Eindrucksvolle Sammlung
27. April 2024
Florence Hervé über europäische Frauen im Widerstand gegen Nazis und Krieg
Als Florence Hervé Ende März in der Halle 5 der Leipziger Buchmesse die Bühne betrat, um ihr neues Buch vorzustellen, waren die Plätze mit knapp 80 Zuhörerinnen gut gefüllt, auch einige wenige Männer hatten sich eingefunden. Sie erfuhren, warum sich die Herausgeberin – sie wurde am 17. April 80 Jahre alt – mit diesem Thema beschäftigte, und hörten Auszüge aus zwei Biografien des neuen Sammelbandes »Ihr wisst nicht, wo mein Mut endet«.
Florence Hervé hat im Jahre 2020 den ersten Sammelband mit Biografien von Frauen aus dem antifaschistischen Widerstand in Europa unter dem Titel »Mit Mut und List« veröffentlicht. Auf der Grundlage von biografischen Skizzen, die seit Jahren im feministischen Kalender »Wir Frauen« veröffentlicht werden, und weiteren Veröffentlichungen gelang es ihr mit Historikerinnen, Journalistinnen und anderen feministischen Autorinnen aus mehreren Ländern Europas, eine eindrucksvolle Sammlung von 75 Frauenporträts aus mehr als 20 Staaten vorzulegen. Mehrere dieser Biografien entstanden auf der Basis von Interviews und Gesprächen mit den porträtierten Frauen aus dem Widerstand. Die Autorinnen seien damit so etwas wie »Zweitzeitzeuginnen« geworden.
Wie groß der Bedarf an einer solchen historischen Aufklärung ist, zeigt die Resonanz. Der erste Band ist mittlerweile in einer dritten Auflage erschienen, und Hervé wird immer wieder zu Lesungen eingeladen, in denen sie einzelne Porträts vorstellt und über die Rolle der Frauen im Widerstand diskutiert. Vor diesem Hintergrund wird klar, warum Hervé und ihr Team noch weitere Frauen dem Vergessen entreißen wollten. In Leipzig konnte der neue Sammelband vorgestellt werden, der rund 80 weitere Frauenbiografien enthält.
Die hier porträtierten Frauen kamen aus dem faschistischen Deutschland, aus besetzten und nicht besetzten Regionen. Allesamt widersetzten sie sich der Terrorherrschaft des deutschen Faschismus und dem in weiten Teilen des Kontinents tobenden Krieg. »Sie beteiligten sich an allen Aktionen des antifaschistischen Widerstands, übernahmen Verantwortung, entwickelten besondere Formen der Résistance und waren teils auch unter Waffen im Einsatz. Sie haben für die Werte der Freiheit, des Friedens, der Menschenwürde und der Solidarität gekämpft, ihr Leben riskiert und oft verloren und zur Befreiung vom deutschen Faschismus beigetragen«, schreibt Hervé im Vorwort. Wichtig ist den Verfasserinnen auch, dass sich viele dieser Frauen dabei von traditionellen Geschlechterrollen emanzipierten.
Skandinavien ist mit je einer Biografie aus Dänemark und Norwegen etwas schwach vertreten, dafür haben die Autorinnen aber mit den französischen Kolonien zum ersten Mal auch außereuropäische Regionen aufgenommen. Zu den Porträtierten zählt die weltberühmte Josephine Baker, deren Rolle im antifaschistischen Widerstand nur wenigen bekannt gewesen sein dürfte. Zuerst arbeitete sie für den französischen Geheimdienst, leistete Aufklärungsarbeit, verstecke Verfolgte auf ihrem Anwesen, später war sie auch als Künstlerin für das »Freie Frankreich« in Nordafrika unterwegs.
Über die Auswahl der Porträtierten und ihre Zuordnung zum jeweiligen nationalen Widerstand ließe sich streiten. So überrascht auf den ersten Blick, dass die Düsseldorferin Alice Stertzenbach, eine Mitbegründerin der VVN, unter Niederlande geführt wird. Tatsächlich leistete sie in diesem Land einen wichtigen Beitrag im antifaschistischen Kampf. Auch Cristina Boico, die als Rumänin nach Frankreich emigrierte und sich dort in der -FTP-MOI engagierte, findet man unter »transnationale Résistance« und nicht unter Rumänien. Tatsächlich verloren im antifaschistischen Kampf die traditionellen nationalen Grenzen an Bedeutung, dieser Kampf war auch für die Frauen ein internationalistischer.
Der Aufbau ist in allen Fällen gleich. Zuerst findet sich eine kurze Einleitung über die Besatzung bzw. die politische Situation in den jeweiligen Ländern. Anschließend folgen die Biografien, die sich jedoch nicht nur auf das Handeln im Widerstand bzw. das Verfolgungsschicksal konzentrieren, sondern auch die Vorgeschichte und – falls sie die Befreiung erlebt hatten – den weiteren Werdegang der Frauen nachzeichnen. Falls zu finden, wurde auch ein Porträt oder anderes Foto beigefügt. Die meisten Biografien sind knapp gehalten, eigentlich mehr Skizzen, die sich auf zentrale Aspekte des Widerstandes der Frauen konzentrieren. Das ist insofern bedauerlich, als viele Frauen nach dem Ende des Krieges zusätzlich eine Bedeutung in der Frauen- und Emanzipationsbewegung der jeweiligen Länder hatten. Für sie endete ihr Engagement nicht mit dem Kriegsende. Sie kämpften weiter für die »Hälfte des Himmels«, denn um »Brot und Rosen« geht es nicht nur am 8. März, dem internationalen Frauenkampftag, sondern an jedem Tag des Jahres.
In diesem Band geht es darum, Frauen wieder ein Gesicht zu geben und ihre Geschichte zu erzählen, dem Vergessen ein lebendiges Erbe entgegenzusetzen. Diese Frauen machen Mut für heute – gegen Neofaschismus, Rechtspopulismus, Rassismus, -Sexismus und Krieg.