Ohne Empörung?
13. September 2016
Jason Webster auf den Spuren des Spanischen Bürgerkrieges
Der Spanische Bürgerkrieg 1936 – 1939, von vielen Historikern als erste Schlacht des 2. Weltkriegs bezeichnet, hat im 20. Jahrhundert Generationen von Autoren, Musikern und Filmemachern zu künstlerischen Werken angeregt. Ob Pablo Picasso, Ernest Hemingway, George Orwell oder Ken Loach – ihre Darstellungen haben Millionen Menschen bewegt und damit auch das Bild der Zeitgenossen über diesen Krieg geprägt. Man könnte meinen, Franco habe ihn zwar gewonnen und danach für 36 lange Jahre in Spanien eine Diktatur errichtet, doch aus historischer Sicht war dies nur eine Episode. Ins Menschheitsgedächtnis eingeschrieben bleibt dagegen der heldenhafte Kampf des spanischen Volkes für Freiheit und Gerechtigkeit. Nicht zuletzt deshalb, weil ihn große Kunst für alle Zeit bezeugt.
Doch auch das entspricht nicht mehr der Wirklichkeit. Nicht nur in Spanien, wo nach Francos Tod noch einmal 30 Jahre vergehen mussten, bis der »Pakt des Schweigens« über den Bürgerkrieg gebrochen werden konnte, sondern auf der ganzen Welt ist heute kaum noch bekannt, was vor 80 Jahren die Menschheit bewegte. Wenn keine Zeugen mehr aus eigenem Erleben über ein Ereignis berichten können, tritt es in die Geschichte ein. Nachgeborene entnehmen diesem Reservoir nur das, was für ihr eigenes Leben Bedeutung haben könnte. Doch dazu müssen sie es kennen. Wer bereitet also mit welchem Ziel geschichtliches Wissen für nachfolgende Generationen auf? Die historische Bewertung der Kämpfe gegen den Faschismus bleibt nach wie vor umstritten, das heißt: Sie ist noch immer von Belang.
Was aber könnte junge Menschen heute am Spanischen Bürgerkrieg interessieren? Welche Erfahrungen könnten für sie wichtig sein? Jason Webster, ein Brite, der als Autor meist in Spanien lebt, hat eine unerwartete Antwort gefunden. Sie lautet: Genau das, was mich selber interessiert. 2006 veröffentlichte er, 36-jährig, sein Buch »!Guerra!«. Nach eigenen Angaben ein »nichtfiktionales Werk, das auf eigenen Erfahrungen und Erinnerungen beruht.« Die englische Originalfassung wurde ein Bestseller. Von der 2014 im Conte Verlag erschienenen deutschen Übersetzung ist das leider nicht anzunehmen, hierzulande ist Webster eher als Krimiautor bekannt.
Übersetzer Tobias Raubuch nennt das Buch einen »modernen Hybriden aus Reiseroman und historischen Schilderungen«, doch das trifft nach meiner Meinung nicht seinen Kern. Auch wenn der Autor kein Kunstwerk schaffen wollte, packt er seine Leser durch Subjektivität und Ehrlichkeit. Er lässt sie daran teilhaben, wie er sich selbst auf die Geschichte des Bürgerkrieges eingelassen hat. Zögernd erst, wegen der Befürchtung, dass das neue Wissen sein Gefühl für Spanien ändern könnte. Dann immer rigoroser. Ganze Kapitel referieren den Kriegsverlauf, wie man ihn heute auch in Geschichtsbüchern lesen kann. Hier aber nicht im trockenen Geschichtsbuchstil, sondern spannend wie in einem Krimi, bildhaft, wertend und manchmal ungerecht. Im Wechsel damit Teile, in denen Webster über das moderne Spanien schreibt. Skurrile, berührende und verstörende Geschichten über Menschen, die er auf seinen Reisen zu den Stätten des Krieges getroffen hat. Und hinter allem die Frage: Was hat das miteinander zu tun?
Nach heutigen Schätzungen haben der Bürgerkrieg und der Terror Francos mindestens 500 000 Opfer gefordert. Kaum eine Familie, die nicht betroffen war. Jason Webster nutzt die Distanz die er als Nichtspanier und Nachgeborener besitzt für den Versuch, ein objektives Bild der Vorgänge zu zeichnen. Das heißt, er stellt die Interessen, Strategien und Taten beider Seiten dar, die mit dieser Bilanz endeten. Nicht ohne Grund nennt er sein Buch »¡Guerra!«. Im Krieg werden alle Beteiligten zu Schuldigen, könnte die Quintessenz seines Textes lauten.
Aber geht das überhaupt, »objektiv« über einen Krieg zu berichten, sich selbst herauszuhalten, nicht Partei zu ergreifen? Noch dazu bei diesem Krieg, der so ungeheures Unrecht hinterließ?
Es geht eigentlich nicht. Zu der Erkenntnis kommt auch Webster selbst, wenn er am Ende des Buches schreibt: »Es gibt nicht die eine Version der Ereignisse, ob nun vergangen oder gegenwärtig – es gibt nur Material, welches wir selbst zu formen beschließen konnten.«
Insofern ist »¡Guerra!« all jenen nicht zu empfehlen, die ein fest gefügtes Bild über den Spanischen Bürgerkrieg, seine Akteure und ihre Motive mitbringen. Viele Ansichten Websters würden ihnen nicht nachvollziehbar erscheinen. Für alle anderen aber kann das Buch eine Quelle der Inspiration sein. Für mich war interessant zu sehen, dass der Autor, dessen Sympathie durchaus der republikanischen Seite gilt, trotzdem deren Hauptakteure, nämlich Anarchisten und Kommunisten, so gut wie nicht verstanden hat. Ihre Gründe lagen zu weit außerhalb seines Erfahrungshorizonts.
Doch etwas hat auch mich irritiert: Der Mangel an Emotionen, mit dem Jason Webster die Gräueltaten der Franquisten beschreibt. Offensichtlich lösten sie keine Empörung mehr in ihm aus. Für mich jedoch ist der Geist der Empörung das eigentliche Erbe des Spanischen Bürgerkriegs.