Kommando zum Gedenken
12. März 2025
Dresden, 80 Jahre nach dem 13. Februar 1945
Donnerstag, 13. Februar, Dresden, dröhnender Lärm um 21.45 Uhr. Alle Kirchenglocken der Stadt läuten gleichzeitig. Nicht nur wie auf Kommando, sondern tatsächlich auf Kommando. Das Kommando zum Gedenken an den Beginn des Bombenangriffs auf Dresden vor 80 Jahren, der rund 20.000 Menschen das Leben kostete – und gleichzeitig einigen Dutzend Jüdinnen und Juden das Leben rettete. Man kann dieser Form des Gedenkens nicht entgehen.
Wenige Stunden zuvor hatte es eine weniger aufdringliche Form des Gedenkens gegeben. Die alljährliche Menschenkette, die die Dresdner Altstadt umschließen sollte. Geboren worden war diese Idee zu jener Zeit, da der 13. Februar zugleich der Tag des größten Naziaufmarsches in Europa war. Die Menschenkette sollte ein niederschwelliges Angebot für die Bürger*innen der Stadt sein. Dieses Jahr wurde das Angebot – trotz des runden Jahrestags – von deutlich weniger Menschen genutzt. 10.000 sollen es nach offiziellen Angaben gewesen sein. Geschlossen wurde die Kette damit nicht.
Immerhin fand Oberbürgermeister Dirk Hilbert in diesem Jahr deutlichere Worte in seinem Aufruf: »Zum 80. Jahrestag der Bombardierung stehen wir für eine klare Positionierung zu einer offenen und toleranten Gesellschaft, für Demokratie, Respekt, Frieden und Menschlichkeit.« Die anmeldende Rektorin der TU, Ursula Staudinger, verwies darauf, dass »in vielen Regionen der Welt offene und demokratische Gesellschaften unter dem Druck von Rassismus und Intoleranz stehen«.
Schon Stunden zuvor hatte sich die Prominenz der AfD, bis hin zum Parteivorsitzenden Tino Chrupalla, auf dem Heidefriedhof getroffen, um ihre übliche Kranzniederlegung durchzuführen. Sie blieben unter sich. Eine andere rechte Versammlung auf dem Altmarkt, die die AfD für 100 Teilnehmende angemeldet hatte, fiel hingegen aus. Die AfD hatte abgesagt. Angeblich aus Sicherheitsgründen.
Der Platz blieb nicht lange frei. Er wurde schnell eingenommen von 3.000 antifaschistischen Demonstrierenden, die zuvor in mehreren Demozügen durch Dresden gezogen waren. Ein Bild mit Symbolik: Statt durch Faschisten war der Platz im Herzen der Stadt besetzt mit Antifaschist*innen.
Es war schon im Vorfeld zu befürchten, dass dies zwei Tage später nicht das prägende Bild sein würde. Durch die erfolgreichen Blockaden vor 15 Jahren war es gelungen, dem jährlichen Naziaufmarsch um den 13. Februar seine Bedeutung zu nehmen. Nicht zuletzt zahlreiche Mitglieder der VVN-BdA hatten daran mitgewirkt. Die Teilnehmerzahlen in den Folgejahren gingen drastisch zurück. Bis zum vergangenen Jahr. Damals war die Zahl der Nazis auf der Straße erstmals wieder vierstellig. Parallel zu den Erfolgen der AfD stieg auch der Zulauf bei den offenen Neonazis wieder an.
Für den runden Jahrestag 2025 war deshalb mit einer nochmals deutlichen Steigerung zu rechnen. Die Erwartung erfüllte sich. Letztlich versammelten sich nach realistischen Schätzungen rund 3.000 Neo-nazis am Bahnhof Mitte. Ein symbolisches Bild: Plakat-aufsteller mit dem Foto des Direktkandidaten der AfD wurden zur Seite gestellt, um Platz für eine eigene Ausstellung zu schaffen.
Und am Sammelpunkt war die AfD auch fast die einzige Struktur der extremen Rechten, die nicht sichtbar vertreten war. Anmelder in diesem Jahr: der völkische Siedler Lutz Giesen, ein früherer Funktionär der verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ). Das Spektrum reichte vom Dresdner Marcus Fuchs, der sich während der Corona-Pandemie radikalisiert hatte und jetzt im Nahfeld der Freien Sachsen aktiv ist, über die militanten Active Clubs sehr junger Neonazis und andere in jüngster Zeit entstandene Strukturen bis hin zur altbekannten Prominenz wie Christian Worch, Dieter Riefling oder Thorsten Heise. Sogar der NSU-Helfer André Kapke war vor Ort. Der 13. Februar: ein Pflichtprogramm für neofaschistische Kader.
20.000 Tote ist die offizielle Zahl. Die Transparente der Neonazis begnügten sich nicht damit. Zu ihrem Opferkult gehört es, diese Zahl zu vervielfachen. 100.000, 250.000, 500.000 … Nach oben waren keine Grenzen gesetzt. Für diese Umschreibung der Geschichte gibt es – natürlich – auch die entsprechende Unterstützung aus dem sich intellektuell gebenden Teil des Spektrums. Zum Beispiel durch Lothar Fritze, ehemals Hochschullehrer an der TU Chemnitz und beim Hannah-Arendt-Institut, dessen Band »Die Moral des Bombenterrors«, der ein »zentrales Tabu der Nachkriegsgeschichtsschreibung« antaste, neu aufgelegt wurde. Erschienen ist das Buch im Verlag der Eurofaschisten von »Jungeuropa«.
In diesen Zeiten, in denen allen Ernstes behauptet werden kann, Hitler sei Kommunist gewesen und die Nazis Linke, erhält der Geschichtsrevisionismus wieder größere Bedeutung. Das war absehbar. 1991 führte der irische Diplomat Conor Cruise O’Brien in der Times aus, der Geschichtsrevisionismus werde im vereinten Deutschland notwendigerweise eine große Bedeutung erhalten. Ein Land, das eine Führungsrolle beanspruche, müsse möglichst historisch unbefleckt erscheinen. Wir haben diesen Punkt erreicht. Später als er glaubte, aber wohl so intensiv, wie er es befürchtete. Noch – noch! – ist Zeit zum Gegensteuern.