Deutsche Opfer wiegen schwerer
6. Juli 2025
Erinnerungpolitische Wende am Tag der Befreiung im Bundestag
Anlässlich des 80. Jahrestages der Befreiung Europas vom Faschismus fand am 8. Mai eine Gedenkstunde des Bundestages statt. Neben anderen Verfolgtenorganisationen war auch die VVN-BdA eingeladen, die ich an dem Tag vertrat.
Das Programm und die Auswahl der Redner*innen machten deutlich, was von der Bundesregierung in den kommenden Jahren in der Geschichts- und Erinnerungspolitik zu erwarten ist. In ihrer Eröffnungsrede stellte Julia Klöckner (CDU) nicht das Leid und die Opfer der Verfolgten und Widerständigen der Jahre 1933 bis 1945 in den Vordergrund, sondern betonte ausgiebig die Entbehrungen und Qualen der Deutschen im Krieg. Zu Recht verwies die Bundestagspräsidentin zwar auch darauf, dass Frauen in Kriegen diejenigen sind, die unter der extremen Gewalt, sexualisierten Übergriffen und Vergewaltigungen, auch in aktuellen Kriegen, ganz besonders leiden, jedoch stellte sie in ihrer Darstellung der Geschichte und heutiger Kriegshandlungen nicht die bei diesem diffizilen Thema angebrachte Ausgeglichenheit her. Es blieb auch hier bei dem Eindruck, dass deutsche Opfer schwerer wiegen. Doch es gab auch positive Aspekte wahrzunehmen. Klöckner ist, nach meiner Kenntnis, die erste Bundestagspräsidentin, die sich vor der Veranstaltung auf die Gästetribüne zu den Verfolgtenorganisationen begab und dort kurz die Eingeladenen Vertreter*innen grüßte. Diese Form der Anerkennung ist neu. Ebenfalls neu war die deutliche Anerkennung der Leistung polnischer Soldat*innen an der Befreiung, was die dahinterliegende Motivation sein mag, darüber können nur Vermutungen angestellt werden, aber in der Sache war es richtig.
Differenzierter als die Bundestagspräsidentin äußerte sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD). Er danke ausdrücklich allen Befreier*innen, auch der Roten Armee. Dabei betonte er die multiethnische Zusammensetzung der sowjetischen Befreier*innen. Ausgehend davon, wies er die Begründung der russischen Administration für den Angriff auf die Ukraine, es handele sich um Maßnahmen zur Entnazifizierung des Landes, zurück. Im weiteren Verlauf seiner Rede verwies Frank-Walter Steinmeier auch auf das Fanal, dass die USA sich an der Demontage des internationalen Völkerrechtes massiv beteiligen. Der Bundespräsident sagte wörtlich: »Und deshalb spreche ich von einem doppelten Epochenbruch – der Angriffskrieg Russlands und der Wertebruch Amerikas –, das ist es, was das Ende dieses langen 20. Jahrhunderts markiert.« [1]
Im folgenden verwies er darauf, dass auch hierzulande die Menschenfeindlichkeit grassiert, sich beispielsweise Jüdinnen und Juden im Land der Shoah nicht mehr sicher fühlen. Im Zuge dessen mahnte er in seiner Rede außerdem, dass nie vergessen werden dürfe, wozu aggressiver Nationalismus und die Verachtung von demokratischen Institutionen einst geführt haben.
Leider konnte man im folgenden Programm nicht den Eindruck gewinnen, dass wirklich verstanden wurde, wie ein wirksames »Nie wieder« aussehen muss. Im Anschluss an die Reden wurden drei Zeitzeugenberichte von jungen Mitgliedern des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge vorgetragen. Zwei von ihnen thematisierten im Wesentlichen, zweifellos geschehene, Kriegsverbrechen von Angehörigen der Anti-Hitler-Koalition oder die Angst davor, Opfer solcher Verbrechen zu werden. Der dritte Zeitzeugenbericht war ein Ausschnitt aus einer Rede von Thomas Mann in der BBC kurz nach der Befreiung.
Schlussendlich wurde, wie im Programm angekündigt, die deutsche Nationalhymne gespielt. Während sich alle anderen anwesenden Personen erhoben und brüderlich mit den Abgeordneten der AfD die »Einigkeit« besangen, blieben nach meiner Kenntnis nur der Vertreter des Bundesverbandes der Opfer der NS-Militärjustiz e.V. und ich sitzen. Zum Schluss wurde noch die Europahymne gespielt. Ein schaler Nachgeschmack und Sorgen um die künftigen erinnerungspolitischen Schwerpunkte dieser schwarz-roten Bundesregierung bleiben.
[1]https://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Frank-Walter-Steinmeier/Reden/2025/05/250508-Ende-2WK.html