Wie eine Fliege ausspucken

geschrieben von Thomas Hacker

8. September 2024

Seit dem Krieg gegen die Ukraine radikalisiert sich die russische Politik nach rechts

Mit Beginn des Eroberungskrieges am 24. Februar 2022 hat sich die russische Politik deutlich radikalisiert. Neben geostrategischen Argumenten ließ das Regime von Anfang an keinen Zweifel an seiner Mission der Wiederherstellung alter imperialer Größe und seiner Zuständigkeit für die »Russische Welt« (russki mir). Revanchismus und völkisches Gedankengut wurden stets klar kommuniziert.

Expansion nach außen

Die herrschende Klasse expandiert »ihr Russland« unter dem Schutz ihrer Atomwaffen. Drei Tage nach Kriegsbeginn drohte Präsident Wladimir Putin jedem, der sich »einmischt«, mit Konsequenzen, die man in der Geschichte »noch nie gesehen« habe. Dmitri Kisseljow, Generaldirektor der staatlichen Nachrichtenagentur Rossija Sewodnja, möchte Großbritannien mit einer Supernuklearwaffe vernichten. Dann »würde nur noch eine radioaktive Wüste übrigbleiben«. Sein Moderator Wladimir Solowjow meint: »Wir kommen in den Himmel, die anderen kratzen nur ab.« Dmitri Medwedew, früherer Präsident Russlands (2008–2012) und heute stellvertretender Vorsitzender des Sicherheitsrates, droht nahezu täglich in martialischer Sprache mit Atomwaffen.

Russland erweitert übrigens nicht nur sein Hoheitsgebiet, sondern raubt den ukrainischen Kommunen und Menschen buchstäblich alles. Grund und Boden werden konfisziert und an russische »Investoren« verteilt.

Repression und rechte Ideologie nach innen

»Bastarde und Verräter werden wir ausspucken wie eine Fliege« (Putin). Und sie handeln auch so: Antifaschisten und Kriegsgegnerinnen werden im Land für viele Jahre weggesperrt. Man verehrt den monarchistischen und antibolschewistischen Philosophen Iwan Iljin. Dem Faschismus bescheinigte dieser noch nach Kriegsende ein »gesundes national-patriotisches Gefühl«. Auf Putins Wunsch hin wurden seine sterblichen Überreste 2005 nach Moskau gebracht und mit militärischen Ehren beigesetzt. Seit 2014 werden seine Schriften an Beamte und Offiziere verteilt. Im April 2024 ließ Putin persönlich an der Moskauer Universität ein Institut »Iwan Iljin« gründen, unter der Leitung des Ultranationalisten Alexander Dugin.1

Die Presse frohlockt über die »konservative Revolution«. Der Erhalt »traditioneller Werte« wird beschworen, Abweichungen geächtet und staatlich verfolgt. Solowjow spricht von »LGBT-Anhängern, Drogensüchtigen und Perversen«. Nazis sind immer nur die anderen, Russlands Kritiker. Somit ist auch Putins kürzliche Aussage, bei der AfD »keinerlei Anzeichen von Neonazismus«2 zu sehen, durchaus konsequent. Der Begriff des Volksfeinds ist in aller Munde. Patriotismus und Gegenaufklärung haben eine Massenbasis, auch wenn Massenbewegungen sich heute weniger auf der Straße artikulieren, sondern eher online.

Verwirrung komplett

Es mochte uns zunächst verwirren, dass sich die Russische Föderation dem Kampf gegen Nazis in der Ukraine, die ja real existieren, verschrieben hat, doch auch die »Wagner«-Truppe heißt nicht zufällig »Wagner«. Ihr Gründer Dmitri Utkin war Hitler-Fan und trug NS-Tattoos. Dass auf beiden Seiten auch Nationalisten kämpfen, sagt nichts über die Ursachen dieses Krieges aus.

Zudem mag auch der aufblühende Sowjetkult verwirren, aber dort werden nur die Aspekte betont, die den Stolz auf die Nation befeuern. Die UdSSR verdreht Putin zu einem Russland, das nur temporär einen anderen Namen trug. Jegliche Revolution, jede Art von Emanzipation ist unerwünscht. Die Bolschewiki werden für ihre Nationalitätenpolitik kritisiert: »Die Sowjetukraine ist ein Ergebnis der bolschewistischen Politik, und man kann sie heute mit Fug und Recht als Wladimir-Lenin-Ukraine bezeichnen.«3

Heikel wird es, wenn das russische FIR-Mitglied den Annexionskrieg offen befürwortet: »Verehrter Kamerad Präsident! (…) Die Russische Union der Veteranen ist wie immer mit Ihnen und mit Russland. Der Sieg wird unser sein!« (gez. Der Vorsitzende der Russische Union der Veteranen, Armeegeneral M. Moissejew)4. Keine drei Monate später, im Dezember 2022, verstirbt der Unterzeichner, und die FIR übernimmt kritiklos die Sicht des Veteranenverbands vom »wahren Patrioten, der sein ganzes Leben dem Dienst am Vaterland gewidmet hat«.5 Bei allem Respekt: Das ist peinlich. Die Rolle des Veteranenverbands (und vieler anderer, wie auch der KPRF) ist eine tragische. Er hat sich längst instrumentalisieren lassen.

Was nun?

Trotz aller notwendiger Kritik an NATO, Aufrüstung und Rechtsentwicklungen im »Westen« und in der Ukraine dürfen wir über Russland nicht schweigen. Diejenigen, die Widerstand leisten, auch bewaffneten, brauchen unsere Solidarität. Die wenigen mutigen, echten Antifaschist*innen in Russland sollten wir lautstark unterstützen, wo immer wir können.

 Anmerkungen

1 www.nd-aktuell.de/artikel/1181518.rechtes-russland-alexander-dugin-vormarsch-der-weissen-armee.html

2 Мы не видим никаких признаков неонацизма в деятельности »Альтернативы для Германии«.
tass.ru/politika/21008607

3 Aus Putins Rede an die Nation am 21.2.2022. Mehr unter thomasakeri.wordpress.com/2023/07/31/warum-sie-lenin-hassen-und-stalin-lieben

4 soyuzveteranov.ru/content/prezidentu-rossiyskoy-federacii-vv-putinu am 22.9.2022 anlässlich der Teilmobilisierung der Armee

5 www.redglobe.de/2022/12/nachruf-der-fir-auf-general-michail-a-moiseev