Kein milderes Mittel?

11. Januar 2024

Debattenbeitrag: Contra AfD-Verbot

Zuletzt wurde in der Öffentlichkeit und vielen Medien eine Diskussion darüber geführt, ob das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am Ende eines Verbotsverfahrens die AfD verbieten könnte oder sollte. Dies ging natürlich auch nicht an den Diskussionen innerhalb unseres Verbandes vorbei. Bei letzterem ging es auch darum, ob die VVN-BdA – wie bereits zweimal gegen die NPD – eine AfD-Verbotskampagne initiieren sollte.

Ich denke nicht, dass das der richtige Ansatz ist. Dabei geht es nicht darum, ob die AfD im Sinne des Artikels 21 Absatz 2 Grundgesetz verfassungswidrig ist oder nicht. Die letzte »Neofaschismus«-Ausstellung der VVN-BdA hat die AfD klar im Rahmen dieses Spektrums verortet, und meiner Meinung nach sind solche Organisationen verfassungswidrig. Doch heißt dies noch lange nicht, dass diejenigen, die für ein solches Verbot notwendig gewonnen werden müssten, diese Ansicht teilen oder ein Verbot für sinnvoll halten.

In der BRD-Geschichte hat es mehrere Versuche von Parteienverboten gegeben. Gegen eine faschistische Partei war nur eines erfolgreich. Die »Sozialistische Reichspartei« war – wie die extrem kurze Urteilsbegründung des BVerfG von 1952 nahelegte – klar in der Tradition der NSDAP, nur unter anderem Namen auftretend. Heutzutage lässt sich das nicht mehr so einfach auf eine Partei übertragen.

Für ein Parteiverbotsverfahren wird ein Antrag benötigt. Die Bundesregierung, der Bundestag oder der Bundesrat sind antragsberechtigt. Die Mitglieder dieser Verfassungsorgane müssten überzeugt werden. Danach sieht es bisher nicht aus. Öffentlicher Druck – durch eine wirksame Kampagne – könnte dies ändern. Doch bei der AfD wird es aufgrund ihrer riesigen Wählerschaft deutlich mehr Gegendruck geben, als dies bei der NPD der Fall war.

Weiterhin erhältlich: Ausstellung »Neofaschismus in Deutschland«.Unsere Ausstellung gibt einen Überblick über neofaschistische Entwicklungen in Deutschland. Zu bestellen unter shop.vvn-bda.de

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Die Hürden für ein Parteiverbot sind zudem ständig erhöht worden. So mussten vor dem zweiten NPD-Verbotsverfahren die Verfassungsschutzämter im Bund und den Ländern erst einmal fast alle »V-Leute« aus der Partei und ihren Gliederungen abziehen. Zu groß wäre die Gefahr, dass das BVerfG das Verfahren einstellt, aufgrund des staatlichen Einflusses auf Programmatik und Politik der AfD. Zu einem solchen Abzug müssten Bund und Länder sich verständigen. Verpflichtet sind sie dazu nicht.

Auch die Aktualität der Beweismittel muss sichergestellt sein. Denn nicht alles, was die AfD jemals verbreitet hat, kommt als Beweismittel infrage. Das BVerfG würde nur über die aktuelle Situation urteilen. Das heißt, die im Prozess verwendeten Informationen müssten überwiegend aus der Zeit stammen, nachdem die V-Leute abgezogen wurden und der Verbotsantrag gestellt wurde. AfD-Verantwortliche würden natürlich versuchen, sich mit entsprechend relevanten Äußerungen und Veröffentlichungen in dieser Zeit zurückzuhalten etc.

Problematisch ist auch das BVerfG selbst. Die Richterschaft hat nach 1956 alle Parteiverbotsanträge – auch alle Anträge auf Grundrechtsverwirkung nach Artikel 18 – scheitern lassen. Die Begründungen hierfür waren in jedem einzelnen Verfahren zumindest nachvollziehbar. Werden allerdings alle Verfahren zusammen betrachtet, erscheinen mir diese Begründungen vorgeschoben. Dazu kommt noch die Verfahrensdauer. Beim letzten NPD-Verbotsverfahren ist mehr Zeit zwischen Antragsstellung und Entscheidung vergangen als zwischen den Reichstagswahlen von 1930 – bei denen die NSDAP als zweitstärkste Fraktion konkurrierende rechte Parteien erstmals weit hinter sich ließ – und der Machtübertragung am 30. Januar 1933. Die Verfahrensdauer beim Verfahren über den Ausschluss von staatlicher Finanzierung gegen die in »Heimat« umbenannte NPD lässt auf keine Besserung schließen.

Selbst dieser Finanzausschluss könnte ein Hemmnis beim AfD-Verbot sein. Im Bundesverfassungsgerichtsgesetz ist zwar geregelt, dass der Finanzausschluss nur auf Antrag ausgesprochen werden darf. Doch ist es möglich, dass im Rahmen eines Verbotsverfahrens geprüft werden müsste, ob es kein milderes Mittel (den Finanzierungsausschluss) zu einem Verbot gäbe, um die AfD daran zu hindern, die freiheitlich-demokratische Grundordnung wirksam zu gefährden.

Doch selbst wenn die AfD verboten und aufgelöst wird, wird ihr Wählerpotenzial nicht verschwinden. Die Anhänger bräuchten nicht einmal eine neue Ersatzpartei zu gründen. Die Wahlen in Bremen (siehe antifa-Juli-/Augustausgabe) haben gezeigt, dass bereits existierende rechte Organisationen das derzeitige AfD-Wählerpotenzial fast komplett schlucken können. Problematisch wäre nur die Übernahme der AfD-Funktionärsschaft. Doch das Beispiel Björn Höcke hat bereits gezeigt, dass die AfD-Ausrichtung auch aus den hinteren Reihen gesteuert werden kann.

Fazit: Die AfD ist für Staat und Gesellschaft gefährlich. Darüber aufzuklären und gegen die AfD und ihre Gesinnungsfreunde anzugehen, bleibt unsere Aufgabe. Es ist aber sehr zweifelhaft, ob Regierungen, Justiz und Gesellschaft in der Bundesrepublik geneigt sind, diese Partei zu verbieten. Das macht es für unsere Organisation riskant, in den nächsten Jahren einen großen Teil unserer Kraft für ein solches Verbot einzubringen.

V-Leute

V-Leute sind Aktive aus kriminellen oder »extremistischen« Organisationen, die Polizei und Verfassungsschutzämter einsetzen, um an Informationen aus diesen Organisationen zu gelangen. In der Vergangenheit hat sich insbesondere bei neofaschistischen Organisationen (z. B. im NSU-Komplex) gezeigt, dass die Informationen häufig höchst fragwürdig sind und finanzielle Mittel mit oder ohne Wissen der Behörden für die Ziele der Organisationen und den Unterhalt der V-Leute eingesetzt werden.