»Es ist viel Wut im Spiel«

23. August 2020

Tahir Della dazu, was die »Black Lives Matter«-Proteste in den USA mit Rassismus in Deutschland verbindet

antifa:Wie bewertet eure Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) die »Black Lives Matter«-Proteste, die durch den Tod von George Floyd in 
den USA ausgelöst wurden?

Tahir Della: Ich war zunächst überrascht von der internationalen Anteilnahme für George Floyd. Seine Todesumstände fügen sich ein in eine lange Reihe ähnlicher Fälle, darunter zuletzt Trayvon Martin oder Eric Garner. Und nicht nur in den USA, auch hier in Deutschland, kamen Menschen durch massive Polizeigewalt ums Leben. Erinnert sei an den Tod von Oury Jalloh, der auch nach über zehn Jahren noch nicht aufgeklärt ist. Wenn man sich die Proteste in der BRD anschaut, dann waren vorwiegend jugendliche Teilnehmer*innen oder junge Erwachsene dabei. Man hat, salopp gesagt, die Schnauze voll.

antifa: Welche Rolle spielt rassistisch-motivierte Gewalt in Deutschland, insbesondere bei der Polizei?

Tahir Della: Ganz klar haben die Strukturen ein systemisches Problem. Man muss sich vergegenwärtigen, dass in Deutschland seit Jahrzehnten, nein seit über 100 Jahren, die Menschenrechte von People of Color (PoC) und Schwarzen Menschen mit Füßen getreten werden. Seit jeher hat rassistisches Handeln in den Reihen der Polizei kaum oder keine Konsequenzen für die Verantwortlichen. Kommt es überhaupt zu Prozessen, werden Polizist*innen größtenteils freigesprochen. Das permanente Abwiegeln von Polizeiseite, man habe es nur mit Einzelfällen zu tun, ist unglaublich. Die Ausgrenzung ist deutlich sichtbar. Das fängt mit den rassistischen Kontrollmaßnahmen an, bei denen bestimmte Communities aus Schikane immer wieder kontrolliert werden. Am anderen Ende dieser Skala stehen dann Tote. Erinnert sei an die Opfer des Terrornetzwerks NSU, Oury Jalloh oder Tonou-Mbobda im letzten Jahr.

antifa: Welche Erkenntnisse lassen sich aus den Kämpfen in den USA für die Auseinandersetzungen mit Rassismus hierzulande gewinnen?

Tahir Della engagiert sich in der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD)

Tahir Della engagiert sich in der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD)

Tahir Della: Ich bin recht ambivalent bei der Frage, wie sich Black Lives Matter in den USA auf Deutschland übertragen lässt. Natürlich gibt es auch in der BRD Schwarze Menschen, die möglicherweise denken, sie könnten wie George Floyd ums Leben kommen. Sie fragen sich dann vielleicht, wie artikuliere ich Protest. Dennoch muss man im Blick behalten, dass es in Deutschland viele Menschen mit Rassismuserfahrung gibt, über die noch weniger gesprochen wird – Sinti und Roma oder Geflüchtete zum Beispiel. Insofern ergänzen wir unsere Arbeit, die Selbstorganisation von Schwarzen Menschen in Deutschland, auch durch Arbeit in Bündnissen und Netzwerken. Klar ist, dass alle von Rassismus betroffenen Menschen unter ähnlichen Akteur*innen oder Machtstrukturen zu leiden haben. Seien es die Polizei- und Sicherheitsbehörden; Diskriminierung gibt es aber  auch im Bildungsbereich oder auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt.

antifa: Wie erlebt ihr die derzeit große Aufmerksamkeit für Rassismus und welche Erwartungen habt ihr?

Tahir Della: Wir können feststellen, dass die Situation nicht mehr die ist, die herrschte, als wir 1985 mit unserer Initiative angefangen haben. Damals, so hörte man quasi überall, gab es in Deutschland weder Rassismus noch Antisemitismus oder ein Problem mit der deutschen Kolonialgeschichte. Die Wahrnehmung der Präsenz unterschiedlicher Formen von Rassismus ist gewachsen, insbesondere in der Zivilgesellschaft, aber auch in der Politik oder den Medien. Wir sind alle gefordert, in die Debatte mit einzusteigen, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Das ist natürlich nicht damit beantwortet, indem sich ein paar Gesetze ändern oder manche Strukturen ein wenig bunter werden. Es muss um eine umfassende Systemanalyse gehen. Die uns umgebenden Strukturen müssen auf den Prüfstand gestellt werden. Dabei geht es um die Frage, ob die Grundlagen für eine nichtdiskriminierende Gesellschaft gegeben sind.

antifa: Was erwartet ihr von Menschen, die nicht von Rassismus betroffen sind?

Tahir Della: Ich höre die Frage nicht so gern, weil ich ja am Morgen nach dem Aufstehen auch nicht gesagt bekommen möchte, was ich heute zu tun habe. Die Person muss schon selbst überlegen, wie sie aktiv werden will. Natürlich sollten sich Menschen, die nicht negativ von Rassismus betroffen sind, beispielsweise auf Demonstrationen verantwortlich verhalten. Sie sollten also keine Situation schaffen, durch die PoCs ins Fadenkreuz der Polizei geraten. Falsch wäre sicher auch, wenn rassistisch-diskriminierte Menschen Ansagen gegenüber jenen machen, die Rassismus nicht tagtäglich erleben müssen. Mir erscheint wichtig, dass sich solidarisch-eingestellte Menschen politisch organisieren, Zivilcourage zeigen, bei Racial Profiling eingreifen und dies dokumentieren. Dabei werden sich Fehler nicht vermeiden lassen. Gut ist, aus diesen zu lernen und Konsequenzen zu ziehen.

Das Interview führte Andreas Siegmund-Schultze

Tahir Della engagiert sich in derInitiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD). www.isdonline.de

 

 

In Zusammenarbeit mit dem Peng Kollektiv hat die ISD eine partizipative Sammlung von kolonionalen Namen im öffentlichen Raum gestartet.

www.tearthisdown.com