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4. Januar 2025

Interview mit Gorden Isler vom Verein Sea-Eye zur Situation ziviler Seenotrettung

antifa: Vor zehn Jahren beendete die italienische Marine die Operation »Mare Nostrum« auf Drängen der EU. Dabei war sie mit mehr als 150.000 Geretteten innerhalb eines Jahres sehr erfolgreich. Seit dem Ausstieg sind über 30.0000 Menschen im Mittelmeer ertrunken. Gäbe es die zivile Seenotrettung nicht, hätte es noch mehr Tote gegeben, aber auch viele die ihr Recht auf ein Asylverfahren in der EU nicht hätten wahrnehmen können.

Gorden Isler: Wir sind eingesprungen und hatten gehofft, dass die EU-Staaten irgendwann wieder in die Verantwortung zurückkehren und für sichere Fluchtrouten sorgen. Doch es ist nur noch schlimmer geworden. Einerseits sind wir und die vielen anderen Organisationen, die auf dem Mittelmeer operieren, nicht so gut aufgestellt wie die italienische oder die maltesische Küstenwache. Andererseits werden wir zunehmend politisch angegriffen und kriminalisiert. Das fing im Sommer 2017 mit dem damaligen Innenminister Thomas de Maizière (CDU) an, der haltlose Vorwürfe in den Raum stellte, dass die private Seenotrettung mit den kommerziellen Schleusern von Menschen paktiere. Sofort brachen die Spenden ein – beweisen konnte er seine Anschuldigungen nicht.

Solche Erzählungen und die Behauptung, die Seenotrettung würde zu gefährlichen Überfahrten erst ermuntern, sollen von den Toten ablenken, die durch ein zunehmend brutales EU-Grenzregime verursacht werden. Das hat sich verfestigt in der öffentlich Wahrnehmung und war letztlich die Vorbereitung für die Strafverfahren gegen manche der Crews wegen Schlepperei oder die Festsetzungen von Schiffen mit fadenscheinigen Begründungen. Auch so einzuordnen ist das neue Gesetz unter Meloni in Italien, das unsere Schiffe verpflichtet, nach einer Rettung sofort einen Hafen anzusteuern, der von den italienischen Behörden bestimmt wird. Auf dem Weg dürfen in der Regel keine weiteren Menschen gerettet werden – außer wir erhalten dafür die explizite Erlaubnis. Und die Häfen, die für uns ausgewählt werden, liegen in Norditalien, also sehr weit weg vom Einsatzgebiet. Es wird immer schwieriger, unsere humanitäre Arbeit zu leisten. Das hat leider Kontinuität und wird unter den rechten Regierungen schlimmer.

antifa: Die EU will die Zahl an Geflüchteten senken. Ein Mittel ist die letztlich beschlossene GEAS-Reform, die Schnellverfahren an den Außengrenzen zur Regel erklärt und damit die individuellen Asylverfahren aushebelt. Alle Proteste und klugen Warnungen dagegen waren erfolglos. Ist das nicht ein Zeichen dafür, dass die AfD schon längst mitregiert?

Gorden Isler ist ehrenamtlicher Co-Vorsitzender von Sea-Eye e. V. Der Verein ist 2015 in Regensburg gegründet worden und hat rund 800 Mitglieder. Seit der Gründung hat Sea-Eye mehr als 18.000 Menschen im zentralen Mittelmeer vor dem Ertrinken gerettet. Infos: sea-eye.orgFoto: Alisa Sterkel

Gorden Isler ist ehrenamtlicher Co-Vorsitzender von Sea-Eye e. V. Der Verein ist 2015 in Regensburg gegründet worden und hat rund 800 Mitglieder. Seit der Gründung hat Sea-Eye mehr als 18.000 Menschen im zentralen Mittelmeer vor dem Ertrinken gerettet. Infos: sea-eye.org
Foto: Alisa Sterkel

G. I.: Das kann ich nicht beurteilen. Für mich persönlich zeigt die politische Biografie des SPD-Kanzlers aber, dass er bei Geflüchteten seit vielen Jahren auf Abschreckung setzt. Auch bei der Spitze der Grünen habe ich nicht den Eindruck, dass es eine AfD-Regierungsbeteiligung brauchte, um der GEAS-Reform und dem sogenannten Rückführungsverbesserungsgesetz »mit Bauchschmerzen« zuzustimmen. Die Beschlusslage der Basis beider Parteien und der Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien ist flüchtlingspolitisch auch völlig anders, als es dann von der Bundesregierung umgesetzt wurde. Der unbedingte Wille, diese Regierungskoalition mit der FDP am Leben zu halten, spielte offenbar eine größere Rolle.

Aber es gibt ja auch andere Möglichkeiten für uns, Politik zu gestalten. Die Seebrücke hat das Konzept der »Sicheren Häfen« entwickelt und damit eine Diskussion zu Seenotrettung und Abschottungspolitik in den Kommunen ins Leben gerufen. Wenn die EU und die Bundesregierung schlechte Politik machen, kann eine Kommune auch entscheiden, dass sie sich beispielsweise mit Geld und anderen Hilfen in der Seenotrettung engagiert. Die Stadt Konstanz war die erste Kommune, die eine Patenschaft für ein Sea-Eye-Rettungsschiff beschloss, und es folgten viele weitere. Bern unterstützt uns beispielsweise seit 2024 mit 70.000 Schweizer Franken, weil die Bürgerschaft es wichtig findet, dass wir mit unseren Schiffen im Mittelmeer Leben retten. Es ist allerdings schon bezeichnend, dass es im Konstanzer Kreistag nicht die AfD war, sondern die CDU, die im Dezember 2024 verlangt hat, dass wir nur noch dann Spenden der Stadt erhalten, wenn wir die Geretteten direkt nach Libyen zurückbringen – was rechtswidrig wäre.

antifa: Wir stellen uns auf weitere Unmenschlichkeiten der Politik ein. Auch die veränderte Stimmung in Deutschland werdet ihr lokal spüren. Welche Vorkehrungen trefft ihr?

sea-eyeG. I.: Wir sind seit vielen Jahren unter Druck. Mit dem für uns zuständigen Finanzamt haben wir abgeklärt, dass wir Spenden auch zur Verteidigung unserer Crews nutzen dürfen, sollten wir Gegenstand eines Strafverfahrens werden. Wir versuchen auch, unsere Lokalgruppen zu stärken. Diese werden relevanter für die Bündnisse, die wir dringender denn je brauchen. Wir werden unsere lokalen Strukturen noch weiter ausbauen, um mit der Politik im Gespräch zu bleiben und um regelmäßig über die Situation an den EU-Außengrenzen zu informieren.