Kunst in Buchenwald (Teil II)
21. Juli 2018
Überlebensmittel und Widerstand zugleich
Zu den beeindruckenden Zeugnissen des Überlebenswillens von Häftlingen gehören die zahlreichen künstlerischen Werke, die aus Buchenwald überliefert sind. Dazu gehören selbstgefertigte Schachfiguren, die es ermöglichten, sich in der kargen Freizeit intellektuellen Herausforderungen zu stellen. Die einfachsten Figuren waren aus Brotteig geformt, aufwändigere waren geschnitzt und teilweise sogar mit sehr kreativen Verzierungen versehen, wie die lebendig gestalteten Schachfiguren aus dem Sammlung von Hubert Niedziella.
Besonders verbreitet waren Zeichnungen und andere Formen des grafischen Werkes. Dabei waren natürlich für die Häftlinge viele Schwierigkeiten zu überwinden. So gab es eigentlich keine Möglichkeit, gutes Zeichenpapier zu bekommen. Die meisten Grafiken wurden daher auf den Rückseiten von gebrauchtem Papier gemalt (alte Listen, Papier aus der Häftlingsschreibstube, selbst Schießscheiben). In Einzelfällen »organisierte« man gutes Papier aus den Beständen der SS-Büros. Als Farbe wurden zumeist Reste von Bleistiften, Kohlestifte, Kreide, manchmal Tinte und Tusche genutzt. Daher sind die meisten Bilder Schwarz-Weiß-Zeichnungen. Teilweise hatten Häftlinge Rötel zur Verfügung.
Deutsche Häftlinge konnten sich in den ersten Jahren Mal-Utensilien von draußen schicken lassen. Und in den Künstlerwerkstätten für die SS waren Aquarell- und Pastellfarben vorhanden, für Holzschnitzarbeiten auch entsprechendes Werkzeug, die Häftlinge manchmal für sich »abzweigen« konnten.
Zu den bekanntesten Künstlern gehörten Herbert Sandberg, der bereits 1938 nach Buchenwald überstellt wurde. Von ihm existiert ein Zyklus von Grafiken und Holzschnitten. Wichtig war auch Walter Spitzer, auch wenn er nur wenige Monate in Buchenwald war. Von ihm stammen zahlreiche eindrucksvolle Skizzen.
Sehr bekannt ist auch der niederländische Kommunist Henri Pieck, der schon im April 1942 nach Buchenwald kam. Er überlebte, indem er einerseits Auftragsarbeiten für die SS erledigte, andererseits in vielen Kohlezeichnungen seine eigenen Eindrücke in künstlerischen Werken verdichtete. Beeindruckend seine Skizze von der harten Arbeit beim Steinbruch, den »singenden Pferden«.
Der ehemalige polnische Zwangsarbeiter Karol Konieczny kam im Juli 1944 nach Buchenwald. Er war Mitkämpfer im illegalen Widerstand und durch den Kontakt mit einem französischen Maler intensivierte er seine zeichnerischen Arbeiten. Eines der eindrucksvollsten Werke ist »Kamerad Jedrzejewski vor seinem Tode«, mit dem er einem polnischen Mithäftling seine Identität zurückgab.
Die wohl bekanntesten Künstler in Buchenwald waren Boris Taslitzky, der im August 1944 als französischer Häftling mit einem Transport politischer Gegner Buchenwald erreichte. Seine Skizzen und Zeichnungen wurden schon in den 40er Jahren in Frankreich in einer Sammelmappe veröffentlicht. Von ähnlicher Bedeutung ist Paul Goyard. Im Mai 1944 als französischer Häftling nach Buchenwald eingeliefert, wurde er als »Kunstmaler« registriert. Neben den Auftragsarbeiten für die SS schuf er eine große Anzahl von eigenen Zeichnungen und Bleistiftskizzen. Ein großer Teil ist im Sommer 1944 bei dem Bombardement auf die Gustloff-Werke, wo sie versteckt waren, vernichtet worden. Dennoch konnte er 1945 nach der Befreiung des Lagers noch dreihundert Zeichnungen mit nach Paris nehmen, aus denen er ein Buchenwald-Diorama fertigte, das jedoch nicht mehr existiert.
Nicht vergessen werden darf in dieser kurzen Auflistung der verschiedenen Künstler Bruno Apitz, der nicht nur der Autor des Romans »Nackt unter Wölfen« war, sondern als Holzschnitzer im Herbst 1944 die Plastik »Das letzte Gesicht« schuf. Sie ist heute im Deutschen Historischen Museum in Berlin zu sehen. Die Geschichte dieser Skulptur ist fast eine eigene Dokumentation wert. Als die Goethe-Eiche im August 1944 bei dem Bombenangriff auf die DAW und Gustloff-Werke auf dem Ettersberg in Brand geriet, retteten die Häftlinge die Reste des Baumstamms und Bruno Apitz schnitzte aus dem Eichenholz das Portrait eines sterbenden Kameraden. Zwar ist nicht bekannt, welchen Mithäftling er auf diese Weise portraitierte, aber damit gab er vielen Tausenden, die ohne Zeugnis in Buchenwald ermordet wurden, ein Gesicht zurück.
Zusammenfassend kann man sagen, dass im KZ Buchenwald Bildende Kunst in ihren verschiedenen Ausdrucksformen für die Häftlinge selbst während der Haftzeit ein Medium zum Überleben war und die eigene Widerständigkeit zu zeigen. Mit dem künstlerischen Werk bewahrten sie nicht allein die eigenen Erinnerungen, sondern trugen auch dazu bei, Mithäftlinge dem Vergessen zu entreißen.