Ins Stocken geraten

geschrieben von Gerd Wiegel

27. April 2024

Gelingt der AfD ein weiterer Aufstieg?

Das Wahljahr 2024 hat für die AfD nicht gut begonnen – trotz einer geradezu idealen Ausgangslage. Ob es aber schlecht für sie endet, muss sich erst noch erweisen. Gegenwärtig stehen alle Zeichen auf satte Zugewinne für die Partei der extremen Rechten. Seit Sommer 2023 hält sie sich in den bundesweiten Umfragen kontinuierlich auf dem zweiten Platz hinter der CDU. In den Landtagswahlländern Thüringen, Sachsen und Brandenburg liegt die AfD teils mit deutlichem Abstand auf dem ersten Platz, und für die Kommunal- und Europawahlen werden ihr starke Zugewinnen vorhergesagt.

Und dennoch ist der scheinbar unaufhaltsame Aufstieg der Partei ins Stocken geraten (siehe Spalte). Ganz ohne Zweifel haben die Correctiv-Recherchen und die publikumswirksame Offenlegung der rassistischen Deportationspläne aus dem Umfeld der AfD (siehe antifa-Märzausgabe) einen Nerv getroffen, der die langanhaltende Lähmung gegenüber dem rechten Aufstieg in eine aktive Massenbewegung gegen die extreme Rechte und speziell die AfD umgewandelt hat. Für die überzeugten AfD-Anhänger*innen ändert das sicherlich nichts an ihrer Zustimmung. Ganz im Gegenteil schweißt öffentlicher Druck Partei und Anhänger eher zusammen. Auf das volatile Feld derer, die nicht vor allem aus ideologischer Überzeugung für die AfD stimmen, sondern aus Enttäuschung und Wut über die Regierungspolitik und vorhandenem Ressentiment den Weg zur AfD gefunden haben, hatten Correctiv-Enthüllungen und Demonstrationen aber eine abschreckende Wirkung.

Hinzu kommt, dass das parteipolitische Feld seit Jahresbeginn noch einmal deutlich in Bewegung gekommen ist und mehrere Neugründungen sich auch und gerade mit Blick auf den AfD-Aufstieg aufstellen. Die »Werteunion« um den ehemaligen Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen ist dabei sicherlich weniger wichtig als das »Bündnis Sahra Wagenknecht« (BSW). Letzterem wurde vorhergesagt, vor allem auf Kosten der AfD punkten zu können. Natürlich lässt sich nicht belegen, ob der Rückgang in den bundesweiten Umfragen der AfD auf Correctiv und Demos zurückzuführen ist oder ob nicht auch die neue Konkurrenz durch das BSW Unzufriedene von der AfD abzieht. In Ostdeutschland scheint aber gleichermaßen die Linkspartei vom Aufstieg des BSW betroffen zu sein. In Thüringen beispielsweise gingen die Werte für Die Linke um Ministerpräsident Bodo Ramelow von 22 Prozent im Herbst 2023 auf nur noch 16 Prozent im März 2024 zurück, während das BSW 15 Prozent erreicht. Verluste hat aber auch die AfD zu verzeichnen, die von ihrem Höchststand bei 36 Prozent (Forsa-Umfrage Januar 2024) auf aktuell 29 Prozent (Infratest, März 2024) fiel.

Für die machtpolitischen Optionen der AfD war der Jahresanfang ebenfalls ein Rückschlag. Denn angesichts der Correctiv-Enthüllungen und der über viele Wochen anhaltenden Massendemonstrationen im ganzen Land wird es sich auch ein CDU-Landesverband mehr als einmal überlegen, ob er mit der AfD nach den Landtagswahlen in eine auch nur irgendwie geartete formale Kooperation gehen will. Das Risiko, bundesweit, aber auch im eigenen Bundesland mit solchen Protesten über Monate konfrontiert zu sein, ist zumindest wenig verlockend.

Auf der anderen Seite ist die Löchrigkeit der viel beschworenen Brandmauer in den letzten Monaten immer deutlicher geworden. In der CDU scheint es für größere Teile der Partei nicht mehr vermittelbar zu sein, inhaltliche Überschneidungen zur AfD nicht gegen den politischen Gegner zu nutzen. Vieles spricht dafür, dass diese Form der Normalisierung – Abstimmungen und Absprachen auch mit der AfD – sich fortsetzen und verstärken werden. Das von Thüringens CDU-Chef Mario Voigt inszenierte »Duell« mit Björn Höcke im TV-Sender der Welt zeigt, dass die formale Ausgrenzung der AfD mit der CDU nicht länger funktionieren wird.

Schließlich weht der AfD auch auf europäischer Ebene und mit Blick auf die EU-Wahlen der Wind ins Gesicht – trotz Wahlprognosen von bis zu 19 Prozent Stimmenanteil. Zwar verkünden Hardliner, wie der Spitzenkandidat Maximilian Krah, die AfD werde sich nicht weichspülen oder »melonisieren« lassen. Innerhalb der extremen Rechten in der EU besteht dennoch die Gefahr, dass sich die AfD isoliert. Die Kritik und Abgrenzung von Marine Le Pen mit Blick auf die »Remigrationspläne« aus dem AfD-Umfeld waren ein deutliches Warnsignal. Das kann die AfD zwar ignorieren, bestärkt aber den seit Jahresanfang verbreiteten Eindruck, die Partei sei vollständig in der Hand radikaler und faschistischer Ideologen – was sie zu großen Teilen auch ist.

Und auch der Verdacht, dass Spitzenleute der Partei auf den Gehaltslisten russischer Dienste stehen könnten, mag ihr bei Stammwählern nicht schaden, gefährdet aber den weiteren Zustrom von Menschen, die die AfD (noch) nicht aus Überzeugung, sondern aus Wut und Enttäuschung wählen wollen.

Trotz aller Einschränkungen wird die AfD bei allen Wahlen satte Zugewinne verzeichnen. Nur ein schwacher Trost ist die vage Aussicht, dass diese geringer ausfallen könnten als noch Ende 2023 befürchtet.

Gerd Wiegel ist Leiter des Referats »Demokratie, Migrations- und Antirassismuspolitik« beim DGB-Bundesvorstand.

Siehe zu den Wahlen auch die -zahlreichen Beiträge im Länderteil.

Zur Europawahl gibt es eine achtseitige Informationsbroschüre von Aufstehen gegen Rassismus. Kostenlos zu bestellen unter shop.aufstehen-gegen-rassismus.de AfD-Demoskopie Der bundesweite AfD-Spitzenwert bei Umfragen von 22 Prozent ist auf aktuell 18 Prozent zurückgegangen und verharrt seit Jahresbeginn bei diesem Wert. In Sachsen ist der Vorsprung zur CDU geschrumpft, und auch in Thüringen und Brandenburg hat die AfD leichte Rückgänge zu verzeichnen, allerdings von einem sehr hohen Niveau, teils deutlich über 30 Prozent.
Wahltermine 2024

–       25. Mai: Kommunalwahl Thüringen
–        9. Juni: EU- und Kommunalwahlen in zahlreichen Bundesländern.
–        1. September: Landtagswahl Sachsen und Thüringen
–      22. September: Landtagswahl Brandenburg