Jahr für Jahr in Dortmund
17. Juli 2018
Nazis diesmal mit der SA-Losung »Erwache!« – überall Protest dagegen
So geht es seit 18 Jahren: Dortmund im Ausnahmezustand. Nazis marschieren und Tausende Menschen gehen friedlich gegen sie auf die Straße. Obwohl die Dortmunder Nazis ihrem verblassten Ruhm als »Hauptstadt der Bewegung« nachtrauern, geben sie nicht auf. Doch 600 Rechte aus ganz Europa unter der Losung »Europa erwache« zu vereinen, kann nicht als Erfolg gesehen werden in einer Zeit, da europaweit die Bewegungen der Rechten Auftrieb haben, in Deutschland das Verfassungsgericht die NPD legitimiert wird und die AfD über 12 Prozent Wählerstimmen bekommt.
Dass viele tausend Dortmunder nicht einfach sagen: »Nun, die braune Flut geht ja zurück«, spricht für Vernunft. Ob die Hauptlosung des DGB und der Kirchen, das bestehende EU-Europa den Rechten von der »Rechten Partei« als Vorbild entgegen zu halten, ausreicht? Das sahen viele Demokraten ganz anders. Denn dieses EU-Europa verfügt über Führungs- und Aufrüstungspolitiker wie Merkel und Macron, die in der Nacht vor dem Demoereignis an der Seite von Trump waren oder sogar mit ihm zusammen einen völkerrechtswidrigen Militärschlag gegen Syrien führten. Bei der Ouvertüre der vielfältigen Antinaziproteste, – der Mahnwache der VVN-BdA, des Bündnisses Dortmund gegen Rechts und der Gruppe 65plus vor der Gedenkstätte Steinwache am Hauptbahnhof, – wurde Klartext geredet: Wer gegen Rechts protestiert, muss immer zugleich auch den Militarismus meinen. Gegen Nazis und gegen den Krieg.
Bunt und vielfältig war dann der Protest, an dem sich viele gesellschaftliche Gruppen und Parteien beteiligten. Zum Abschluss zogen viele Protestierende zum Demokratie-Festival im Stadtteil Dorstfeld; dort spielte »Extrabreit« für sie.
Die Neonazis durften sich in der Nordstadt unweit der Gedenkstätte Steinwache versammeln, als die Teilnehmerzahl der Mahnwache auf viele Hundert Personen angewachsen war, die dann zumeist weiter in die Richtung der Nazistrecke zogen und dabei die Demonstrationszüge und Kundgebungen von »Blockado« mit 2500 Teilnehmern und des Arbeitskreises gegen Rechtsextremismus (DGB, Kirchen, Jugendverbände usw.) mit 1500 Demonstranten, ferner die Straßenfeste à la Bunt statt braun und die Stolpersteinbewacher der Naturfreunde trafen.
An einer Kreuzung wurden die Neonazis vom Glockengeläut der Pauluskirche sowie einer großen Gruppe von Nordstädterinnen empfangen, die vor dem Haupteingang der Pauluskirche eine »PROTESTantische ANDACHT« abhielten. Dazu hatte die Evangelische Lydia-Kirchengemeinde eingeladen. Im Gedenken an Martin Luther King erklärte die Gemeinde: »Die ,Internationale Rechte’, die heute frei marschieren darf, fordert ein weißes Europa. Wir sehen uns in der Pflicht, dagegen laut Nein! zu sagen und unseren Protest mit dem Glockengeläut weithin hörbar zu machen. Der Verständlichkeit der Nazi-Parolen wird dies nicht dienen.«
Der Zug des Arbeitskreises war demonstrativ am Europabrunnen in der City gestartet. Bei einer Zwischenkundgebung am Wasserturm erinnerte Arbeitskreissprecher Rainer Zunder an die über 5.000 Menschen jüdischen Glaubens aus dem Regierungsbezirk Arnsberg, die von diesem Ort, dem ehemaligen Dortmunder Südbahnhof, in die Vernichtungslager deportiert worden sind. »Wir alle hier sind Dortmund, nicht die Verfassungsfeinde von der extremen Rechten«, schloss er.
Stadtdirektor Jörg Stüdemann betonte an der Kampstraße, dass »die Hälfte unserer Kinder aus Einwanderungsfamilien« stammten. Es sei im Grunde genommen skandalös, dass hier und heute deswegen demonstriert werden müsse. Leider sei es mittlerweile gang und gäbe, auf NS-Muster zurückzugreifen – und das reiche in Dortmund bis in den Stadtrat; er spielte damit darauf an, dass aus der CDU Zustimmung zu NPD-Anträgen gekommen war. »Wenn der Nationalsozialismus verbrecherisch gewesen ist, kann es sich mit den Neonazis nicht anders verhalten«, so Stüdemann zum Karlsruher Urteil. »Wir bekämpfen Verbrecher, dafür sind wir da.« Und das bedeute für ihn Kampf gegen Rassismus, Faschismus, Antisemitismus und Antiziganismus.
Bevor die Neonazis an ihrem Abschlussort ankamen, wurden sie lautstark von Bewohnern sowie Teilnehmerinnen der BlockaDO-Demo begrüßt. Sie sorgten dafür, dass der Neonazi-Aufmarsch in der Möllerstraße immer wieder zum Stoppen kam. In den Seitenstraßen der Möllerstraße hatten sich tausende Menschen versammelt, die ihrem Unmut lautstark Luft machten.
Doch verhindert wurde der Naziaufmarsch nicht. Die Medien meldeten: »Kaum Straftaten und störungsfreie Demos. Die Polizei ist zufrieden mit dem Einsatz.« Als würden Antinaziproteste nur deshalb durchgeführt, um den Polizeipräsidenten zufrieden zu stellen. Die Polizei hatte schon Stunden vor den Demos weite Teile der nördlichen und westlichen Innenstadt in einen regelrechten Sperrbezirk verwandelt und die Freizügigkeit von zehntausenden Einwohnern massiv beschnitten. »Insofern können sich die Neonazis sicher sein, dass sie ihre Aufmärsche nahezu ungestört durchführen können. Daher kommen die Neonazis so gerne nach Dortmund«, kritisieren Antifaschistinnen.