Nur Phrasen gegen rechts
8. November 2022
Naziangriff auf Journalisten: Wut nach Urteil zum Fall Fretterode in Thüringen
Am 29. April 2018 griffen in Fretterode Nordulf H. und Gianluca B. zwei Journalisten an und verletzten diese schwer. Nach einer Verfolgungsjagd wurde das Auto der beiden gestoppt, Reifen und Autoscheiben zerstört, einem wurde eine Schädelfraktur und dem anderen eine Stichverletzung am Bein zugefügt und die Kameraausrüstung geraubt. Mit viel Glück war es ihnen gelungen, die Speicherkarte aus der Kamera zu entnehmen und in einer Socke zu verstecken – während die Angreifer auf die Autoscheibe einschlugen. So gingen die zuvor aufgenommenen Bilder nicht verloren. Nach über drei Jahren startete am 7. September 2021 der Prozess vor dem Landgericht Mühlhausen und endete nach mehr als 30 Verhandlungstagen nun Mitte September 2022 mit einem skandalösen Urteil. Es lautet ein Jahr auf Bewährung für Gianluca B. und 200 Arbeitsstunden für Nordulf H. wegen Sachbeschädigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung. Die Staatsanwaltschaft hatte für Gianluca B. drei Jahre und vier Monate Gefängnis gefordert, bei Nordulf H. hielt sie eine Bewährungsjugendstrafe von einem Jahr und neun Monaten für angemessen.
Das Gericht erkannte den schweren Raub nicht an, da der Verbleib der Kameraausrüstung nicht geklärt werden konnte. Zudem fanden die Tatmotive rechte Gewalt und Angriff auf die Pressefreiheit, welche nur durch die engagierte Nebenklage überhaupt Beachtung im Verfahren fanden, im Urteil keine Berücksichtigung. In der mündlichen Urteilsbegründung machte sich die Richterin Argumente der Verteidigung von sich »gegenüberstehenden ideologischen Lagern« zu eigen. Zudem betrieb sie eine Täter-Opfer-Umkehr, beispielsweise als sie den Journalisten den Status als Betroffene absprach.
Das Urteil verkennt, dass die Betroffenen jene sind, die ihre Berufung ernst nehmen. Sie dokumentieren das Wirken der rechten Szene und stellen Zusammenhänge dar. Das Urteil inklusive Begründung sind ein »Weiter so«-Signal an Neonazis und ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen sowie aller Engagierten. Es setzt eine Reihe ähnlich skandalöser Urteile der Thüringer Justiz fort. Das Urteil sendet jedoch nicht nur ein fatales Signal an die Angreifer, sondern zeigt Journalist:innen, wie es um ihren Schutz bestellt ist. Daher war die Solidarität der Unterstützer:innen, die an jedem Prozesstag mit einer Solikundgebung vor Ort waren und die Verhandlung auch im Gerichtssaal begleiteten, ein wichtiges Signal an die Betroffenen und wurde als große Unterstützung wahrgenommen. Es überwog die Wut, dass die Judikative Journalist:innen nicht schützt. Das »konsequente Vorgehen« gegen rechts aus staatlicher Perspektive bleibt eine Phrase!