Kein Lohn für Nazihelfer

geschrieben von Ulla Jelpke

27. Januar 2021

Belgien fordert Ende der SS-Renten

Knapp zwei Jahre nach der Forderung des belgischen Parlaments, ehemaligen Nazikollaborateuren die deutschen Versorgungsleistungen zu entziehen, wird sich Ende Januar auch der Sozialausschuss des Bundestags mit dem Thema befassen – auf Antrag der Linksfraktion. Mit großer Mehrheit hatte das belgische Parlament im März 2019 die Gewährung von Leistungen »für die Kollaboration mit einem der mörderischsten Regime der Geschichte« verurteilt und die Einrichtung einer deutsch-belgischen Untersuchungskommission gefordert. Die sogenannten Kriegsopferleistungen erhalten unter anderem Personen, die durch Kriegseinwirkung oder in Kriegsgefangenschaft bleibende Gesundheitsschäden erlitten haben. Das gilt auch für ausländische Kollaborateure, die sich in den besetzten Ländern SS- oder Polizeiverbänden anschlossen. Sie können ihre »Dienst«- sowie Gefangenschaftszeiten außerdem als Ersatzzeiten bei der Rentenkasse geltend machen. Berufsmäßige Angehörige der Waffen-SS, die im Fronteinsatz waren, können außerdem Rentenansprüche aus ihrer Tätigkeit ableiten.

Bekannt wurde das erst in den 1990er Jahren, als vor allem im Baltikum frühere Angehörige der dortigen Kollaborationseinheiten (SS- beziehungsweise Polizeiverbände) Anträge einreichten – zu einem Zeitpunkt, an dem überlebende NS-Opfer in Osteuropa noch keinerlei Entschädigung erhalten hatten.

Seit 1998 sieht § 1a des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) vor, Personen, die gegen die »Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit« verstoßen haben, die Leistungen zu entziehen. Für die Bundesregierung ist das Problem damit gelöst. Nur: Diese Neuregelung ist praktisch komplett gescheitert. Von der Gesamtzahl aller Leistungsempfänger des Jahres 1998 – 940.000 – wurden gerade einmal 99 die Leistungen entzogen. Das sind rund 0,01 Prozent. Anzunehmen, dies entspreche dem Anteil jener Wehrmachts- und SS-Angehörigen, die Kriegsverbrechen begingen, ist reinste Geschichtsklitterung.

Die Studie »Die Neufassung des §1a Bundesversorgungsgesetz (BVG): Streichung von Kriegsopferrenten für NS-Täter« (2016) von Stefan Klemp und Martin Hölzl steht im Internet unter kurzlinks.de/ns-taeter zur Verfügung

Die Studie »Die Neufassung des §1a Bundesversorgungsgesetz (BVG): Streichung von Kriegsopferrenten für NS-Täter« (2016) von Stefan Klemp und Martin Hölzl steht im Internet unter kurzlinks.de/ns-taeter zur Verfügung

Eine vor vier Jahren abgeschlossene Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zeigt, dass selbst eindeutige Naziverbrecher weiterhin staatliche Leistungen beziehen konnten.

Zum Beispiel Jakob W., der von Ende 1942 bis Anfang 1945 in Auschwitz-Birkenau als Wächter, teilweise auch an der Rampe, diente. Kurz vor Kriegsende wurde er bei einem Fronteinsatz verwundet. Das zuständige Versorgungsamt wollte ihm die Leistungen entziehen, das Bundessozialgericht (BSG) entschied aber 2006, es sei nicht erwiesen, dass Jakob W. »schuldhaft« gehandelt habe. Er könne ja eventuell im »Befehlsnotstand« gewesen sein.

Das BSG billigte auch Erwin K. weitere Leistungen zu, der als Angehöriger einer SS-Infanteriebrigade im September 1941 an der Erschießung Dutzender Zivilisten beteiligt war. Nicht hierfür, aber für die später in fünfjähriger Kriegsgefangenschaft erlittenen Verletzungen stünde ihm Entschädigung zu. Als Gefangener sei er ja nicht mehr als Unterstützer des NS-Regimes zu betrachten, so die feinsinnige Differenzierung des Gerichts. Das sind keine Einzelfälle, wie die Autoren der Studie betonen: »Auch andere KZ-Aufseher und sogar Lagerleiter erhielten Kriegsopferrenten.«

Häufig wurden Leistungsentziehungen gar nicht erst eingeleitet. Zu einem kompletten Aktensturz sahen sich die kommunalen beziehungsweise Landesämter außer Stande. Hinzu kommt, dass die zuständigen Behördenmitarbeiter nicht die nötige geschichtswissenschaftliche Qualifikation hatten, um darüber zu befinden, ob ein Leistungsempfänger tatsächlich in einem vermeintlichen Befehlsnotstand war, wie es um die Entscheidungsspielräume innerhalb militärischer Organisationen bestellt war und so weiter. Häufig zogen sie Justizakten heran. Und weil Ermittlungsverfahren gegen Naziverbrecher in den 1960er Jahren in der Regel eingestellt wurden, erkannten auch die Versorgungsämter 40 Jahre später kein »schuldhaftes« Verhalten der Täter.

Im Mai 2019 gab es noch knapp 63.000 Empfänger von Versorgungsleistungen. Darunter sind auch Zivilisten, die eine Kriegsbeschädigung erlitten haben. Die Leistungen liegen im Schnitt bei rund 400 Euro monatlich und damit höher als für manche Nazi-Opfer. Der Anteil der SS-Freiwilligen unter ihnen ist bislang unklar, weil die für das Bundesversorgungsgesetz zuständigen Landesverwaltungen keine händische Aktenauswertung vornehmen. Bekannt ist, dass in Belgien noch mindestens ein ehemaliger SS-Mann und in Frankreich vier SS-Angehörige, darunter drei Franzosen, Leistungen aus Deutschland beziehen. Die Linksfraktion fordert, generell ehemaligen SS-Freiwilligen die Leistungen zu verweigern, um den Dienst für die Nazis nicht auch noch zu belohnen.