Antisemitismus abschieben?

geschrieben von Andreas Siegmund-Schultze

5. November 2023

Deutschland im 85. Jahr nach der Pogromnacht am 9. November 1938

Wenn sich in diesen Novembertagen die Pogrome von 1938 hierzulande zum 85. Mal jähren, dann geschieht dies, während der Antisemitismus allerorten grassiert: Geschändete Stolpersteine, antisemitische Rufe von Hamas-Fans auf Demos und als klare Bedrohung zu deutende Davidsterne an Wohnhäusern mit jüdischen Bewohner:innen. Explodierende antisemitische Hetze auf Social Media, aber auch altbekannte Stereotype vom Juden in abendlichen ZDF-Plauderstunden, ein »Israel ist unser Unglück«-Transparent an einem Hausprojekt von Neonazis und wieder Angriffe auf Synagogen sowie ein jüdisches Krankenhaus. Weil sich viele Jüdinnen und Juden hierzulande noch unsicherer fühlen als zuvor, bleiben Kinder und Teen-ager ihren Kitas und Schulen fern, werden jüdische Symbole in der Öffentlichkeit versteckt, schließen viele ihre Restaurants und Läden. Parallel dazu eskaliert im Nahen Osten die Gewalt zwischen Israelis und Palästinenser:innen: Es gibt abertausende Tote und Schwerverletzte in kurzer Zeit infolge des am 7. Oktober von der Hamas in Israel verübten Massakers – jenem entsetzlichen Sonnabend, an dem so viele Jüdinnen und Juden ermordet wurden wie nach der Shoah an keinem anderen Tag.

Zur selben Zeit ist in Deutschland offenbar gesellschaftlicher Konsens: »Grenzen dicht plus abschieben, abschieben, abschieben!«. Ebenfalls beliebt, zumindest im Parteienspektrum: Solidarität mit Israel: jawoll; ein Fluchtkorridor für Menschen aus Gaza: niemals! Antisemitismus, ein Problem der Mitte: Unsinn; von links, rechts und unter Muslimen: na sicher! Zumindest beim Überbieten an Vorschlägen, mit denen sich eine ganz große Koalition des »Problems« entledigen will, gibt es keine Grenzen – ethische jedenfalls (siehe zdf.de-Meldung, 24.10.: »Spahn für ›Gewalt‹ bei irregulärer Migration«).

Doch wer Antifaschist:in ist und noch bei Verstand, sollte erkennen: Antisemitismus lässt sich mit Rassismus nicht bekämpfen – und auch nicht abschieben!

In Erinnerung an die Pogrome 1938 finden am 9. November bundesweit Gedenkveranstaltungen statt. Die VVN-BdA ist vielerorten dabei.