Wandern und Paintball spielen?
4. Januar 2025
Die Neonazi-Terrorgruppe »Sächsische Separatisten« wurde hochgenommen
Fast zwei Jahre hatte sich der Account @radereinhard auf X nicht mehr zu Wort gemeldet. Das änderte sich im Spätherbst 2024. Auf einen Taz-Artikel zu der Anfang November hochgenommenen Neonazi-Terrorgruppe »Sächsische Separatisten«, der als Titelbild ein Foto von Björn Höcke mit einem Teil der festgenommenen Jungnazis auf dem Marktplatz im sächsischen Grimma zeigte, antwortete Reinhard Rade: »Klassische Geheimdienstarbeit. Ein Foto vom ›Dorffest‹ aus 2022. Zwei Jahre gibt’s nichts her. Aber dann kommt zum Glück das FBI zur Hilfe.« Und einen Artikel des Spiegel zum gleichen Thema kommentiert er: »›Leider‹ fehlt jeder konkrete Tatvorwurf. Ein Meinungsdelikt. Aber im System ›1984‹ reicht ja auch eine ›unrichtige‹ Meinung zur Haft.«
Die übliche Verteidigungsstrategie. Für Rechtsanwalt Martin Kohlmann, Vorsitzender der extrem rechten Kleinpartei »Freie Sachsen« und Verteidiger des mutmaßlichen Anführers der Sächsischen Separatisten, handelt es sich lediglich um eine »Wandergruppe«, die »Paintball-Spiele« durchgeführt habe. Das österreichische Desinformationsportal AUF1 macht aus der Razzia bei dem Beschuldigten Kurt Hättasch einen »Kettensägen-Überfall auf junge Mutter«, Sachsens Behörden hätten »eine angebliche Terrorzelle konstruiert«, es handele sich um einen »Geheimdienstskandal«. Das alles im Aufmacher zu einem halbstündigen Interview mit der Lebensgefährtin von Hättasch.
Die Geschichte hat eine Vorgeschichte. Und oft versteht man die Geschichte besser, wenn auch diese Vorgeschichte bekannt ist. X-User @radereinhard ist niemand anderes als der Leipziger Unternehmer Reinhard Rade, der seit der Wende dort ansässig ist. Damals als »DDR-Koordinator« der »Republikaner«, der tonnenweise Propagandamaterial zu den Montagsdemos der Stadt brachte. Schon früh war er Mitarbeiter des Neonaziblattes Sieg geworden, später war er sogar den Republikaner zu radikal. Sie schlossen ihn aus. Rade blieb in Leipzig und wurde Unternehmer in der Baubranche.
Rade scharte in seinen Unternehmen Neonazis um sich. Geschäftsführer seiner Firma BBM wurde der Franzose Nicolas Peucelle, der sich auch im Söldnermilieu bewegte. Aus Österreich kam Hans Jörg Schimanek jun., Sohn eines FPÖ-Landtagsabgeordneten und zeitweise führend in der Neonazigruppe »Volkstreue Außerparlamentarische Bewegung«. Wegen NS-Wiederbetätigung wurde er zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Zur Nachwendezeit kam er nach Leipzig. Seitdem ist er Reinhard Rade eng geschäftlich verbunden.
Gleich drei seiner Söhne gelten als Mitglieder der »Sächsischen Separatisten«, einer sitzt in Untersuchungshaft in Deutschland, ein zweiter, der der Gruppengründer sein soll, in Auslieferungshaft in Polen. Es handelt sich sozusagen um eine Art Familientradition. Vater Hans Jörg Schimanek jun. war ebenfalls in einer militanten Wehrsportgruppe aktiv.
Diese beiden Söhne sind auch auf dem »Gruppenbild mit Höcke« zu sehen, aufgenommen 2022 bei einem Sommerfest der AfD in Grimma. Mit dabei sind weitere Mitglieder der Sächsischen Separatisten. Zum Beispiel Kurt Hättasch, Fraktionsvorsitzender der AfD im Grimmaer Stadtrat, Mitglied im Kreisvorstand der AfD, Landesschatzmeister der Jungen Alternative Sachsen, Mitarbeiter eines AfD-Landtagsabgeordneten, mehrfach Gast beim »neu«rechten Institut für Staatspolitik des Götz Kubitschek. Oder Kevin R., mit Hättasch gemeinsam im Jugendblasorchester der Stadt und ebenfalls kommunalpolitisch für die AfD aktiv. Er vermittelte die Kontakte zum ehemaligen Berliner Finanzsenator Peter Kurth (einst CDU). Beide hatten sich bei der Berliner Burschenschaft Gothia kennengelernt, Kurth ist dort Vorsitzender des Altherrenverbandes, Kevin R. hat Funktionen beim Jugendableger Iuvenis Gothia. Letztlich stellte Kurth 100.000 Euro als Darlehen zur Verfügung, die zur Finanzierung eines rechten Szenetreffs in zentraler Lage der Stadt dienen sollten.
Das Bild zeigt vor allem die engen Verflechtungen zwischen der AfD und jungen Neonazis, die sowohl innerhalb wie auch außerhalb der Partei aktiv waren. Es verwundert also nicht, wenn Rade in seinem Post dessen Bedeutung herunterspielen will.
Die Spur in die Vorgeschichte der Sächsischen Separatisten zeigt aber noch weitere Verbindungen auf. Hättaschs Lebensgefährtin Hella, die gegenüber AUF1 so wortreich über den »Kettensägen-Überfall« klagte, bei dem ihr Mann durch einen Schuss verletzt wurde, ist die Tochter des Führungsmitglieds der als kriminelle Vereinigung verbotenen »Skinheads Sächsische Schweiz« Thomas Sattelberg. Danach machte Sattelberg Karriere in der NPD, wurde ihr Kreisvorsitzender, Mitarbeiter der Landtagsfraktion und ist aktiv beim »Haus Montag«, einer Neonaziimmobilie in Pirna.
Alles spricht also dafür, dass es sich bei den Sächsischen Separatisten um weit mehr als eine »Wandergruppe« handelt. Auch der Umstand, dass es Verbindungen zu terroristischen Gruppen in den USA gab. Und nicht zuletzt der Umstand, dass der Gruppengründer von den deutschen Behörden als »Gefährder« der Stufe 1, der höchsten Kategorie, geführt wurde. Es spricht nicht gerade für diese, dass es trotzdem erst eines Hinweises des FBI bedurfte, damit sie auf die Terrorgruppe aufmerksam wurden.
Kerstin Köditz wurde am 2. November 2024 zur neuen ersten Sprecherin der VVN-BdA Sachsen gewählt.