Das ist, was digitaler Antifaschismus in der Zukunft leisten muss
14. September 2023
Rechte Medienprojekte und digitale Mobilisierungen: Und was hat das alles mit Algorithmen zu tun?
Ein Gespräch mit Maik Fielitz
antifa: Du forschst unter anderem zu sozialen Medien und digitalen Kulturen, analysierst teilweise sechsstellige Zahlen an Beiträgen auf Social Media. Welche Erkenntnisse lassen sich daraus bezogen auf rechte Einstellungen und Mobilisierungen gewinnen?
Maik Fielitz: Wir untersuchen extrem rechte, verschwörungsideologische und andere demokratie-feindliche Akteur:innen im weitesten Sinne, insbesondere in ihrem Kommunikationsverhalten. Das heißt, wir machen keine Einstellungsforschung, aber man kann aus dem digitalen Kommunika-tionsverhalten den Rückschluss ziehen, dass sich extrem rechte Einstellungen nicht nur in der uns bekannten klassischen Form äußern, sondern sich über digitale Formate sehr unterschiedlich darstellen. Es gibt eine sehr starke Verschmelzung von extrem rechten Ideologien und digitalen Subkulturen, die auch neue Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit mitbringen, also die kategorische Abwertung anderer Gruppen.
Ein Schwerpunkt unserer Arbeit liegt auf der digitalen Mobilisierung, vorwiegend über Telegram. Dabei haben wir über eine Zeitspanne von drei Jahren untersucht, wer, wann und wo zu Demonstrationen aufruft. Zur Auswertung haben wir einen Algorithmus auf großer Datengrundlage trainiert und konnten somit aus einem Pool von rund zehn Millionen Telegram-Nachrichten etwa 100.000 Aufrufe zu Demonstrationen feststellen. Das machte auch deutlich, wie zentral Plattformen wie Telegram für die Mobilisierung sind. Erkennbar wird, dass eigentlich fast alles nur noch digital abläuft. Es benötigt kaum noch Offline-Ressourcen oder Strukturen, sondern gut geführte Telegram-Kanäle, eine breite Followerschaft und ein koordiniertes digitales Verhalten, um Leute auf die Straße zu bringen. Dies wirkt sich natürlich auch auf die Zusammensetzung der Demoteilnehmer:innen aus. Herausgefunden haben wir ebenso, dass sich die Mobilisierungen stark dezentralisieren, teilweise weg von größeren Orten, und wir aktuell ein Protestgeschehen ebenso dort beobachten können, wo es eigentlich nie – in den vergangenen 30 Jahren zumindest – große extrem rechte oder andere Formen des Protests gab. Weiterhin lässt sich resümieren, dass sich heute viele Leute berufen fühlen, selbst die Dinge in die Hand zu nehmen und Anstrengungen sowie auch Ressourcen reinstecken, bei der Mobilisierung von Protesten beispielsweise.
antifa: Welche rechten Medienprojekte oder Plattformen haben aktuell die gefährlichste Entwicklung in Zeiten des gesellschaftlichen Rechtsrucks?
Maik: Voller Gefahren sind wohl gerade jene Projekte, die am wenigsten gefährlich aussehen. Das sind häufig politische Influencer, die sich mit klassischen Elementen der Werbeindustrie schmücken.
Eine Masche ist, Leute dabei sehr persönlich anzusprechen, beispielsweise indem sie diese mit in ihre privaten vier Wände nehmen und dort eine Form von Beziehung herstellen mit jenen, mit denen sie in Interaktion treten. Diese parasoziale Beziehung finden wir vorwiegend auf Video-Streaming-Plattformen. Gewünschter Effekt ist, dass die Adressat:innen Schritt für Schritt an eine bestimmte Ideologie herangeführt werden. Dies geschieht weniger durch harte Thesen oder provokante Sätze, sondern indem Influencer vermeintlich viel von sich preisgeben. Dieser Influencer-Sektor explodiert förmlich, auch weil man sich darüber finanzieren kann – mit extrem rechter Propaganda lässt sich also viel Geld machen. Ein weiterer Reiz, das zu kopieren, dürfte sicher sein, dass vieles bewusst banal gestaltet ist und dass sich das ständige Präsentieren von Inhalten ohne viel technischen Aufwand schnell reproduzieren lässt. Das Vermischen von politischen und privaten Themen erscheint bedeutend, auch weil sich erkennen lässt, wie man die Zuschauenden schrittweise an die Ideologie heranführen kann. Davon abgesehen gibt es viele verschiedene Formen des politischen Aktivismus, der sich nicht als solcher zu erkennen gibt, sondern sehr häufig als Alternativjournalismus daherkommt. Das sind natürlich auch Möglichkeiten, mit denen sich mehr Menschen ansprechen lassen, als im klassischen Bewegungs- oder Parteiensektor. Man geriert sich als unabhängig, dabei ist oft nicht sofort klar, in welchem größeren Zusammenhang die jeweilige Person tätig ist.
