Kirchenasyl unter Druck

geschrieben von Benedikt Kern

11. Januar 2024

Gegen die EU-Abschottungspolitik braucht es subversive Praxis. Gastkommentar

Die Verschärfung des europäischen Asylsystems ist ein nächster Schritt hin zu einer autoritären Brutalisierung. Diese Aussetzung von Menschenrechten durch technokratische Abschottungs- und Abschiebungspolitik entspricht einer grundsätzlichen Entwicklung in den spätkapitalistischen Verhältnissen.

Die antirassistische Bewegung ist angesichts dieser Übermacht zunehmend ohnmächtig und ideenlos. Ein Ausweg aus dieser Verdammnis zur Handlungsunfähigkeit im Kampf um Bleiberecht und Bewegungsfreiheit kann lediglich darin liegen, dass der ach so liberale Staat nicht das Gegenüber appellativer Anrufung ist. Vielmehr kommt es angesichts des Abschiebungsregimes darauf an, Möglichkeiten zu schaffen, es zu unterlaufen, und Situationen zu schaffen, in denen subversive Praktiken erprobt werden können.

Das Kirchenasyl ist in gewisser Weise eine solche subversive Praxis des Entziehens des behördlichen Zugriffes. Gerade deshalb steht es immer wieder neu unter Druck. Erst kurz vor Weihnachten versuchte die Ausländerbehörde Kiel mit Unterstützung des SEK mit brachialer Gewalt, ein Kirchenasyl einer afghanischen Familie in Schwerin zu räumen.1 Bereits im Juli 2023 hatte es eine Kirchenasylräumung in Viersen (NRW) gegeben. Dies ist eine neue Eskalationsstufe, und im Vorgehen der Behörden bekommt der Rassismus der Mitte sichtlich Ausdruck verliehen.

Umso wichtiger erscheint es in dieser Situation, selbstbewusst Repression in die Schranken zu weisen und zugleich zu versuchen, das Kirchenasyl staatlicher Kontrolle zu entziehen. Denn nur so kann innerhalb der gegenwärtigen Kräfteverhältnisse dem Abschiebungsregime die Macht tendenziell genommen und mit der Durchsetzung einer autonomen Bleibeperspektive experimentiert werden. Das wäre eine offensive Defensivpraxis, wenn schon im Moment nicht mehr möglich erscheint – aber es könnten zumindest neue Ideen entstehen, die in eine offensive Unversöhnlichkeit münden könnten.

Das Kirchenasyl wurde erstmals vor rund 40 Jahren – im August 1983 im damaligen Westberlin – durchgesetzt.

Benedikt Kern arbeitet beim Institut für Theologie und Politik/Ökumenisches Netzwerk Asyl in der Kirche NRW, Münster

1 abschiebungsreporting.de/bundesweite-bedrohung-der-kirchenasylpraxis-
gewaltsamer-kirchenasyl-bruch-in-schwerin