Als Glücksfall entpuppt
11. Januar 2024
Archivarbeit beim österreichischen KZ-Verband
Der Grundstock des »Archivs gegen das Vergessen« war in gewisser Weise ein Zufall, der sich als Glücksfall entpuppte. Anfang der 2020er-Jahre wurde die Notwendigkeit gesehen, die Räumlichkeiten des Büros zu renovieren. Zur Vorbereitung der Renovierung mussten natürlich die jeweiligen Räume freigemacht werden. Dabei stieß man auf mehr als 100 Pappschachteln und alte Kästen, in denen historische Dokumente und Papiere zur Verbandsgeschichte gelagert waren. Statt jedoch die dort gelagerten Papiere zu entsorgen, warf man – zum Glück – zuerst einmal einen genaueren Blick darauf und stellte fest, welche unwiederbringlichen Schätze in den verschiedenen Schachteln und Schränken lagerten.
Während mit der Gründung des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands im Jahre 1963 große Aktenbestände, die Verfolgungsschicksale und den antifaschistischen Widerstand in Österreich dokumentierten, bereits abgegeben worden waren, verblieben im Büro des KZ-Verbandes vor allem jene Dokumente, die mit der Geschichte des Verbandes und mit der Lebensgeschichte politischer Opfer und Hinterbliebener nach dem Krieg verbunden waren.
Unterstützung für 300 Betroffene
Darunter befanden sich Unterlagen, die Aufschlüsse über die gesellschaftliche Tätigkeit des KZ-Verbandes geben können. So fand man mehr als 1.000 Papiere und Anträge betreffend Ehrenzeichen für »Verdienste um die Befreiung Österreichs«. Da dieses Ehrenzeichen nicht nur eine moralische Anerkennung bedeuteten, waren die Verfolgtenverbände gefordert, aus ihrer Sicht eine Zustimmungserklärung abzugeben. Auch fand man mehrere hundert Anträge für die Opferfürsorge in den Unterlagen, da der KZ-Verband als Ablauf- und Vermittlungsstelle diente. Als Ende der 1990er-Jahre durch eine staatliche Auktion ein nicht unerheblicher Geldbetrag für die Opferhilfe zur Verfügung stand, konnte der KZ-Verband mehr als 300 Betroffenen Unterstützung gewähren. Deren Anträge, verbunden mit Hinweisen auf die Verfolgungsgeschichte, liegen ebenfalls vor.
Im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft österreichischer Opferverbände sammelte der KZ-Verband Fragebögen zum Verfolgungsschicksal. Etwa 1.000 solcher Bögen mit Angaben zum Aufenthalt in Konzentrations- und Zwangsarbeiterlagern, zur detaillierten Haftzeit und zu Gesundheitsschäden, manchmal ergänzt durch persönliche Notizen und Briefe, befanden sich in den Schachteln.
Als »Herzstück« der Sammlung bezeichnet der KZ-Verband eine umfangreiche Mitgliederkartei, die unter anderem genaue Daten zu Abstammungsverfolgung, Haftgrund, Haftdaten, Aufenthalt in KZ, Arbeitslagern, Gefängnissen etc. enthalten. »Über 2.214 Opfer und Hinterbliebene wurden hier erfasst: von wegen politischem Hochverrat verurteilten Kommunist*innen (vor allem), Menschen aus dem sozialdemokratischen und christlich-sozialen Widerstand, Februar- und Spanienkämpfern bis zu Sternträger*innen, rassisch und/oder politisch verfolgt«, heißt es in einer Darstellung der Sammlung. Zu den Beständen gehören auch Raritäten, historische Fundstücke, Abschiedsbriefe vor der Hinrichtung, persönliche Briefe und Dokumente aus verschiedenen Lagern, sowie Originale der Anträge zur Gründung des KZ-Verbandes 1945 und verschiedene Antworten der Behörden.
Schreibmaschine von Friedl Krenn
Einen besonderen Platz fand die historische Schreibmaschine von Friedl Krenn, die als langjährige Sekretärin und Funktionärin des KZ-Verbandes einen großen Anteil an der Entstehung der Dokumente dieses »Archivs gegen das Vergessen« hatte.
Jedem war klar, dass mit dem Auffinden der Archivbestände die eigentliche Arbeit erst begann. Tatsächlich fand sich ein Team von knapp zwei Dutzend Mitgliedern im Alter von Mitte 20 bis Anfang 90, die die mühevolle Kleinarbeit auf sich nahmen, alle Dokumente zu sichten und in eine handhabbare Ordnung zu bringen, sodass aktuell das Archivgut in über 60 Bestandsgruppen mit etwas mehr als 5.000 Unterserien nach Provenienz und nach Kontext erfasst und sortiert wurde. Durch finanzielle Unterstützung aus österreichischen Fonds zur Gedenk- und Erinnerungsarbeit wurde es bereits möglich, die Mitgliederkartei zu digitalisieren. Damit sind diese Bestände für historische Forschung zugänglich, ohne dass Originalakten vorgelegt werden müssen. Es ist geplant – wenn es erneut Fördergelder für die Digitalisierung gibt –, weitere wertvolle Bestände, die Auskunft geben können über das Schicksal der Menschen, die sich im Widerstand oder als Verfolgte gegen die faschistische Barbarei bewähren mussten, durch Digitalisierung leichter zugänglich zu machen.
Die Eröffnung des »Archivs gegen das Vergessen« ist ein eindrucksvolles Beispiel, wie der österreichische KZ-Verband mit dem Andenken an die Menschen und mit seinen historischen Unterlagen umgeht.
Mitte November 2023 feierte der österreichische KZ-Verband mit einem Festakt sein 75jähriges Gründungsjubiläum. Die eindrucksvolle Veranstaltung in einem städtischen Saal in Wien-Meidling war der sichtbare Ausdruck der politischen Lebendigkeit des österreichischen VVN-BdA-Partnerverbandes, der mit wenigen Ansprachen und vielen kulturellen Beiträgen seine geschichtlichen Wurzeln und zukunftsweisende Orientierung unter Beweis stellte. Am Vortag hatte in den Räumlichkeiten der Bundesorganisation in der Lassallestraße in Wien ein »Tag der offenen Tür« stattgefunden, bei dem ein »Archiv gegen das Vergessen« der Öffentlichkeit vorgestellt wurde.
In loser Folge stellen wir hier
Dokumente aus den Archiven
der VVN-BdA vor beziehungsweise beleuchten deren Arbeit.