Unbeachteter Staatsstreich
20. August 2020
Wie Spezial-Munition über Güstrow an Prepper gelangt
In der »Rostocker Ostseezeitung« stand Anfang April: »Warnung vor Terroranschlägen von Polizisten und Soldaten«. Die Bundesregierung befürchte eine Zunahme rechter Gewalt im Zuge der Corona-Krise. Der Bundestag sei über Planungen rechter Gruppierungen informiert worden. Mitglieder sogenannter Prepper-Gruppen bereiten sich demnach auf den »Tag X« vor, an dem die öffentliche Ordnung zusammenbricht. In Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen sollen Waffen und Munition aus Verstecken geholt worden sein. »Teile der extremen Rechten haben sich auf genau solche Situationen vorbereitet und könnten mit Anschlägen aktiv werden«, sagte Linken-Innenexpertin Martina Renner. Konstantin Kuhle, innenpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, betonte, immer häufiger tauche bei Rechtsextremisten die Hoffnung auf bürgerkriegsähnliche Zustände auf, in denen die verhassten etablierten Strukturen in Politik und Gesellschaft beseitigt werden sollen.
Nach dem Bericht der Ostseezeitung war wieder Ruhe im Blätterwald. Erst am 15. Mai fand sich eine Information im Lokalteil der Dortmunder Ruhr Nachrichten: Das Sondereinsatzkommando (SEK) der Dortmunder Polizei habe im fernen Mecklenburg-Vorpommern, in Güstrow, auf einem Schießstand mit Verbindung zur rechtsterroristischen Gruppe »Nordkreuz« um Administrator Marko Groß trainiert. Und am Raub von Munition bei Bundeswehr und Polizei in insgesamt sieben Bundesländern seien auch Polizisten aus Nordrhein-Westfalen beteiligt gewesen.
Bemerkenswert ist, dass die Meldung vom 15. Mai nur im Lokalteil der Dortmunder Zeitung stand, nicht auf einer der vorderen Seiten. Vom NRW-Landeskriminalamt wurden auch Kontakte der SEK in Duisburg, Köln und Düsseldorf zum rechten Terrorspektrum eingeräumt. Obwohl noch weitere Details – diesmal von frontal21 am 12. Mai – gemeldet wurden, hüllten sich NRW-Landes- und Bundesregierung in Schweigen. Es wurde bekannt: An jenem Tag X sollen die Staatsmacht übernommen und unliebsame Menschen aus dem demokratischen Spektrum hingerichtet werden. Für die ‚Machtübernahme‘ braucht man Fahrzeuge, Waffen, Munition, zur Vorbereitung Listen von ‚Feinden‘, für ihre Beseitigung Leichensäcke und Löschkalk. Chats der Nordkreuz-Akteure belegen Details der Vorratsbeschaffung. Antifaschistische Gruppen forderten nach den neuen Erkenntnissen nun in NRW die gründliche Aufklärung und sofortige Beendigung der Polizeikontakte in die rechte Szene hinein.
Ein Schießstand in Güstrow
Fragwürdig bleibt, warum Polizeisondereinheiten aus mehreren Bundesländern, diversen europäischen Ländern und den USA jahrelang auf einem privatwirtschaftlichen Schießplatz in Güstrow trainierten. Elitepolizeieinheiten nahmen dort seit 2009 jährlich an dem Wettkampf »Special Forces Workshop« der Firma Baltic Shooters unter der Schirmherrschaft des Landeskriminalamtes Mecklenburg-Vorpommern teil. Nachdem die Polizei am 11.Juni 2019 eine Razzia auf dem Schießgelände durchführte, wurde der geplante elfte Wettkampf abgesagt und der Vertrag des LKA mit Frank Thiel, Chef der Baltic Shooters, gekündigt.
Vom Waffenplatz führte eine direkte Spur zu der rechtsgerichteten Preppergruppe um Nordkreuz-Administrator Marko Groß und ihr illegales Waffenlager, so die Schweizer Wochenzeitung WOZ. Bei Groß wurde bereits 2017 Munition gefunden. 2019 beschlagnahmte die Polizei in seinem Haus erneut 31.000 Schuss Munition. Er wurde im Dezember wegen Verstößen gegen das Kriegswaffengesetz zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt.
Eine unabhängige Expertenkommission, die das Schweriner Innenministerium zur Aufklärung einsetzte, soll laut WOZ kritisiert haben, dass einem privaten Betreiber ermöglicht wurde, genaue Einblicke in polizeiliche Interna zu erhalten. Die waren nicht ohne, denn ein schweizerisch-deutscher Polizeivertrag ermöglichte demnach auch das Training von fünf Schweizer Sondereinheiten auf dem Schießplatz im mecklenburgischen Güstrow. Besonders brisant: hier wurden neuartige Waffen der Firma Ruag getestet, die Schutzwesten durchschlagen können. Im Prozess gegen Marko Groß kam auch heraus, dass 4.000 Schuss, die von Ruag stammen, bei ihm gefunden wurden. Etwa die Hälfte davon war mit dem Aufkleber »an Frank T., Baltic Shooters« beschriftet.
Spezialmunition und Anwendungserfahrungen gingen in Mecklenburg-Vorpommern offensichtlich mehrere Jahre lang ungehindert an rechtsradikale Prepper. Wer übernimmt dafür die politische Verantwortung? Landes-Innenminister Lorenz Caffier zeigte sich nach der jüngsten Festnahme von SEK-Kräften betroffen und will nun durchgreifen. Er wolle das SEK umstrukturieren. Das Schießtraining der Spezialkräfte sei vorerst ausgesetzt.