Veränderter »Tatort«
17. Mai 2021
Wenn sich Krimis an der Hufeisentheorie versuchen und Polizeikritik zerstreuen
Die Krimiserie »Tatort« bleibt beliebt. Man fragt sich zunehmend, warum. Vor allem die Hauptrollen haben meist recht wenig mit der Polizei gemein, die man von Verkehrskontrollen und Demos kennt. Die uniformierten sonstigen Polizist_innen, die mit ihren Dialekten das jeweilige Regionalflair beisteuern, werden dafür oft als unfreundlich, grob oder latent rassistisch gezeigt. Doch solange das nur die niederen Dienstgrade betrifft, gibt es im »Tatort« kein Polizeiproblem. Immer wieder sickern politisierbare Sachverhalte von Asylpolitik bis Windkraft in den Krimi ein und treiben dabei oft bizarre Blüten. Die Folgen »Hetzjagd« und »Heile Welt« (beide gesendet im Februar) setzten hier allerdings neue Standards. Sie widmen sich unterschiedlichen Phänomenen der extremen Rechten mit Drehbüchern, die irgendwo zwischen Groschenroman, Compact-Magazin und Verfassungsschutzbericht einzuordnen sind.
In »Hetzjagd« ermitteln die Kommissarinnen Odenthal und Stern in Ludwigshafen, nachdem der linke Konzertveranstalter Meinecke erschossen wurde. Wegen »Rock gegen Rechts« stand er im Fadenkreuz der Terrorzelle »Revenge 88«. Doch als der Neonazi Reents ihn beim Joggen abpassen und als Volksverräter hinrichten will, ist er schon tot. Erschossen. Aber abgedrückt hat die Mutter seiner Freundin Maria, deren Liebe er nicht erwiderte. Der Fingerzeig des »Tatorts«: Wir sehen einen toten Antifa und einen Nazi mit Waffe. Jetzt keine vorschnellen Schlüsse ziehen, denn es könnte auch Eifersucht gewesen sein. Kommissarin Stern sieht das Problem immerhin und sagt, es wäre ein Triumph für die Rechte, wenn die Polizei jetzt einen anderen Täter präsentiert. Odenthal antwortet im Tonfall früherer Bundespräsidenten: »Wenn wir was verändern wollen, müssen wir einander zuhören und dabei klare Kante zeigen.«
Freilich hat auch der Verfassungsschutz in dem Fall ein Wort mitzureden. Der Geheimdienstmann Leonhard wird zunächst als unsympathisch vorgestellt und Kompetenzgerangel zwischen den Behörden angedeutet. Doch der erste Eindruck trügt auch hier. Leonhard spricht von Aussteigerprogrammen, die intensiviert werden müssten, »Hass mit Hass zu begegnen, ist wohl kaum das richtige Mittel, um diejenigen zurückzuholen, bei denen noch nicht alles zu spät ist«. Anschließend schiebt er einen Ordner zum Fall über den Tisch. Im Kampf gegen rechts sollen schließlich alle zusammenarbeiten. Eine Trennung von VS und Polizeien stört da nur. Der »Tatort« folgt damit der Linie der Innenminister. »Im Interesse einer wirksamen Gefahrenabwehr ist die Stärkung des Wirkverbundes zwischen Polizei und Verfassungsschutz notwendig«, zitierte die Legal Tribune Online 2019 eine Beschlussvorlage der Innenminister.
Der Dortmunder »Tatort« »Heile Welt« stellt das Verhältnis zwischen den Nazis und aktiven Antifaschist_innen ins Zentrum. Kommissarin Bönisch wird von einer linken »Influencerin« als rechts geoutet. Als sie dann auch noch einen jungen Migranten festnimmt und ein Video davon kursiert, scheint sich das Bild zu verfestigen. Einzig Rosa Herzog, die Neue im Team, greift die Kritik auf. Sie wird vorher schon als unfreundlich und ängstlich dargestellt, damit sich bloß niemand mit der Nestbeschmutzerin identifiziert. Militante Antifas überfallen Bönisch vor ihrer Haustür und lassen sie gefesselt in einer Seitenstraße liegen. Ist das ein Witz? Connewitz, vielleicht? Nein, nicht einmal dort hätte eine solche Szene auch nur entfernten Realitätsbezug. Schließlich soll Bönisch als Rednerin bei einer rechten Kundgebung auftreten, erfüllt dort allerdings nicht die Erwartungen der Faschisten, sondern gibt die Demokratin. Sie gibt zu, dass es rechte Umtriebe in der Polizei gebe. Aber die bleiben abstrakt. Wenn es anschließend zu Riots kommt, ist nicht mehr erkennbar, wer hier warum randaliert. Es ist die filmische Umsetzung der Hufeisentheorie: Überall Extremisten, die Demokratie am Boden. Am Ende ist es die Linke, die auf Fake News hereingefallen ist, und Bönisch ist gar nicht rechts.
Beide Episoden sind dumm und gefährlich, also genau der Cocktail, an dem sich Reaktionäre gerne berauschen. Vielleicht wollte die ARD damit auch nur der rechten Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk begegnen. Auch die Sendedaten bewiesen Fingerspitzengefühl: Um den 13. Februar herum marschieren mitunter Tausende Neonazis durch Dresden, am 19. Februar jährte sich der rassistische Anschlag von Hanau.
Dass es auch anders geht, zeigte ein anderer Dortmunder »Tatort«. In »Hydra« (2015) stellt sich Kommissarin Dalay aktiv gegen das Toleranzgequatsche, mit dem Neonazis versuchen, sich als Demokraten darzustellen, und rechte Tendenzen bei der Polizei werden bis ins Ermittlerteam gezeigt. Damals war die Welt noch eine andere, die AfD marginal, der Schulterschluss zwischen Neonazis und sogenannter Normalbevölkerung skandalisierbare Ausnahme und die Krise des europäischen Migrationsregimes nicht offensichtlich. Seither hat sich viel zum Schlechteren entwickelt, was sich nicht zuletzt an den »Tatort«-Drehbüchern ablesen lässt.
Dass dies aber so auf ganzer Linie falsch, also nicht nur wirklichkeits-, sondern wahrheitswidrig ist, macht es so ärgerlich. Es wäre besser, das Publikum bekäme einen beinharten Faschisten als Kommissar vorgesetzt. Dann würden wenigstens weite Teile der Linken nicht mehr jeden Sonntag ihren inneren Frieden mit der Polizei machen. #
Tom Bohn, der Regisseur von »Hetzjagd«, hat sich schon im Februar in der Welt durch Kritik an der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens vor allem am rechten Rand eingeschleimt, was als »Tatort«-Regisseur reichlich paradox ist. Bohn ist übrigens auch einer der Organizer hinter der zynischen Kampagne #allesdichtmachen. Er gefällt sich als Vertreter vermeintlich unbequemer Meinungen und kommt damit vor allem bei Rechten gut an. Die Kampagne gegen die Corona-Politik und der »Tatort« beweisen, dass er über keinerlei politisches Koordinatensystem verfügt