antifa: Könntest du es ein wenig konkreter machen?
Maik: Was mir als Format auffällig erscheint und sich auch ausbreitet, das sind Projekte wie der »Ketzer der Neuzeit«. Das ist ein recht junger Youtuber, der durch die Straßen geht, Leute anspricht und dabei versucht, zu Reizthemen Antworten herauszulocken. Ziel ist dabei, die jeweilige Person zu entblößen oder mit Fangfragen in eine bestimmte Ecke zu stellen. Häufiger betrifft das beispielsweise das Thema Gendern, die -interviewte Person soll an der Nase herumgeführt werden. Dieses Format macht nach meinem Eindruck ein wenig Schule. Vielleicht auch deshalb, weil es erst mal nicht politisch wirkt, sondern eine vermeintlich humoristische Ebene hat. Damit lässt sich dann Reichweite generieren und eine gewisse Fanbase aufbauen.
antifa: Derzeit kann insbesondere die AfD vom gesellschaftlichen Rechtsruck profitieren. Täuscht der Eindruck, dass Medienerzeugnisse, die sich direkt mit der Rechtsaußenpartei in Verbindung bringen lassen, bisher aber noch recht rar sind?
Maik: Ich habe einen anderen Eindruck. Es gibt ein sehr enges Band von rechten Alternativmedien mit der AfD. Das wurde auch über Jahre hinweg aufgebaut. Es gab zwei »Konferenzen der freien Medien«, die im Bundestag stattfanden. Dazu hatte die AfD jeweils ein Dutzend Alternativmedien eingeladen, um in den Austausch zu gelangen. Die Partei hat den Projekten Anreize geboten, bestimmte Nachrichten auf Parteilinie zu veröffentlichen und sich mehr an die AfD zu binden.
Es gab anfangs eine größere Distanz zur AfD, gerade auch in rechten Subkulturen war die Abgrenzung mal stärker. Nicht vergessen werden sollte, dass diese dennoch eine relevante Ressource für die AfD sind und es das Ziel ist, sich diese einzuverleiben. Wir haben jetzt wirklich eine Vielzahl an Medienformaten, von Compact, PI News bis zu YouTube-Formaten wie die Honigwabe, die inzwischen sehr stark Werbung für die AfD machen. Es gibt sehr wenig rechte Alternativmedien, die nicht AfD-nah sind, beziehungsweise die Partei nicht als Vorreiterin einer rechten Gesellschaftsumstrukturierung verstehen. Sie ist schon eine zentrale Kraft, gerade wenn man bedenkt, wie viele Ressourcen von verschiedenen Medienoutlets auch in Social-Media-Aktivismus gesteckt werden.
antifa: Gibt es da Vorbilder, gerade wenn man nach Österreich schaut, wo teils FPÖ-nahe rechte Medienprojekte wie Servus TV und AUF 1 schon länger Erfolge vorweisen können und ihren Einfluss auch weiter ausbauen?
Maik: Ja, die FPÖ konnte sich natürlich länger als die AfD ihren eigenen Publikationssektor aufbauen, der auch stark multimedial geprägt ist. Da wurde viel gelernt, und man betreibt auch einen umfangreichen Erfahrungsaustausch, man lädt die FPÖ oft ein. Es ist schon interessant, dass ein großer Anteil des alternativen Mediensektors aus Österreich kommt und in Deutschland einen sehr großen Einfluss hat. AUF 1, das schon erwähnt wurde, ist auf sehr vielen Demonstrationen präsent, finanziert teilweise Lautsprecherwagen, verkauft Demo-Merchandise. Es hat auch einen Telegram-Kanal mit einer der größten Reichweiten und versucht, ins lineare Fernsehen zu gelangen, was ihm nicht so leicht fällt. Info direkt ist ein anderes Projekt, welches ursprünglich als Magazin in Österreich konzipiert war, aber jetzt sehr aktiv auch im digitalen Kontext auftritt und auf den deutschen Kontext einwirkt.
