Wachsamkeit fordern

geschrieben von Janka Kluge

12. März 2025

Ein kleiner Band mit Analysen zur Rolle des Mythos in der Naziideologie

Im Tentare-Verlag ist ein kleines Büchlein der beiden französischen Philosophen Philippe Lacoue-Labarthe und Jean-Luc Nancy erschienen. Es enthält einen Vortrag der beiden aus dem Jahr 1980. Sie nähern sich dabei der Rolle des Mythos im Nationalsozialismus auf zwei sehr unterschiedliche Weisen. Der erste Teil ist eine Abhandlung über den Mythos allgemein. Behandelt wird darin, warum sich eine Denk- und Glaubensrichtung wie die der deutschen Mystiker im 14. Jahrhundert gegründet hat und welche Auswirkungen sie später auf die deutsche Romantik hatte. Im zweiten leichter lesbaren Teil wird der Einfluss auf Hitler am Beispiel des Buches »Mein Kampf« und auf Alfred Rosenbergs Buch »Der Mythus des 20. Jahrhunderts« aufgegriffen.

Ihre Motivation für die Beschäftigung mit dem »Nazi-Mythos« oder dem »Mythos des Nationalsozialismus«, wie sie auch schreiben, ist folgende: »Was uns am Nazismus interessiert und was uns beschäftigen wird, ist im Wesentlichen die Ideologie, in dem Sinne, wie Hannah Arendt diesen Begriff in ihrer Studie über ›Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft‹ definiert hat. Das heißt, Ideologie als die sich vollständig erfüllende (und einem Willen zur vollständigen Erfüllung entspringende) Logik einer Idee, die den ›Anspruch auf totale Welterklärung‹, auf ›totale Erklärung alles geschichtlich sich Ereignenden‹ erhebt, ›und zwar totale Erklärungen des Vergangenen, totales Sich-Auskennen im Gegenwärtigen und verlässliches Vorhersagen des Zukünftigen‹.« (S. 20 f.)

Philippe Lacoue-Labarthe und Jean-Luc Nancy: Der Nazi-Mythos. Tentare-Verlag, Freising 2024, 68 Seiten, 7,80 Euro

Philippe Lacoue-Labarthe und Jean-Luc Nancy: Der Nazi-Mythos. Tentare-Verlag, Freising 2024, 68 Seiten, 7,80 Euro

Diesen Anspruch führen die Autoren anhand der beiden wohl wichtigsten Nazibücher vor. Hitler hat das Buch »Mein Kampf« während der Haft diktiert, und der führende NSDAP-Ideologe Alfred Rosenberg, oft als Philosoph der Nazipartei beschrieben, hat Hitlers Buch zu untermauern versucht. Bereits im Titel von Rosenbergs Buch ist der Mythosbegriff genannt. Für Rosenberg ist dieser nur echt, wenn der ganze Mensch erfasst wird. Es gibt nur die absolute Identifikation mit dem Mythos des »arischen« Menschen oder dessen Ablehnung. Alle, die nicht dazugehören, wie die jüdischen oder die slawischen Menschen, gehören nach dieser Überzeugung nicht nur ausgeschlossen, sondern in letzter Konsequenz vernichtet. Die Besonderheit gegenüber extrem rechten Parteien anderer Länder ist die Betonung des Blutes als Trägerin des Mythos und nicht der Sprache, wie in Frankreich oder Italien.

In einem Vorwort für die französische neue Ausgabe des Buches von 1991 schreiben Lacoue-Labarthe und Nancy: »Und in der Tat, die Aktivität oder Agitation der extremen Rechten in den letzten Jahren, das Phänomen des ›Revisionismus‹ hinsichtlich der Shoa, die Leichtigkeit, mit der Neonazigruppen in der ehemaligen DDR auftreten, zudem die ›Fundamentalisten, Nationalismen und Purismen aller Art, von Tokio bis Washington und von Teheran bis Moskau – all das sind gute Gründe, eine solche Wachsamkeit zu fordern.« (S. 8)

Neben dem aktuellen Kampf gegen die AfD und rechte Tendenzen ist es wichtig, sich immer wieder die Wurzeln und die ideologischen Grundlagen anzuschauen. Auch wenn das Buch teils schwer zu lesen ist, ist es ein guter Einstieg.