Kritiker rechter Ideologien

geschrieben von Ulrich Stuwe

6. September 2025

Narthex zu regressiven Erscheinungen, Strategien, Taktiken und Grundlagen

Bereits Ende 2024 ist die 9. Ausgabe von Narthex – Heft für radikales Denken erschienen. Diese Ausgabe trägt den Titel »Jenseits der Mitte? Zur Kritik der (neu-)rechten Ideologie«. Die Autorinnen und Autoren beleuchten aktuelle Erscheinungen, Strategien, Taktiken und Grundlagen rechter Bewegungen in Deutschland und Europa. Sie liefern meist auf wenigen Seiten Berichte und Analysen aktueller rechter Aktivitäten.

Was die Herausgeber sowie Autorinnen und Autoren des Heftes verbindet, ist die Ablehnung derzeit in der deutschen Mehrheitsgesellschaft gängiger Erklärungen für das verstärkte Auftreten neofaschistischer Parteien und Bewegungen. An die Stelle treten eigene Erklärungen, die logischerweise in den Beiträgen nicht identisch sind, sich bei einigen in jeweils anderer Herangehensweise aber auch wiederholen. Vorherrschend sind Erklärungsansätze, die vor allem Imperialismus und Neo-liberalismus für den erstarkenden Neofaschismus verantwortlich machen und dementsprechend eine nichtkapitalistische Zukunft als Ausweg andeuten.

Dies gilt zum Beispiel für den Publizisten Ingar Solty. Im Interview stellt er eine Theorie des Freihandelsimperialismus des Westens auf, der für die Militarisierung im Äußern und Innern, zunehmende Aufrüstung und Ausbeutung von Menschen und Natur verantwortlich gemacht wird.

Doch auch Mia Hampe, Patricia Dobrijevic, Dirk Stemper, Lukas Meisner, Flavia Di Mario gehen in eine ähnliche Richtung. Dass der Neoliberalismus die beherrschende Ideologie des Westens ist, ist unter Linken weitgehender Konsens. Ebenso, dass der Neoliberalismus zur Durchsetzung seiner Vorstellungen sich auch des Nationalismus und Faschismus bedient. Es fehlt den Beiträgen an konkreten Erklärungen, warum AfD und Co. sich gerade jetzt zu Höhenflügen aufschwingen, die sie in die oberen Etagen der Ministerien bringen kann oder schon gebracht hat.

Lukas Meisners Beitrag sieht eine Übernahme extrem rechter Forderungen in fast allen parlamentarisch vertretenen Parteien, mit dem Resultat, dass es zu einer zunehmenden Faschisierung durch Neoliberalismus kommt. Die Erkenntnis, dass der Faschismus an der Macht ein anderes Regime war, als es seine rechten Vorgängerregierungen waren, ist in Meisners Beitrag nicht erkennbar. Auch damals hatten die Regierungen von Brüning, Papen und Schleicher vor der Machtübergabe wesentliche Teile der NS-Ideologie übernommen und zum Teil schon umgesetzt.

Halkyonische Assoziation für radikale Philosophie (Hg): Narthex – Heft für radikales Denken. Ausgabe 9 (2024/25): Jenseits der Mitte? – Zur Kritik der (neu)rechten Ideologie, Schutzgebühr: 15 Euro

Halkyonische Assoziation für radikale Philosophie (Hg): Narthex – Heft für radikales Denken. Ausgabe 9 (2024/25): Jenseits der Mitte? – Zur Kritik der (neu)rechten Ideologie, Schutzgebühr: 15 Euro

Philipp Haimerl bietet einen eigentümlichen Ansatz. Anhand von Robert Seethalers Roman »Der Trafikant« interpretiert der Autor einen bestimmten Typus des Faschisten. Der Fleischer Roßhuber denunziert den Trafikanten Otto Trsnjek im Wien der 1930er Jahre. Trsnjek stirbt. Der eigentliche Protagonist Franz Huchel – Trnsjeks Lehrling – konfrontiert den Fleischer mit der zurückgesandten Hose des Toten. Roßhuber bricht durch die Konfrontation mit seinen Taten zusammen. Haimerl glaubt daran, dass rechtes Denken wie Ideologie an sich den Menschen entmenschlicht. In Momenten zwischenmenschlicher Begegnung wird rechtes Denken selbst entwaffnet und die Menschlichkeit wiederhergestellt. So dass wir einfach wieder mehr Zwischenmenschlichkeit verbreiten müssen.

Autor Paul Stephan weicht ebenso deutlich von den anderen Verfassern ab. Ihm geht es darum, das Verhältnis von Friedrich Nietzsches Philosophie zu Adolf Hitlers Ideologie aufzudecken. Nietzsche ist dabei nicht der Philosoph mit einheitlichem Werk. Zumindest bis 1882 gilt Nietzsche nicht als Philosoph eines Übermenschentums, sondern wehrt sich insbesondere in seiner kritischen Auseinandersetzung mit Wagner gegen Nationalismus und Antisemitismus. Später allerdings liefert er mit dem Dualismus des Begriffs des Übermenschen, der allein das Große schafft und sich für sein Tun nicht rechtfertigen muss, und dem Begriff der Massen, die bestenfalls Werkzeug des schaffenden Übermenschen sind, ansonsten mit seinen Ansprüchen dem Großen nur im Wege steht, philosophische Vorgaben für die Entmenschlichung durch die Naziideologie.

In eine ähnliche Richtung geht der Beitrag Manuel Stadlers, der sich mit der Faschismustheorie Georges Batailles und dessen Auseinandersetzung mit dem Werk Nietzsches beschäftigt. Hier steht der autoritäre Staat, der den Individualismus, das Selbstdenken und Selbsthandeln mit allen Mitteln auslöschen will, gegen den selbstdenkenden freien Menschen.

Lou Wildemann plädiert gegen einen moralisierenden Umgang mit rechtem Denken und verlangt wieder politisch, das heißt auch polarisierend zu denken. Aber nicht, um wie die Rechten die andere Meinung – samt ihrem Träger – zu beseitigen, sondern sich wirklich mit der anderen Position auseinanderzusetzen und sie notfalls auszuhalten. Eef Veldkamp fordert die ökonomisch-sozialen Forderungen rechter Parteien (hier anhand der niederländischen PVV Geert Wilders) als Grund für dessen Wahlerfolge ernst zu nehmen.

Zusammenfassen ließe sich, dass die Ausgabe durchaus mit Gewinn gelesen werden kann. Aber durch die Kürze der Beiträge fehlt es einigen Texten an Tiefe und Detailschärfe.

Infos und Bezug: harp.tf/narthex-heft-fuer-radikales-denken/