Umgang oder Umgehen?
7. April 2019
Über den Distanzierungswettstreit unter antifaschistischen Akteuren
Viele reiben sich nach folgenden Sätzen die Augen: »Die Antifa geht von völlig falschen Voraussetzungen aus. Mancherorts mag der Rechtsstaat schwach sein, die Polizei gegenüber Neonazis zu passiv und der Verfassungsschutz auf dem rechten Auge blind. Hier muss man die Durchsetzung von Recht, Gesetz und den Schutz von bedrohten Menschen einfordern, statt die Dinge als linksautonome Bürgerwehr selbst in die Hand zu nehmen und es Widerstand zu nennen.« Dieses Loblied auf die vermeintlich erfolgreiche staatliche Ahndung rechten Terrors bei gleichzeitiger Diskreditierung antifaschistischer Vorwärtsverteidigung, war im Februar nicht in der konservativen FAZ sondern in der linken taz zu lesen (1). Dies ist umso verwunderlicher, als nicht nur die Erkenntnisse aus dem NSU-Komplex, sondern auch aktuelle Beispiele ausreichend verdeutlichen, dass ein Bauen auf die staatliche Strafverfolgung oftmals bestenfalls ins Leere läuft.
Loblieder auf das Gewaltmonopol
Wenn dies ein Einzelfall wäre, könnte das mit Leserbriefen zur Notwendigkeit antifaschistischer Arbeit und Ermahnungen zu einer grundsätzlicheren Kritik an Polizei und Geheimdiensten abgetan werden. Leider ist dem aber nicht so. Denn nach dem Fall Magnitz (in Bremen wurde ein AfD-Politiker zu Boden gestoßen) häufen sich Stimmen, ausgerechnet in den linken Medien und aus Teilen der Zivilgesellschaft, es doch bitte sein zu lassen mit der These der »Faschisierung der Gesellschaft« und vor allem mit dem militanten antifaschistischen Widerstand, der sich abhebt von Appellen an den Staat, doch bitte durchzugreifen gegen Rechts.
Selbst hagalil, das größte Online-Medium für jüdisches Leben in deutscher Sprache hat sich dem »Problem« Antifa nun gewidmet. Hier ist zu lesen »Statt ›Faschisierung‹ (…) taumelt die Bundesrepublik in Richtung auf eine ›illiberale Demokratie‹« und »… die ›antifaschistische Militanz‹, ähnlich wie rechte Bürgerwehren, höhlt die Legitimität des staatlichen Gewaltmonopols aus.« (2) Der Beitrag von hagalil springt wiederum der Amadeu Antonio Stiftung bei, die sich zuletzt von einem ehemaligen Mitarbeiter distanziert hatte, der beschuldigt wird, ein Auto eines AfD-Politikers in Berlin beschädigt zu haben. Der getroffene AfD-Politiker wiederum steht unter dringendem Verdacht, mit Wissen des Verfassungsschutzes, zusammen mit einem NPD-Politiker mehrere Brandanschläge auf Autos und Wohnhäuser verübt zu haben. Hier scheint Einiges legitim, aber sicher nicht der Ruf nach staatlichem Handeln und Däumchendrehen.
Antifaschismus auf dem Prüfstand
Unbesehen der Fakten in den einzelnen Fällen, muss festgestellt werden, dass lange Zeit notwendige Diskussionen unter Antifaschistinnen und Antifaschisten (egal ob autonom, bürgerlich, feierabendlich oder hauptamtlich), sorgsam vermieden wurden oder es zumindest dafür keine gemeinsame Plattform gab. Viele Gewissheiten – wie zum Beispiel die solidarische Grundhaltung unter allen antifaschistisch Aktiven, oder das Wissen um die Unterschiede zwischen struktureller Gewalt, linker und rechter Gewalt gegen Menschen und wiederum Sachbeschädigung, oder auch die Skepsis in Bezug auf Sicherheitsbehörden (nicht erst nach dem NSU) – welche die Politik der unterschiedlich agierenden Spektren des Antifaschismus erst ermöglichen, werden plötzlich infrage gestellt. Das spaltet den Widerstand gegen Neofaschismus, Autoritarismus und die Renaissance des Nationalismus und sorgt für ein Auseinanderlaufen, statt für ein vernetztes Vorgehen. Auch freundlichere Beiträge, die es schaffen, eine Kausalität von Zunahme antifaschistischer Gegenwehr und Abnahme von Neonazigewalt herzustellen, wie in der Welt (3) und Tagesspiegel (4), können am aktuellen Grundtenor nichts ändern.
Die Folgen sind fatal
Wer keine solidarische Bewegung und vor allem deren öffentlich wahrnehmbare Akteure hinter sich weiß, wird auch nicht bereit sein, bestimmte Hindernisse antifaschistischer Arbeit inkauf zu nehmen. Das fängt bei der körperlichen Unversehrtheit (z.B. bei Blockaden gegen Nazis) an und endet auch nicht bei der oft mühseligen und manchmal langweiligen Verbandsarbeit.
Gerade in Zeiten des, von allen gleichermaßen analysierten Rechtsrucks, kommen die Spaltungstendenzen ungünstig und sind selbst offensichtlich Ausdruck desselben. Stiftungen, Bildungsträger und Politikformate, die in Sorge sind, staatliche Förderungen zu verlieren, oder aber eine Diffamierungskampagne (sog. »Shitstorm«) fürchten, distanzieren sich mutlos von relevanten Teilen ihrer einstiegen politischen Agenda und Basis. Die Hoffnung der sich Distanzierenden ist, weiterhin genügend Legitimität innerhalb der rechts blinkenden Gesellschaft anzuhäufen, um weiterbestehen zu können. Doch damit wirken sie eher an der eigenen Abschaffung mit. Denn in einer immer rechteren Gesellschaft gibt es zwangsläufiger weniger Spielraum. Zudem vertiefen diese Distanzierungen eher das Misstrauen in die Handlungsfähigkeit auch in raueren Zeiten. Und diese werden rauer – für uns alle.