Das sind auf jeden Fall wichtige Projekte, die mitunter marktführend sind, weil Deutschland ja auch einen großen Markt hat, wo sich ebenso österreichische Projekte versuchen aufzustellen, und es herrscht hier ebenso ein großer Konkurrenzkampf. Da ist AUF 1, zumindest was Videoformate angeht, führend, Compact mit seinem täglichen Videopodcastformat kann da noch ein wenig mithalten.
antifa: Kannst du das an einer Reichweite festmachen? Was zum Beispiel ist ein großer Telegram-Kanal?
Maik: Wenn man sich generell alle deutschsprachigen Telegram-Kanäle anguckt, dann sind unter den Top Ten sechs oder sieben deutlich dem rechten Spektrum zuzuordnen. AUF 1 aus Österreich hat knapp 250.000 Leute, die dem Kanal folgen, und erreicht mit seinen reichweitenstärksten Posts bis zu 800.000 Views. Das ist schon etwa soviel, wie auch eine mittelgroße bis große Zeitung erreicht, wenn man Print und Online zusammenzählt. Und hier sprechen wir nur von Telegram. Es gibt ja noch andere Formate, mit denen die Leute erreicht werden. Auch in unserem quartalsweise erscheinenden Online-Journal »Machine Against the Rage« lässt sich gut verfolgen, beispielsweise wie sich innerhalb eines Quartals die reichweitenstärksten Posts verteilen. Die kommen fast immer von AUF 1, was sicher daran liegt, dass solche Medienprojekte zumeist erfolgreich versuchen, verschiedene Strömungen miteinander in Verbindung zu bringen. Es wird dabei nicht so stark auf ideologische Klarheit und Linie geachtet, sondern Alternativmedienprojekte werden als Sprachrohr der Bewegung verstanden. So ist es auch nicht selten, dass extrem rechts Gesinnte mit Gemäßigteren, mit Covidleugnern und so weiter in den Austausch kommen.
antifa: Erfasst die aktuelle Krise von Printmedien auch rechte Blätter, wenn ja, in welcher Form?
Maik: Ja, dort gibt es eine recht ähnliche Entwicklung zu der, die jenseits des rechten Publikationssektors stattfindet. Es kommt darauf an, kriegt man den Sprung ins Digitale gut hin und mit welchen Formaten fährt man dort auf. Das hängt schon stark damit zusammen, welche Publikationen aktuell Leserschaft verlieren, beziehungsweise welche mit neuen Formaten neue Leserschaften generieren können. Compact war schon recht früh dabei, digitale Formate zu entwickeln, die große Reichweite hatten. Die Junge Freiheit war ein bisschen spät dran, holt jetzt aber leider stark auf. Das merkt man daran, dass sich häufiger junge Leute mit an Bord geholt werden, die auch auf popkulturelle Art und Weise Beiträge online veröffentlichen, was es bisher so nicht gab.
Es gibt aber auch Projekte wie die Krautzone, ein Magazin nah an der »Identitären Bewegung«, das sich sehr geschickt am Katapult Magazin orientiert oder sogar eine rechte Kopie dessen ist. Man schaut sich also gut um und versucht, die Lücken zu finden, kreative Formate zu entwickeln und darüber auch mehr als das klassische Publikum anzusprechen. Deswegen wird der Einbruch im Printsektor schon häufig ausgeglichen durch den digitalen Sektor, wo man auch recht viele Werbeeinnahmen generieren kann beziehungsweise die Reichweite viel größer ist.
antifa: Aber ganz aufgegeben wird beispielsweise der Zeitschriftenmarkt am Kiosk von rechten Zeitschriften auch nicht. Es entsteht sogar eher ein gegenteiliger Eindruck, schaut man mal in die Regale. Da wird richtig viel Geld investiert, um aufzufallen, während andere Medien diesen Markt anscheinend inzwischen abgeschrieben haben …
Maik: In meiner Wahrnehmung ist die Vielfalt rechter Magazine nicht unbedingt gestiegen, sondern das hat sich einfach verändert über die Jahre, und viele haben sich eben auch eine Leserschaft aufgebaut. Das ganze Medienverhalten hat sich sehr stark verändert. Teilweise ist ja das Spektrum auch so, dass es einfach nicht bezahlen will. Wenn man keine GEZ-Gebühren zahlen will, will man teilweise auch kein Geld für Informationen aus rechter Hand zahlen. Man bekommt ja auch so ein vielfältiges Medienangebot kostenlos übers Internet. Viele Leute frequentieren da auch sehr unterschiedliche Seiten, und es ist oft nicht nur ein Magazin, was dann gelesen wird.
