Die »Ampel« passt sich an
5. November 2023
Rechte auf dem Vormarsch: Landtagswahlen in Bayern und Hessen waren Fest für die AfD
Medien und verantwortliche Politiker:innen haben ihren Beitrag zum Erfolg der extremen Rechten geleistet: Mit täglich Meldungen über stetig steigende Umfragewerte für die Höcke-Partei AfD ebenso wie mit einem regelrechen Überbietungswettbewerb menschenverachter Vorschläge, die der Eindämmung einer immer wieder in Szene gesetzte »Überforderung« von Land und Leuten durch ankommende Geflüchtete dienen soll. Statt zum Beispiel den großartigen Umgang der Kleinstadt Hebertshausen – ausgerechnet in Bayern, ausgerechnet in Verantwortung eines CSU-Bürgermeisters – mit seinen »Neubürger:innen als »Best Practice«-Modell auszuzeichnen und anzupreisen, haben sie den Mythos der extremen Rechten von der Migration als »Mutter aller Probleme« in einem der reichsten Länder der Welt ins Zentrum des gesellschaftlichen Diskurses gerückt. Genützt hat es dem Original.
Abschiebungen »im großen Stil«
Nun wird aus dem Siegeszug der AfD die Notwendigkeit abgeleitet, den Worten Taten folgen zu lassen: Totale Abschottung der europäischen Außengrenzen, Abschiebungen »im großen Stil«, Kriminalisierung von Flüchtenden und Helfer:innen – je mehr Menschen in ihrer Heimat keine Überlebensperspektive haben, umso weniger Mitgefühl können sie erwarten. Das individuelle Recht auf politisches Asyl – das ohnehin fast nur noch abstrakt existiert – wird ebenso als überkommen betrachtet wie die Genfer Flüchtlingskonvention.
Seit Monaten schon drängt sich die Erinnerung an die beginnenden 1990er-Jahre auf: Titelbilder ließen eine imaginierte »Asylantenflut« und kenternde »volle Boote« per Fotomontage als Realität erscheinen, rechter Mob randalierte in Hoyerswerda erfolgreich gegen ankommende Schutzsuchende, Ende August 1992 brannte das Rostocker Sonnenblumenhaus. Die Reaktion von Schwarz-Gelb-Rot-Grün: Nicht die gerade erstarkende NPD wurde verboten, sondern man war sich einig, dass einem von Überfremdungsängsten geplagten Volk keine weitere »Zuwanderung« zumutbar sei. Am 24. November 1992 brannte das Wohnhaus der Jahrzehnte zuvor eingewanderten Familie Arslan in Mölln. Ziemlich genau zwei Wochen später einigten sich Regierung und Opposition im Bundestag auf einen »Asylkompromiss«, mit dem sie das Grundrecht auf Asyl zum kaum noch erreichbaren Rechtsgut machten. Drei Tage nach Verabschiedung des Gesetzespakets am 26. Mai 1993 brannte das Haus der Familie Genc in Solingen. Seit 1990 fielen mehr als 200 Menschen dem Naziterror auf deutschen Straßen zum Opfer; die meisten von ihnen hatten einen »Migrationshintergrund«.
Rechter Gewaltmob als Reservoir der AfD
Die Akteure der Baseballschlägerjahre der 1990er bilden heute ein wesentliches meinungs- und durchsetzungsstarkes Reservoir der AfD, und gerade ergab eine Studie der »Agentur der Europäischen Union für Grundrechte« zum Rassismus in den Mitgliedstaaten, dass in keinem Land – mit Ausnahme Österreichs – der Rassismus gegen Schwarze Menschen so ausgeprägt ist wie in Deutschland: 76 Prozent der in der Studie befragten Menschen dieser Gruppe gaben hier an, in den letzten fünf Jahren wegen Hautfarbe, Herkunft oder Religion benachteiligt worden zu sein, 54 Prozent waren Opfer von Übergriffen geworden.
Wie damals scheint der »Zeitgeist« rechts zu sein, und wie damals rücken Politik und Gesellschaft nach rechts, statt die Werte, für die angeblich sogar Kriege geführt werden, gegen den widerlichen rassistischen, menschenfeindlichen Ansturm zu verteidigen und Perspektiven für eine solidarische Welt zu entwickeln – in Wort und Tat.
Innenministerin Nancy Faeser (SPD) zog einst den Zorn von Rechten auf sich, als sie beim Amtsantritt dem »Rechtsextremismus« den Kampf ansagte. Noch vor einem Jahr schrieb sie richtig zum 30. Jahrestag: »Die Tat der Rechtsextremisten in Mölln kam nicht aus dem Nichts, die Hetze gegen Menschen anderer Herkunft bereitete ihr den Boden«. Inzwischen lässt sie Inlandsgeheimdienst und BKA vor »linksterroristischer« Gefahr warnen, muss von NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) darauf hingewiesen werden, dass die Abschiebung unbeteiligter Angehöriger »krimineller Clans« mit dem Rechtsstaat nicht vereinbar ist, und macht »Härte« gegenüber Schutzsuchenden zu ihrem Markenzeichen.
Höchste Zeit also, dass es starke gesellschaftliche Signale zur Verteidigung der Migrationsgesellschaft gibt! Von einer Konferenz zum Thema »Solidarität in der Migrationsgesellschaft« wurde dazu am 11. Oktober eine »Berliner Erklärung« gestartet (siehe Spalte). Derzeit entwickelt sich aus dem »Unteilbar«-Zusammenhang ein Bündnis für eine breit getragene bundesweite Demonstration gegen die Rechtsentwicklung am 10. Dezember, dem Internationalen Tag der Menschenrechte, in Berlin. Es ist an der Zeit, die Menschenrechte im Deutschland der »Zeitenwende« zu verteidigen. Also: Termin freihalten, Bündnispartner ansprechen, Anreise organisieren …
Die »Berliner Erklärung in Verteidigung der Migrationsgesellschaft« kann hier gelesen und unterschrieben werden:
transformingsolidarities.net/de/news/berliner-erklaerung-in-verteidigung-der-migrationsgesellschaft