Stützen der Gesellschaft
4. Januar 2025
antifa-Spezial zu Strategien der Zivilgesellschaft gegen den Rechtsruck
Wie werden eigentlich der Rechtsruck und die aktuellen parlamentarischen Machtverschiebungen von den großen Organisationen der Zivilgesellschaft interpretiert, und wie wird ihnen begegnet? Schließlich können sich die verbandlichen Akteure, wie Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände, Sport-, Kultur-, Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen, sowie die Kirchen als Träger des Gemeinwohls schwerlich raushalten. Die Szenarien, die seit einigen Jahren im Raum stehen, sind Unterwanderung oder zumindest starke Behinderung der Arbeit durch rechte Akteure und der allgemeine Rückbau des Gemeinwesens durch den neoliberalen Staat, der sich aus der Verantwortung zieht. 2025 wird beides wahrscheinlicher, wenn sich die Organisationen nicht wandeln.
Interventionen und Reaktionen
Die organisierte Rechte, allen voran die AfD, nutzt jede Gelegenheit, um vorhandene Konflikte und strukturelle Widersprüche der Zivilgesellschaft zu politisieren. Zentrale Kritikpunkte sind die Nähe zum Staat bzw. dem »Establishment«, tatsächliches Fehlverhalten und das scheinbare Übertreten des jeweiligen Auftrags hin zu politischen Äußerungen zu Menschenrechten und Teilhabe. Die Bemühungen durch rechte Akteure, als Gegenbewegung auch eigene Gewerkschaften, Vereine und Netzwerke aufzubauen, um ihre Anliegen zu vergemeinschaften, funktioniert (noch) nicht flächendeckend. Eine rechte Landnahme in den oberen Etagen der organisierten Zivilgesellschaft konnte bisher verhindert werden, dennoch herrscht eine große Unsicherheit, wie auf rechte Interventionen von innen und außen zu reagieren ist. Das Dilemma liegt im Populismus: Jede Reaktion birgt die Gefahr, die Angriffe zu verstärken. Die Studie »Zivilgesellschaft und Rechtspopulismus« kommt 2022 zu dem Befund, dass eher situativ-reaktiv gehandelt wird, um die Situation kurzfristig zu stabilisieren, statt ein Bündel an Reaktionen zu entwickeln, die strategisch aufeinander bezogen sind. Eine vom Leitbild der Organisationen ausgehende Strategie kann das Ignorieren von rechten Provokationen genauso beinhalten wie das tiefgreifende innerverbandliche Auseinandersetzen, das öffentliche Abgrenzen und Distanzieren, genauso wie das Ausschließen und Ausgrenzen bestimmter Teile der Mitgliedschaft. Obwohl die meisten Organisationen eine hohe Sensibilität für die Gefahr von rechts haben, sehen sie das nicht im eigenen Verband. Eigene Ressourcen werden für das Thema kaum mobilisiert, weshalb die staatlichen Förderungen im Rahmen zum Beispiel des Bundesprogramms »Demokratie leben!« essentiell sind. Viele reagieren erst, wenn sie selbst betroffen sind oder es genug öffentlichkeitswirksamen Druck gibt, sich demokatiepolitisch zu engagieren. Die Ängste, selbst in den Fokus zu geraten, Mitglieder oder Spender*innen zu verlieren oder dem gesellschaftlichen Auftrag durch »Nebenschauplätze« nicht gerecht zu werden, sind groß. Dabei sollte schon das Selbsterhaltungsinteresse dazu führen, eine strategische Haltung zu rechten Interventionen zu entwickeln, die sich in die jeweiligen Verbandskulturen eingliedern lässt. Wer, wenn nicht das organisierte Gemeinwesen, wäre dazu besser in der Lage, sich solchen Aufgaben zu stellen?
Wandel ist möglich
In der Studie »Organisationaler Wandel durch Migration«, ebenfalls von 2022, wird aufgezeigt, wie schnell sich die Arbeit der Zivilgesellschaft durch den plötzlichen Anstieg der Geflüchtetenzahlen und der dadurch ausgelösten Verwaltungskrise ab 2015 transformiert hat. Sehr schnell entstanden Asylhilfestrukturen quer zu den eigentlich damit beauftragten Strukturen. Mitglieder der großen Organisationen stellten Ansprüche nach flüchtlingspolitischem Engagement der eigenen Gewerkschaft, der Schule oder des eigenen Sportvereins. Neue Netzwerke zwischen politischen Bewegungen und der organisierten Zivilgesellschaft zur Artikulation von Forderungen und der Bereitstellung schneller Hilfe wurden wie selbstverständlich gebildet. Die Organisationen mussten sich schnell anpassen und taten es. Sie erweiterten ihren Auftrag und schlossen Geflüchtete mit ihren spezifischen Bedürfnissen selbstverständlich in das Gemeinwesen mit ein. Der Schlüssel dazu war nicht nur das Versagen des Staates, sondern die Identität der Organisationen der Zivilgesellschaft, für die die Herausforderungen der pluralistischen Gesellschaft und die Fragen nach demokratischer Teilhabe konstitutiv sind. Wenn die Zivilgesellschaft die drohende rechte Raumnahme und den drohenden Entzug von Mitteln durch den Staat wieder als ein Ineinandergreifen von Krisen aus Staatsversagen und Bedrohung demokratischer Teilhabe anerkennt, ist sie auch in der Lage, sich anzupassen. Sie könnte unabhängiger vom Staat, resilienter gegen Krisen und gestärkter aus diesen Bedrohungen hervorgehen.