In meiner Wahrnehmung ist die Vielfalt rechter Magazine nicht unbedingt gestiegen, dafür aber zeitgemäßer geworden. Das ganze Medienverhalten hat sich sehr stark verändert. Teilweise ist ja das Spektrum so, dass es einfach nicht bezahlen will. Wenn man keine GEZ-Gebühren zahlen will, will man teilweise auch kein Geld für Informationen aus rechter Hand zahlen. Man bekommt ja so ein vielfältiges Medienangebot kostenlos übers Internet. Viele Leute frequentieren da sehr unterschiedliche Seiten, und es ist oft nicht nur ein Magazin, was dann gelesen wird.
antifa: Wie greifen staatliche Maßnahmen gegen Hate Speech auf Social Media bzw. Formen der Selbstregulierung durch die Anbieter?
Maik: Das ist pauschal nicht so leicht zu sagen, weil mit politischen Aussagen und aufhetzenden Postings, die gegen die AGBs der Plattformen verstoßen, unterschiedlich umgegangen wird. Es ist natürlich so, dass die Leute, die sich politisch rechts engagieren, wissen, wo die gesetzlichen Grenzen sind. Das heißt, die Frage, wann eigentlich eingegriffen wird, ist eine ziemlich politische Frage, sowohl was Unternehmen als auch den Staat betrifft. Alternativmedien sagen natürlich bewusst: Wir verteidigen hier die Meinungsfreiheit, weil wir in Zeiten von Meinungsdiktaturen leben, die durch staatliche Verbote ausgeübt werden, aber ebenso durch das Löschen von Inhalten durch Social-Media-Unternehmen. Und insbesondere in der Pandemie hat das sogenannte De-Platforming, also das Sperren von Accounts, schon dazu geführt, dass viele Leute ihre Reichweite verloren haben und damit auch die Möglichkeit, ihre Inhalte zu monetarisieren. Viele haben sich dadurch immer stärker auf alternative Plattformen zubewegt, wodurch dann aber ebenso das allgemeine Publikum, das zufällig über solche Inhalte stolpert, verloren geht. Denn wer auf Telegram ist, muss diesen Leuten erst mal folgen. Das ist einfach eine andere Sache, als wenn man auf anderen Social-Media-Plattformen zufällig mit solchen Inhalten konfrontiert wird. Da ist schon eine große Ressource verloren gegangen, weil sehr extreme Akteure aus dem digitalen Mainstream verbannt wurden. Twitter, jetzt X, ist natürlich eine Ausnahme seit letztem Jahr, da gibt es jetzt eine sehr politische Führung.
Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) ist global gesehen das erste Gesetz, das in den freien Plattformmarkt eingreift. Das hatte schon dazu geführt, dass viele Plattformen auf dem deutschen Markt gespurt haben. Aber es gibt eben auch das Beispiel von X oder von Telegram, deren Führungen ein weites Verständnis von freier Rede haben. Wenn die Plattformen nicht mitspielen, ist solche Regulierung ein zahnloser Tiger. Das wird sich noch mal ändern mit dem Digital Services Act. Der würde dann eigentlich den Unternehmen verbieten, ihre Dienste hier anzubieten, wenn sie nicht mit den EU-Behörden kooperieren. Darüber hinaus haben die Plattformen ihre eigenen Maßnahmenkataloge, um mit bestimmten Auswüchsen zurechtzukommen. Die werden natürlich immer eingesetzt, wenn irgendwelche politischen Ereignisse ihnen keine andere Wahl mehr lassen, beispielsweise beim Anschlag in Christchurch. Da sind dann immer mehr Richtlinien entstanden, die auch die Kommunika-tion viel stärker verregeln.
