Statt warmer Worte

geschrieben von Lina Urbat

5. November 2023

Der Verein Blindspots leistet direkte und solidarische Hilfe an EU-Außengrenzen

Die sogenannte westliche Balkanroute, die über Serbien oder Bosnien und Herzegowina führt, ist derzeit eine der meistgenutzten Fluchtrouten in die Europäische Union (EU). Auf ihr erleben Schutzsuchende jeden Tag gewaltsame illegale Rückführungen (sogenannte Pushbacks) durch europäische Beamt*innen. Aufgrund der Abschottungs- und Abschreckungsversuche der EU werden Menschen auf der Flucht in prekäre und inhumane Lebensbedingungen gezwungen, welche sich auf ihre physische und psychische Gesundheit auswirken und sogar lebensbedrohlich werden können.

Im Norden Serbiens ist die Lage besonders angespannt. Mit Kroatien, Ungarn und Rumänien grenzt Serbien im Norden gleich an drei EU-Mitgliedstaaten, wodurch die Region in den letzten Jahren zu einem zentralen Punkt der Migration in die EU wurde.

Grenzgewalt

Die EU-Außengrenzen sind stark militarisiert und technologisch aufgerüstet. Mit Drohnen und Wärmebildkameras spürt die ungarische Grenzpolizei Schutzsuchende auf und schiebt sie systematisch und mitunter sehr gewaltsam zurück nach Serbien. Dabei werden die Asylgesuche der Menschen in der Regel rechtswidrigerweise ignoriert. Aktuell finden circa 5.600 »Pushbacks« pro Woche von Ungarn nach Serbien statt, Schutzsuchende berichten, dass dabei ihr mitgeführtes Geld sowie ihre Wertsachen von Beamt*innen entwendet werden.1 Wichtige Gegenstände wie Telefone, Kleidung, Dokumente und Medikamente werden vor ihren Augen verbrannt. Dabei kommt es auch immer wieder zu Androhung und Verwirklichung von körperlicher, psychischer und sexualisierter Gewalt. Im Jahr 2022 beinhalteten 85 Prozent der dokumentierten »Pushbacks« durch die ungarische Polizei eine oder mehrere Formen von Gewalt, Missbrauch oder Folter.2

Prekäre Lebensbedingungen

Blindspots baut Öfen in provisorische Unterkünfte in Nordserbien ein. Fotos von David Pirchler

Blindspots baut Öfen in provisorische Unterkünfte in Nordserbien ein. Fotos von David Pirchler

Der Grenzzaun, gewaltvolle »Pushbacks« und militarisierte Grenztechnologien führen dazu, dass Schutzsuchende unter unmenschlichen Bedingungen im Norden Serbiens ausharren müssen. Hunderte Menschen leben in heruntergekommenen Ruinen oder Zelten, die wenig Schutz vor Wind und Kälte bieten. Meist schlafen die Menschen in improvisierten Betten auf engstem Raum. Privatsphäre oder Ruhe gibt es kaum. Unzureichende Versorgung mit Kleidung und Nahrungsmitteln führen zu Mangelernährung und erhöhen das Erkrankungsrisiko. Abgeschnitten von öffentlicher Infrastruktur wie Elektrizität und fließendem Wasser sowie adäquater medizinischer Versorgung, kämpfen die Geflüchteten nicht nur gegen das EU-Grenzregime, sondern auch um das eigene Überleben.

Sicherheit und Autonomie erhöhen

Der gemeinnützige Verein Blindspots e. V. leistet direkte solidarische Unterstützung für Schutzsuchende. Aus einer Initiative von Kunst- und Kulturschaffenden in Berlin und Leipzig entstanden, gründete sich die Organisation 2021 und unterstützt heute durch überwiegend ehrenamtliche Mitglieder Menschen in humanitären und politischen Krisensituationen in Bosnien und Herzegowina, Serbien, Kosovo und in der Ukraine. Dabei setzt der Verein einen Fokus auf enge Kooperationen mit lokalen Organisationen, um langfristige Strukturen zu ermöglichen und aufrechterhalten zu können.

Im nordserbischen Grenzgebiet möchte der Verein die Lebensbedingungen von Schutzsuchenden verbessern, die außerhalb von staatlichen Camp-Strukturen in sogenannten Squats leben, sie in der Deckung ihrer Grundbedürfnisse unterstützen und ihre Sicherheit und Autonomie erhöhen. Durch den Einbau von Öfen, Fenstern und Türen sowie die regelmäßige Verteilung von trockenem Brennholz ermöglichen die ehrenamtlichen Unterstützer*innen die Versorgung mit Wärme und einer Kochmöglichkeit. Dies beugt nicht nur Mangelernährung vor, sondern fördert auch die Selbstbestimmung der Schutzsuchenden.

Doch die solidarische Arbeit ist zum Teil starken Repressionen von lokalen Behörden und rechten Strukturen ausgesetzt. Ehrenamtliche Unterstützer*innen erleben Kontrollen, Durchsuchungen und Befragungen sowie Beschimpfungen, Bedrohungen und Beleidigungen. Diese Strategie der Einschüchterung führt zum einen zu Verzögerungen sowie Einschränkungen bei der Unterstützung von Schutzsuchenden und hat zum anderen psychosoziale Folgen für die ehrenamtlichen Unterstützer*innen. Doch klar ist, das eigentliche Ziel dieser Repressionen ist die Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Menschen auf der Flucht. Sie sind nicht nur alltäglicher Grenzgewalt ausgesetzt, sondern erleben auch Räumungen ihrer provisorischen Unterkünfte durch lokale Behörden. In den letzten Monaten ist dies zu einer systematischen und regelmäßigen Praxis geworden, bei der hunderte Menschen zwangsweise in staatliche Camps im Süden des Landes gebracht werden, Infrastruktur wie Fenster, Türen und Öfen zerstört oder verbrannt und persönliche Wertgegenstände gestohlen werden.

Als Teil des »Border Violence Monitoring Networks« dokumentiert Blindspots die alltägliche, brutale und systematische Grenzgewalt und macht auf die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen an den EU-Außengrenzen aufmerksam. In der Datenbank des Netzwerkes wurden bisher über 25.000 Zeugenaussagen zu Grenzgewalt auf der Balkanroute veröffentlicht.3 Durch Öffentlichkeitsarbeit in den sozialen Medien und durch Veranstaltungen will Blindspots Aufmerksamkeit für jene Orte der humanitären und politischen Krisen schaffen, für die das EU-Grenzregime verantwortlich ist, und damit gegen die Festung EU ankämpfen.

Blindspots e. V. blindspots.support