Straffreiheit für Verharmloser
6. Oktober 2018
Widersprüchliche Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
Sehr deutlich hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass wer den Holocaust leugnet, sich nicht auf die grundgesetzlich verbriefte Meinungsfreiheit berufen kann. Die Leugnung des Holocaust ist eine Straftat. »Die Verbreitung erwiesen unwahrer und bewusst falscher Tatsachenbehauptungen kann nicht zur Meinungsbildung beitragen und ist als solche nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt. Die Leugnung des nationalsozialistischen Völkermordes überschreitet die Grenzen der Friedlichkeit der öffentlichen Auseinandersetzung und indiziert eine Störung des öffentlichen Friedens«, erklärt das Gericht. (1 BvR 673/18).
Zur gleichen Zeit hat das Bundesverfassungsgericht in einem anderen Urteil jedoch entschieden, dass »eine Verurteilung wegen Billigung, Leugnung oder Verharmlosung bestimmter unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangener Verbrechen« »nur bei Äußerungen in Betracht (kommt), die geeignet sind, den öffentlichen Frieden zu gefährden«. Dies sei gegeben »etwa durch Appelle oder Emotionalisierungen, die bei den Angesprochenen Handlungsbereitschaft auslösen oder Hemmschwellen herabsetzen oder Dritte unmittelbar einschüchtern«.
Generell gelte: »Die mögliche Konfrontation mit beunruhigenden Meinungen, auch wenn sie in ihrer gedanklichen Konsequenz gefährlich und selbst wenn sie auf eine prinzipielle Umwälzung der geltenden Ordnung gerichtet sind, gehört zum freiheitlichen Staat.« Und: »Eine Verharmlosung des Nationalsozialismus als Ideologie oder eine anstößige Geschichtsinterpretation dieser Zeit allein begründen eine Strafbarkeit nicht«. Die freiheitliche Ordnung des Grundgesetzes setze vielmehr darauf, »dass solchen Äußerungen«, wie etwa die Verharmlosung von NS-Verbrechen, »grundsätzlich nicht durch Verbote, sondern in der öffentlichen Auseinandersetzung entgegengetreten wird. Die Meinungsfreiheit findet erst dann ihre Grenzen im Strafrecht, wenn die Äußerungen in einen unfriedlichen Charakter umschlagen.«
Der juristisch geprägten Sprache entkleidet bedeutet das, dass die Verharmlosung von Nazi-Verbrechen unter die Meinungsfreiheit fallen soll, selbst dann (so heißt es in dem Urteil), wenn sie »in ihrer gedanklichen Konsequenz gefährlich« und auf die »Umwälzung der geltenden Ordnung gerichtet« ist. (1 BvR 2083/15). (Alle Zitate aus der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts Nr. 66/2018 vom 3. August 2018.)
Nazihetze und Nazipropaganda werden hier trotz der generell mit ihr verbundenen Förderung von Gewalt von ihrem »unfriedlichen Charakter« erst einmal abstrahiert, obwohl alle Erfahrungen zeigen, wie sehr gerade Nazipropaganda zur Anwendung von Gewalt motiviert. Ebenso wenig vermag man nachzuvollziehen, dass Propaganda und Hetze von Nazis, um die es hier geht, als »beunruhigende Meinung« verniedlicht werden.
Eine Hilfe im Kampf gegen Neofaschismus ist dieses Karlsruher Urteil nicht. Viel eher ist zu befürchten, dass es von Nazis und Rechtsextremisten als Freibrief für ihr Wühlen und Hetzen aufgefasst wird.