Bis 2014/15 konnte man noch Hinrichtungsvideos auf Twitter posten, die Menschen erreichten. Seitdem wurde aber auch schon durch den technischen Fortschritt viel besser kontrollierbar, wo bestimmte Kontexte oder Inhalte gepostet werden. Die Öffentlichkeit ist viel sensibler geworden, und somit ist es heute schon eine andere Grundstruktur der Moderation auf Plattformen. Die Moderationsstandards sind auch speziell, weil sie global sind. Es gibt globale Regeln, die dann natürlich in verschiedenen Kontexten unterschiedlich angepasst werden.
Aber es gibt einen kleinen Backlash, mit der Aussicht, dass Trump wiedergewählt werden könnte. Es gibt bei den Plattformen immer politische Kalkulationen im Hintergrund, dass bestimmte Sachen, die vor ein, zwei Jahren gelöscht worden wären, jetzt wieder willkommen sind. Die Plattformen gucken da bei den Werbetreibenden, wie jene auf bestimmte Sachen reagieren, aber auch, welche Nutzerinnen und Nutzer sie abschrecken oder anziehen durch bestimmte Handlungen. Der Trend geht dahin, immer intransparenter zu werden, also die Reichweite der Beiträge zu reduzieren, aber ohne dass die Leute so richtig mitbekommen, warum das so ist und wann das so ist.
antifa: Es wird vermutet, dass beispielsweise auf X oder vorher Twitter rechte Inhalte durch Algorithmen verstärkt angezeigt werden. Lässt sich das belegen? Wie erklärst du das Phänomen?
Maik: Das lässt sich so konkret nicht belegen. X bzw. Twitter hat seinen Algorithmus veröffentlicht, da konnten wir reingucken, wie das funktioniert, welche Inhalte gepusht werden und welche nicht. Posts werden nicht rein aufgrund des Inhalts gepusht, sondern dadurch, dass ein gewisses koordiniertes Verhalten auf der Plattform, gewisse Formen von Interaktion, den Algorithmus stimulieren. Und das können die Rechten besonders gut. Wenn zum Beispiel viele Leute innerhalb kürzester Zeit Sachen teilen, schlägt der Algorithmus an und belohnt diese Interaktion mit noch größerer Reichweite, und das hat was damit zu tun, wie viel Ressourcen verwendet werden in so einem digitalen Aktivismus. Dazu zählt auch: Lässt man sich verifizieren, zahlt man Geld bei X? Was bis vor kurzem noch gelöscht wurde, erreicht jetzt die achtfache Reichweite, sobald man Geld zahlt. X gibt zum Beispiel Organisationen kaum Reichweite mehr, wenn sie sich nicht verifizieren lassen.
Es ist einfach so, dass diejenigen, die am skrupellosesten agieren und auch am banalsten kommunizieren, dann am meisten belohnt werden. Rechter Content generiert also so viel Reichweite, weil er mit dem Nutzungsverhalten kompatibel ist. Man denkt nicht so lange drüber nach, man teilt einfach viel schneller. Manche wähnen sich in einem Kulturkampf, während andere die Dynamik überhaupt nicht verstehen. Im digitalen Schwarm vereinen sich politische Strategen mit blindwütigen Trittbrettfahrern. Was sie vereint, ist ihre digitale Aktivität, insofern man soviel Content wie möglich produziert und teilt. Das ist etwas, das rational kommunizierenden Menschen eher widerstrebt.
Dazu kommt noch, dass bestimmte Inhalte auch besonders viel Interaktion hervorrufen. Manche Inhalte sind so strukturiert, dass sie eine -Gegenreaktion auslösen. Das kurbelt natürlich auch nochmal die Algorithmen an, und das ist so ein Erfolg der letzten Jahre. Im digitalen Kontext hängt das immer mit einer vielleicht nicht ganz zu Ende gedachten Interventionsstrategie von demokratisch oder linken Akteuren zusammen, die die Reichweite teilweise erst erzeugen dadurch, dass sie sich auf gewisse digitale Spielchen einlassen.
antifa: Wie können erfolgreiche mediale Gegenstrategien aussehen? Gibt es in deinen Augen gelungene Beispiele?
