Wie divers ist Ausbeutung?
7. Januar 2023
Antirassistische und marxistische Bewegungen sollten voneinander lernen
In den letzten Jahren haben sich in der Debatte über Rassismus neue Worte und Positionen herausgebildet. Dazu gehört auch der Begriff Intersektionalität. In dem von Eleonora Roldán Mendívil und Bafta Sarbo veröffentlichen Sammelband »Die Diversität der Ausbeutung« spielt die Kritik an der Intersek-tionalität eine wichtige Rolle. Die beiden Herausgeberinnen haben in dem Buch auch einen zentralen Text dazu veröffentlicht. Das Konzept der Intersektionalität besagt, dass Menschen oft nicht nur wegen einer Eigenschaft diskriminiert und unterdrückt werden. Hervorgehoben sei hier, dass der Begriff »Eigenschaft« in dem Zusammenhang ungenau ist.
Der Begriff der Intersektionalität, also das Aufeinandertreffen verschiedener Unterdrückungsmechanismen, wird meist mit einer Kreuzung, an der mehrere Straßen zusammenkommen, verglichen. Die Beschreibung stammt von dem Combahee River Collective aus Boston. Dieses veröffentlichte 1977 ein Manifest, in dem einer der Kernsätze lautete: »Wir sind jedoch nicht davon überzeugt, dass eine sozialistische Revolution, die nicht auch eine feministische und antirassistische Revolution ist, unsere Befreiung garantieren wird. Wir sind zu der Überzeugung gelangt, dass es notwendig ist, ein Verständnis der Klassenverhältnisse zu entwickeln, das die spezifische Klassenposition Schwarzer Frauen berücksichtigt, die im Allgemeinen in der Arbeitswelt marginalisiert sind.« (S. 105)
Mehrfachunterdrückung bedeutend
Menívil und Sarbo verorten die Analysen im Kontext der Auseinandersetzungen der amerikanischen linken Bewegungen. Wie wichtig der Ansatz der Mehrfachunterdrückung war und ist, zeigt sich auch darin, dass er von verschiedenen feministischen, linken Theoretikerinnen wie Patricia Hill Collins, bell hooks, Audre Lorde und Angela Davis aufgegriffen wurde. Im Laufe der Jahre ist diese sozialistische Analyse immer mehr weichgespült worden und durch den Begriff der Identitätspolitik in Misskredit gebracht worden. Menívil und Sarbo stellen dazu klar: »Die Frage nach den Voraussetzungen und der Funktionsweise von Identitätskategorien stellt sich der Intersektionalitätsansatz nicht. Er setzt an den unmittelbaren Erfahrungen der Menschen an – ob es weiße Männer oder Schwarze Frauen sind –, ohne nach den Voraussetzungen für die Entstehung und dem Fortbestehen dieser zu fragen.« (S. 109) Dadurch konnte der Begriff der Intersektionalität von allen möglichen politischen Gruppen benutzt werden.
Die anderen Beiträge des Buches ergänzen thematisch diese Auseinandersetzung. Fabian Georgi beschreibt in einem Beitrag den »Rassismus im europäischen Migrations- und Grenzregime aus Sicht einer materialistischen Herrschaftstheorie«. Ein wichtiger Punkt seiner Überlegungen ist, warum gibt es Rassismus, wenn es im Kapitalismus um die Ausbeutung der Menschen und die daraus entstandene Gewinnmaximierung geht? »Man darf sich diese Vielfalt herrschaftsförmiger Re/Produktionsverhältnisse sowie ihre Praxisformen, historischen Artikulationen und Konstellationen jedoch nicht so vorstellen, als würden sie primär ›von oben‹ planvoll durchgesetzt, als sei das funktionale Zusammenwirken von Klassenverhältnissen, Sexismus, Rassismus, Naturbeherrschung und Staatsgewalt durch eine herrschende Clique entworfen, koordiniert und durchgesetzt, um die kapitalistische Re/Produktionsweise ›an sich‹ zu erhalten.« (S. 89)
Polizei und Rassismus
Lea Pilone hat einen sehr lesenswerten Beitrag zur Geschichte von »Polizei und Rassismus« in Deutschland verfasst. Sie stellt fest, dass die herkömmliche Analyse zur Erklärung von Rassismus in der Polizei nicht genügt. »Es braucht eine Analyse davon, wie die Stellung der Kontrollierten innerhalb der Produktionsverhältnisse sich auf die Polizeikontrollen auswirkt. Dabei müssen die Zusammenhänge von Polizeiobjekt, Klasse und der gegenwärtigen Klassenzusammensetzung sowie Rassismus, Ausbeutung und Überausbeutung zusammengebracht werden.« (S. 122) Für mich war das das spannendste Kapitel in dem Buch. Lea Pilone führt aus, dass die Polizei im Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus entstanden ist, um die öffentliche Ordnung aufrechtzuhalten.
Sebastian Friedrich beschreibt in einem Kapitel das »rechte Projekt und die Krise des Kapitalismus«. In dem Beitrag beschäftig er sich mit der Entstehung der AfD und deren Entwicklung mit Blick auf die verschiedenen wirtschaftlichen Interessengruppen in der Partei. Celia Bouali hat einen Artikel über »rassistisch segmentierte Arbeitsmärkte im Kontext EU-interner Migration« beigesteuert.
Die Herausgeberinnen Mendívil und Sarbo schreiben bereits am Anfang, dass der Sammelband das theoretische Werkzeug zu Verfügung stellen wolle, »mit dem sich der radikalisierende politische Anspruch in eine tatsächliche sozialistische Politik umwandeln lässt«. Mit dem Buch ist ein erster Schritt gelungen, damit die antirassistische und marxistische Bewegung voneinander lernen können. Wahrscheinlich braucht es dafür aber noch viel mehr Bücher und Seminare. Immerhin ein erster Schritt ist gemacht.