Tödlicher Frauenhass

geschrieben von Peps Gutsche

6. Mai 2025

Die Netflix-Serie »Adolescence« thematisiert die Incel-Bewegung und die Vorstellungen von Männlichkeit

Der Anfang der neuen Miniserie »Adolescence« (übersetzt: Adoleszenz, Jugendzeit) scheint wie jeder andere Krimi: Zwei Polizisten sitzen in ihrem Wagen und unterhalten sich, bevor sie zu einem Einsatz fahren. Von hier an erleben wir die Festnahme und das Verhör des 13jährigen Jamie Miller, der seine Mitschülerin Katie Leonard am Abend zuvor mit sieben Messerstichen getötet hat. Das Psychodrama geht der Frage auf den Grund, wie es dazu kommen konnte. Filmisch bemerkenswert an den vier jeweils knapp einstündigen Folgen ist, dass sie ohne Schnitte, also als »One-Take« gedreht wurden. Damit ist die Serie so absorbierend, wie es sonst auch Computerspiele sind, weil dadurch bei den Zuschauer_innen der Eindruck erweckt wird, die Protagonist_innen hautnah zu begleiten.

Die Serie ist seit ihrer Veröffentlichung am 13. März 2025 sowohl in Großbritannien als auch Deutschland millionenfach gestreamt und weitreichend besprochen worden – sowohl aufgrund der exzellenten Machart und überragenden schauspielerischen Leistungen als auch für die Thematisierung von Frauenhass und Onlineradikalisierung. Der britische Premier Keir Stamer traf die Serienmacher zu einem Gespräch, um die Serie an weiterführenden Schulen kostenlos zur Verfügung zu stellen.

»Adolescence« beleuchtet den gefährlichen Mix aus frauenhassenden Onlinesubkulturen und deren Einfluss auf junge Männer. Die Serie zeigt, wie diese in einer patriarchal geprägten Gesellschaft sozialisiert werden, ohne zu lernen, gesunde zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen. Die Serie stellt dar, welche gewaltsamen Auswirkungen diese fehlende soziale Kompetenz haben kann. Der Selbsthass, der den Kern der Incel-Kultur bildet, ist eng verbunden mit einer Vorstellung von Männlichkeit, die Frauen (und andere Geschlechter) abwertet und bis hin zur Vernichtung führt. Die Autorin Margaret Atwood formulierte es bereits vor rund zehn Jahren treffend: »Männer haben Angst, dass Frauen sie auslachen. Frauen haben Angst, dass Männer sie umbringen«.

Die Miniserie »Adolescence« ist im Stream auf Netflix zu sehen.

Die Miniserie »Adolescence« ist im Stream auf Netflix zu sehen.

Besonders eindrücklich zeigt sich dies in der dritten Folge, in der die psychologische Gutachterin Briony Ariston ein Gespräch mit Jamie in der Jugendhaftanstalt führt. In der langen Konversation zwischen den beiden ist das Verhalten von Jamie wechselhaft und sein Auftreten launisch, während die Psychologin ihn unter anderem nach dem Verhältnis zu männlichen Familienmitgliedern und seinem Bild von Frauen befragt. Blitzschnell wechselt sein Verhalten von kindlicher Unsicherheit zu aggressivem Männlichkeitsgebaren. Auch wenn die Psychologin aufgrund ihrer Rolle und ihres Alters klar in einer Machtposition gegenüber Jamie ist, degradiert er sie in seinem Verhalten auf ihr Geschlecht als Frau, die er bedrohen und der er Angst machen kann.

Die Serie thematisiert bedrückend, wie sehr das Männlichkeitsbild von Vätern ihre Söhne prägt. Durch die Figuren von Eddie Miller, Jamies Vater, und Inspector Luke Bascombe wird gezeigt, wie Männer in einer Gesellschaft, die Stärke und Erfolg fordert, oft nicht in der Lage sind, ihren Söhnen emotionale Nähe zu zeigen. Diese kulturellen Vorstellungen von Männlichkeit verbinden sich in der Serie mit der digitalen Welt der Incel-Bewegung.

Kritisieren lässt sich an der Serie, dass zentrale Begriffe der Incel-Kultur wie Red-Pilling, die 80:20-Regel oder auch Akteure wie der Vergewaltiger und Frauenhasser Andrew Tate genannt, aber nicht weiter erklärt werden und somit etwas zusammenhanglos für Zuschauer_innen auftauchen. Die hohe Faszination und mittlerweile einfache Zugänglichkeit dieser Inhalte beschreibt die Autorin Susanne Kaiser in einem Interview. Während es vor wenigen Jahren noch eigene Foren und Server gab, sind diese mittlerweile durch TikTok und Instagram im Mainstream angekommen. Hier braucht es mehr als eine erfolgreiche Serie, um diese gefährliche Onlinekultur zu brechen.