Maik: Es ist wirklich schwer, im digitalen Kontext zu konkurrieren. Es gibt da verschiedene Dilemmata, aus denen man teilweise nur als Verlierer hervorgehen kann, aus antifaschistischer Sicht zumindest. Man kann sich beispielsweise überlegen, ob man eine Art digitales Wettrüsten eingeht, indem versucht wird, präsenter aufzutreten, um über Zahlen und Metriken irgendwie eine Form von Gleichverhältnis herzustellen. Man kann versuchen, in die Gesellschaft besonders polarisierend zu wirken, damit Interaktionen ausgelöst werden und sich so die Reichweite erhöht. Oder man könnte eben auch, wie rechte Akteure das machen, stärker mit Halbwahrheiten, Fakes und so weiter agieren. Aus einer aufgeklärten Sichtweise heraus ist das allerdings nicht machbar, und somit gibt es einfach ziemlich krasse strategische und strukturelle Nachteile, wenn man versucht, diesem ganzen Problem im digitalen Kontext zu begegnen.
Ich glaube, ein wichtiger Punkt ist, sich nicht immer auf jede Debatte einzulassen, Sachen ins Leere laufen zu lassen, auch wenn es schwerfällt, Sachen zu lesen und stehen zu lassen. Es bringt oft keine Vorteile, sich in Debatten und Diskussionen hineinzubegeben, die schon zwangsweise in der falschen Richtung enden, weil die Leute nicht in einen verständigungsorientierten Diskurs treten, sondern einfach nur Debatten zerstören wollen. Es gibt ein ganzes Feld von Akteuren, die versuchen, Leute an die Wand zu drängen, auszuschließen, oder einfach resignieren zu lassen, weil es wirklich auch nicht schön ist, sich da online beleidigen zu lassen. Es gibt verschiedene Methoden, wie man Menschen zum Schweigen bringt, indem man nur oft genug ihre Namen erwähnt oder ihnen implizit droht. Und somit ist es im Hinblick auf Gegenstrategien in sozialen Medien nicht verkehrt, sich seine eigenen Räume zu sichern, ohne sich allerdings dort einzuigeln. Denn es gilt auch mit Leuten in Kontakt zu treten, die sich vielleicht nicht von den sogenannten Bubbles anziehen lassen, und die Möglichkeit zu nutzen, eigenen Inhalten mehr Sichtbarkeit zu geben, also die eigenen Inhalte zu stärken und nicht nur auf die zu reagieren, denen es was zu entgegnen gibt.
Sonst bleibt nur, sehr viel Druck auszuüben auf die Politik in Fragen der Regulierung sozialer Medien. Dazu braucht es einfach neue Debatten, was ein digitaler Antifaschismus ist und was er sein kann. Das hängt natürlich sehr stark damit zusammen, ob man fünf Unternehmen die Hoheit gibt darüber, wie so ein digitaler Diskurs gestaltet wird. Da sollte man die Plattformen stärker in Verantwortung nehmen und auch Alternativen entwickeln, wie es jenseits dieser Plattformen aussehen kann.
antifa: Willst du das noch mal ein wenig ausführen?
Maik: Mit Holger Marcks habe ich ein Buch geschrieben, »Digitaler Faschismus«. Danach stellte sich uns die Frage: Wie könnte ein digitaler Antifaschismus aussehen? Das war gar nicht so leicht zu beantworten. Wie beseitigt man in digitalen Kontexten die Grundlagen dafür, dass rechte Umtriebe so populär sein können? Es reicht eben nicht, zu outen oder dagegenzuhalten. Es gilt darüber nachzudenken: Was sind eigentlich digitale Strukturen, die eine Gesellschaft voranbringen und die vielleicht auch jenseits von Profit funktionieren? Und wie muss eine digitale Öffentlichkeit organisiert werden, die Freiheiten im privaten und Standards im öffentlichen Raum schafft? Viele Verwerfungen der letzten Jahre sind hervorgegangen aus der Strukturierung sozialer Medien, also aus dieser sehr antagonistischen Kommunikationskultur. Das sollten wir stärker gesellschaftlich denken: Wer sollte darüber entscheiden können in einer aufgeklärten Gesellschaft? Wie erreichen wir, dass verschiedene Stimmen sichtbar sind oder verschiedene Interessen besser vertreten werden? Das ist, was digitaler Antifaschismus in der Zukunft leisten muss, eben weil das Internet ein so zentraler Ort für Meinungsbildung ist, sowohl im persönlichen Kontext als auch im gesellschaftlichen Ganzen. Darauf müssen wir einen größeren Fokus setzen.
Dieses Gespräch ist hier einer umfangreicheren Fassung als in der Printausgabe zu finden.