Nach dem Reichstagsbrand

geschrieben von Ulrich Schneider

9. März 2023

Der Weg ins Dritte Reich (Teil 4)

Mit der Ernennung der Regierung Hitler–Hugenberg–von Papen am 30. Januar 1933 waren die Weichen für die Etablierung der faschistischen Herrschaft gestellt.

Reichspräsident Paul von Hindenburg hatte mit den ersten Notverordnungen zum »Schutz des deutschen Volkes« den Weg frei gemacht für Versammlungsverbote, Zeitungsverbote und die Verhaftung politischer Gegner. Am 4. Februar wurden der Reichstag und die preußischen Kommunalparlamente aufgelöst und Neuwahlen für Anfang März 1933 angekündigt. Bis dahin agierte die Hitler-Regierung ohne parlamentarische Kontrolle.

Um dem politischen Terror gegen alle Nazigegner eine staatliche Legitimation zu geben, forderte Hermann Göring als Reichskommissar für das preußische Innenministerium am 17. Februar per Runderlass gegen »staatsfeindliche« Gruppen »mit aller Strenge«, notfalls auch mit Schusswaffengebrauch vorzugehen. Fünf Tage später folgte Görings »Erlass über Einberufung und Verwendung von Hilfspolizei«. Mit diesem erhielten SA, SS und »Stahlhelm« in Preußen Polizeifunktion, diese Kampftruppen wurden Teil der Exekutive. Sie durften jetzt »legal« mit Razzien und gewalttätigen Übergriffen gegen Antifaschisten und ihre Organisationen vorgehen.

Diese Ausweitung des staatlichen Verfolgungsapparates in den ersten Wochen der Hitler-Regierung schuf Instrumentarien, die für einen massenhaften Terror und die Verfolgung politisch Andersdenkender eingesetzt werden konnten. Es fehlte hierfür nur noch der Anlass. Dieser wurde am Abend des 27. Februar 1933 mit der Brandstiftung im Berliner Reichstag geschaffen.

Welche Inszenierung und Intention hinter dem Ereignis standen, zeigte sich sofort. Noch während die Feuerwehr versuchte, den Brand zu löschen, verkündeten Göring und Hitler, dieser sei ein »kommunistisches Fanal« zum Aufstand, und der im Reichstag verhaftete Niederländer Marinus van der Lubbe habe den Brand »im Auftrag der Kommunisten« gelegt.

Nachdem Rudolf Diels schon am Nachmittag des Tages die Polizeidienststellen angewiesen hatte, wegen angeblich bevorstehender Überfälle anlässlich der Reichstagswahl eine größere Zahl kommunistischer Funktionäre zu verhaften, begannen noch in der Nacht zum 28. Februar 1933 weitere Massenverhaftungen. Am folgenden Tag wurde das Verbot der Presse von KPD und SPD für 14 Tage ausgesprochen.

Hier ist nicht der Raum, die vielfältigen Behauptungen der Nazis im Zusammenhang mit dem Brand nachzuzeichnen und zu widerlegen. Dazu sei nur auf die beiden Braunbücher, die Antifaschisten im Exil im Zusammenhang mit dem Reichstagsbrandprozess erstellt haben, verwiesen.

Noch in der Nacht zum 28. Februar erließ Reichspräsident Hindenburg eine weitere »Verordnung zum Schutze von Volk und Staat« (»Reichstagsbrandverordnung«), mit der grundlegende Verfassungsrechte außer Kraft gesetzt wurden. »Es sind (…) Beschränkungen der persönlichen Freiheit, des Rechts der freien Meinungsäußerung, einschließlich der Pressefreiheit, des Vereins- und Versammlungsrechts, Eingriffe in das Brief-, Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis, Anordnungen von Haussuchungen und von Beschlagnahmen sowie Beschränkungen des Eigentums auch außerhalb der sonst hierfür bestimmten gesetzlichen Grenzen zulässig.«

Das war der endgültige Freibrief für Massenverhaftungen und politischen Terror gegen Arbeiterorganisationen und andere Antifaschisten. Die in den ersten Wochen entstandenen »wilden Haftstätten« wurden seit Mitte März 1933 durch reguläre Konzentrationslager (u. a. Dachau und Oranienburg) ergänzt, über deren Aufbau sogar in der Tagespresse mit Fotos berichtet wurde.

Dass die für den 5. März angesetzten Reichstagswahlen unter diesen Voraussetzungen nicht als echter Ausdruck des politischen Willens der Wähler angesehen werden konnten, ist unstrittig. Aber das Resultat war anders als von der Hitler-Regierung erwartet: Obwohl die Arbeiterparteien bereits unter Ausnahmerecht gestellt waren, fast alle Wahlveranstaltungen verboten wurden, Kandidaten für den Reichstag verhaftet oder in die Illegalität gedrängt wurden, gaben immer noch über 14 Millionen Menschen ihre Stimme der KPD bzw. SPD, das war ein Stimmenanteil von über 30 Prozent. Das Ziel der Hitler-Regierung, bei dieser Wahl eine eigene Zweidrittelmehrheit zu erreichen, wurde deutlich verfehlt. Man schuf die gewünschte Mehrheit dadurch, dass die 81 Mandate der KPD annulliert wurden.

So vorbereitet, fand am 23. März 1933 die erste Sitzung des neugewählten Reichstags statt. Hitler betonte in der Regierungserklärung, der einzige Sinn dieser Sitzung sei es, ein »Ermächtigungsgesetz« zu verabschieden, mit dem faktisch alle Befugnisse des Parlaments an die Reichsregierung übergingen. Es sei ein »Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich«. Nur die 94 Abgeordneten der SPD-Fraktion votierten mit »Nein«. Alle anderen Parteien von Zentrum bis NSDAP stimmten für diese Selbstentmachtung des Parlaments. Nun hatte die Hitler-Regierung auch parlamentarisch freie Hand.

Vom Verfasser erschien im PapyRossa-Verlag Köln ein Band mit mehr als 70 Quellen und Dokumenten unter dem Titel »Der Weg ins Dritte Reich – 1933«, 200 Seiten, 14,90 Euro. Er ist über den VVN-BdA-Webshop erhältlich: shop.vvn-bda.de

Der Weg ins »Dritte Reich« begann nicht am 30. Januar 1933 mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler, sondern lange vorher in der Weimarer Zeit, als mit dem Abbau sozialer und politischer Rechte die Voraussetzungen für eine faschistische Krisenlösung geschaffen wurden.

In fünf Ausgaben der antifa soll an einige dieser Markierungspunkte erinnert werden, Voraussetzungen zur Machteinsetzung und zur Machtetablierung der faschistischen Herrschaft in Deutschland

Die Teile 1, 2 und 3 dieser fünfteiligen Serie erschienen seit September 2022