Nie vom Hass vergiftet
4. September 2022
Der tschechisch-jüdische Auschwitzüberlebende Felix Kolmer ist tot
Ja, es gibt viele Momente mit Felix Kolmer, an die ich mich erinnere. Da waren die vielen Gespräche in der Jugendbegegnungsstätte Auschwitz, der gemeinsame Gang durch das Vernichtungslager Birkenau, aber auch der Spaziergang durch Berlin, wenn er einmal ausnahmsweise Zeit nach einer Sitzung hatte. Besondere Momente waren, wenn er in Terezín über das Gelände des von den Nazis tarnweise »Ghetto« genannten Konzentrationslagers -Theresienstadt führte.
In einer assimilierten jüdischen Familie in Prag geboren, wurde der Tischlerlehrling 1941 im Alter von 19 Jahren als Mitglied des sogenannten Aufbaukommandos ins »Sammellager Theresienstadt« deportiert. Dort, im KZ, entdeckte Kolmer nach eigener Aussage einen Fluchtweg, nutzte ihn aber nicht selbst, um zu entkommen. Stattdessen gab er sein Wissen an Mitgefangene weiter. 1944 kam er ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, wo er auf einen Zug ins Außenlager Friedland des KZ Groß-Rosen aufsprang. Hier erlebte er das Kriegsende. Nach dem Krieg fand er seine Frau Liana wieder, die er in Theresienstadt geheiratet hatte. Er studierte und wurde zu einem anerkannten Experten auf dem Gebiet der Akustik. Er veröffentlichte rund 200 wissenschaftliche Aufsätze und Bücher. Von 1982 bis 2017 (also bis zum Alter von 95 Jahren) lehrte Kolmer als Professor der Abteilung für Tontechnik an der Prager Filmhochschule FAMU.
Kolmer habe sein Leben nie vom Hass vergiften lassen, obwohl er durch die Nazis seine Mutter (in Theresienstadt) und weitere Angehörige verloren hat, sagte Christoph Heubner, Exekutiv-Vizepräsident des Auschwitz Komitees. Über viele Jahre engagierte sich Felix Kolmer deshalb als Zeitzeuge im Gespräch mit jungen Menschen in Deutschland und in anderen Ländern Europas. Bis ins hohe Alter hat er seine Erlebnisse und Erkenntnisse an Jugendliche weitergegeben. So auch, wenn er eine VVN-BdA-Gruppe durch seine Heimatstadt Prag führte und die längst erschöpften Jugendlichen verwundert waren, wie der alte und scheinbar gebrechliche alte Herr offenbar unbeeindruckt von der Hitze ihnen immer weiter die Schönheit der Stadt und die Hässlichkeit der Zeit der Naziherrschaft nahebrachte.
Ein Thema, bei dem sich Felix Kolmer besonders engagierte, war der Kampf um die Entschädigung für Zwangs- und Sklavenarbeit. An den -internationalen Entschädigungsverhandlungen hat er dann ab Mai 1999 als Vertreter der Tschechischen Regierungsdelegation teilgenommen. Zu Beginn sei er der einzige Opfervertreter gewesen, berichtete er später der Berliner Zeitung taz: »Ich habe noch nie solche Verhandlungen gesehen«. Der Bürokratismus, mit dem vor allem die Delegation der deutschen Industrie die Leiden der Opfer habe aufrechnen wollen, sei »unmenschlich« gewesen: »In diesen Situationen hatte ich das Gefühl, noch immer ein Häftling zu sein.« Die Einigung auf die Entschädigungssumme von zehn Milliarden Mark habe er als »Kuhhandel« empfunden. Durch die Einbeziehung eines Vertreters des Bundesverbandes Information und Beratung für NS-Verfolgte mit Sitz in Köln in die von ihm vertretene tschechische Delegation war es gelungen, auch Vertreter der deutschen Opferverbände an den Verhandlungstisch zu bringen.
Anlässlich seines 100. Geburtstages im Mai dieses Jahres brachten seine Freunde, der Stiftungsfonds für die Holocaustopfer und das Tschechische -Auschwitz-Komitee mit Unterstützung des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds ein Buch heraus, in dem unter anderem Interviews der Wochenzeitung Respekt mit Kolmer und Bilder des Dokumentarfotografen Libor Fojtík, der Kolmer über fünf Jahre begleitet hatte, veröffentlicht wurden. Felix Kolmer wurde für sein Engagement auch mehrfach ausgezeichnet. Unter anderem erhielt er das Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland.
Der tschechisch-jüdische Auschwitzüberlebende und tschechische Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees Prof. Felix Kolmer starb am 5. August 2022. Zuletzt lebte er im jüdischen Altersheim Hagibor in Prag.
Für das Internationale Auschwitz Komitee kommentierte Christoph Heubner den Tod Kolmers: Es sei ihm mit »seiner leisen und beharrlichen Freundlichkeit« gelungen, Menschen zusammenzuführen und sie an den Erinnerungen von Überlebenden teilhaben zu lassen. Und weiter: »Felix Kolmer wird uns in den gegenwärtigen Auseinandersetzungen angesichts der Entwicklung von Antisemitismus und rechtsextremem Hass bitter fehlen.«
Wir haben einen guten Freund und Mitkämpfer verloren. Karl Forster, 8. August 2022