, Feministinnen und Queer-Aktivist*innen. Schließlich war sie auch Herausgeberin des Buches »Stop-Trans*pathologisierung«, das sich für die Rechte von Menschen einsetzt, deren Erscheinung nicht mit ihrem ihnen durch Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt.

Anne hat mit ihrer Biografie deutlich gemacht, wie unsinnig die leidige Debatte über Klassen- versus Identitätspolitik ist. Ihr Grundsatz »Kein Mensch ist asozial« war der Leitspruch einer emanzipatorischen Erwerbslosenbewegung ebenso wie der vieler Initiativen, die sich für die Rechte sogenannter Minderheiten einsetzen. Anne hatte weitere Gedenkprojekte geplant, unter anderem mit der VVN-BdA, in der sie Mitglied war. In den letzten Jahren verhinderte eine schwere Erkrankung, dass sie ihre Arbeit fortsetzen konnte. »Danke Anne, dass es dich gab«, diesem Schlusswort der Gedenkworte der Initiative Gedenkort Konzentrationslager Uckermark ist sich nur anzuschließen.

Fotos: Lothar Eberhardt