Verteidigung als Aufgabe
27. April 2024
Vor 75 Jahren: Das Grundgesetz wird verabschiedet
Angesichts der politischen Krisen in der Welt und dem Erstarken der AfD gerät ein Thema in der politischen und medialen Öffentlichkeit an den Rand, obwohl die Stadt Bonn dazu ein »Fest der Demokratie« plant: der 75. Jahrestag der Gründung der BRD. Es ist an dieser Stelle nicht der Raum, die Geschichte der deutschen Spaltung vor dem Hintergrund des Kalten Krieges, die treibende Rolle der Adenauer-Administration gemeinsam mit den Westalliierten zu beschreiben. Spätestens mit der Währungsreform und der Einsetzung des Herrenchiemsee-Verfassungskonvents war klar, dass es auf eine Separatstaatenbildung hinauslief.
Mit dem »Parlamentarischen Rat« ging man an die Formulierung einer Verfassung für diesen westdeutschen Staat. Die gesellschaftlichen Konfliktlinien spiegelten sich hier in aller Deutlichkeit wider.
Es war den Arbeiterparteien zu verdanken, dass das Grundgesetz im Ansatz einen antifaschistischen Charakter bekam. Die Erfahrungen mit Faschismus und Krieg waren im öffentlichen Bewusstsein noch präsent. Prof. Wolfgang Abendroth, als einer der wenigen Juristen aktiv im antifaschistischen Widerstand, bezeichnete in seinem Kommentar diese Verfassung als eine Art klassenpolitischen Kompromiss.
Ein Beleg dafür ist, dass es keine Wirtschaftsform vorschreibt, selbst als es bereits in den 1950er-Jahren Bestrebungen gab, die kapitalistische Wirtschaftsordnung mit der Demokratie gleichzusetzen. Wesentlich für Antifaschist*innen sind die hier fixierten Grund- und Menschenrechte. Sie sind in den Artikeln 1 bis 19 GG, die in ihrem Wesensgehalt nicht angetastet werden dürfen, verankert.
Selbst das Bundesverfassungsgericht bestätigte mit Hinweis auf das Potsdamer Abkommen in Urteilen, das Grundgesetz sei »darauf ausgerichtet, aus den geschichtlichen Erfahrungen zu lernen und eine Wiederholung solchen Unrechts ein für alle Mal auszuschließen«. In diesem Zusammenhang ist auf Artikel 139 GG hinzuweisen, in dem ausdrücklich die »Fortgeltung der Befreiungsgesetze« (»zur Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus«) festgestellt wird. Entgegen politischen Statements interessierter Politiker, dass die Fortgeltung inzwischen »obsolet« geworden sei, ist festzuhalten, dass Artikel 139 unverändert Bestandteil des Grundgesetzes und damit nach wie vor gültig ist. Wie weit seine Botschaft wirkmächtig ist, bleibt im gesellschaftspolitischen Streit auszutarieren. Das gilt auch für die anderen Artikel des Grundgesetzes. Denn Anwendung und Auslegung der Grundrechte unterliegen den gesellschaftlichen und politischen Machtverhältnissen.
Schon bei der Schlussabstimmung über den Text am 8. Mai 1949 hatten die beiden KPD-Abgeordneten das Grundgesetz mit der Begründung abgelehnt, dass damit die deutsche Spaltung besiegelt würde. Gleichzeitig betonte Max Reimann: »Es wird jedoch der Tag kommen, da wir Kommunisten dieses Grundgesetz gegen die verteidigen werden, die es angenommen haben!« Interessanterweise wird in der Geschichtsschreibung zum Grundgesetz gerne vergessen, dass nicht nur die beiden KPD-Abgeordneten, sondern weitere zehn Abgeordnete dem Text aus unterschiedlichen Gründen nicht zustimmten, darunter sechs Abgeordnete der CSU.
Schon in den 1950er-Jahren kämpften die KPD und andere linke Kräfte gegen reaktionäre Veränderungen, insbesondere durch Ergänzungen an zentralen Stellen. Dazu gehörte die Wehrverfassung, mit der in den 1950er-Jahren die Remilitarisierung der BRD ermöglicht wurde. Dazu gehörten die Notstandsgesetze, um die es in den 1960er-Jahren massiven gesellschaftlichen Streit in der BRD gab. Und dazu gehörte der faktische Abbau des Asylrechts, als Anfang der 1990er-Jahre unter dem Eindruck der rassistischen Gewalttaten in Hoyerswerda, Mölln, Rostock-Lichtenhagen und Solingen fast alle Bundestagsparteien es massiv einschränkten. Da Artikel 1 bis 19 GG grundsätzlich nicht angetastet werden dürfen, arbeitete man in diesen Fällen mit einschränkenden bzw. ergänzenden Einfügungen. So hielt man die Illusion aufrecht, dass das Grundgesetz »in seinem Wesensgehalt« nicht angetastet worden sei.
Auch 30 Jahre nach dem Ende der DDR ist Artikel 146 GG, der für den Fall der Wiederherstellung eines gesamtdeutschen Staates die Verabschiedung einer neuen Verfassung vorsieht, nicht umgesetzt worden. Das hätte einen gesellschaftlichen Diskurs erfordert, den man den Menschen und politischen Kräften in der DDR nicht zugestehen wollte. So wurde der Anschluss des Ostens als »Beitritt zur BRD« nach Artikel 23 GG geregelt. Gesellschaftliche Regelungen, die auch für den neuen Staat hätten vorbildlich sein können, wurden damit bewusst ausgegrenzt.
Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit klaffen zuweilen weit auseinander. Umso notwendiger ist es, für den Erhalt der demokratischen Rechte einzutreten. Insbesondere bezogen auf die bürgerlichen Freiheiten, die Kunst- und Wissenschaftsfreiheit, das Versammlungsrecht und andere Formen der demokratischen Partizipation gilt es, Einschränkungen zu verhindern. Es bleibt Aufgabe von Antifaschist*innen, die Verteidigung der Freiheitsrechte als Konsequenz aus den Erfahrungen des antifaschistischen Kampfes zu vermitteln.
Parlamentarischer Rat, Zusammensetzung
CDU/CSU und SPD verfügten jeweils über 27 Abgeordnete, aber auch die KPD, die sich gegen die deutsche Spaltung aussprach, war mit zwei Abgeordneten, dem ehemaligen Oberbürgermeister von Essen, Heinz Renner, und Max Reimann, vertreten. Fünf Vertreter der Liberalen und auf der rechten Seite je zwei Abgeordnete der Deutschen Partei und vom »Zentrum« ergänzten das Beratungsgremium.
Terminhinweis
Am 22. Mai 2024 findet ab 18 Uhr aus Anlass des 75. Jahrestages des Grundgesetzes im Rathaussaal von Bonn-Beuel ein »Demokratischer Ratschlag« zur Erinnerung an die Berufsverbotepraxis statt. Zugesagt haben: Maike Finnern, Bundesvorsitzende der GEW, Prof. Josef Fosche-poth, Thema Parteienverbot, Rolf Gössner, Jurist und Publizist, Werner Siebler, vom Berufsverbot Betroffener, RA Joachim Kerth-Zeller, VDJ, und Dr. Ulrich Schneider, VVN-BdA. Im Vorraum des Rathauses wird die Ausstellung zu den Berufsverboten gezeigt.