Vergessene Verfolgte
9. Oktober 2020
Initiative in der Uckermark will an Opfer von Jugend-KZ erinnern
Große Aufmerksamkeit erhielten in diesem Frühjahr die Feiern zum 75. Jahrestag der Befreiung ehemaliger Konzentrations- und Vernichtungslager. Wie sich diese unter den Bedingungen der Corona-Pandemie überhaupt gestalten ließen, wurde häufig an Beispielen von Gedenkstätten gezeigt, die in der Öffentlichkeit ohnehin eine gewisse Bekanntheit haben. Doch was ist mit den Erinnerungsorten, die nicht im Fokus stehen?
Vor besondere Herausforderung war in Zeiten der Seuche auch die »Initiative für einen Gedenk- ort ehemaliges KZ Uckermark e.V.« gestellt. Dabei handelt es sich um ein Netzwerk autonomer, feministischer Antifaschist*innen. Die Gedenkfeier auf dem früheren Gelände des Jugendkonzentrationslagers musste im April abgesagt werden. Die Uckermark-Initiative, die als Gruppe von Frauen, Lesben, Trans*- und Inter*-Menschen (FLTI*) organisiert ist, widmet einen wichtigen Teil ihrer Arbeit dem Erinnern an die im Jugend-KZ verübten Verbrechen.
Zur Geschichte
Der durch die Nazis perfiderweise »Jugendschutzlager« genannte Ort befand sich in unmittelbarer Nähe zum Frauenkonzentrationslager Ravensbrück und war strukturell eng damit verbunden. Ab Mitte 1942 fanden die ersten Deportationen junger Frauen* und Mädchen* statt. Bis Anfang 1945 waren im Lager etwa 1.200 Menschen inhaftiert, vorwiegend aus Deutschland, Österreich und Slowenien. Die Behörden wählten vorwiegend die Stigmen »asozial«, »unerziehbar«, »sexuell verwahrlost«, »widerständig« für die Betroffenen. Dazu reichte es, »eine angebliche Eigenschaft unterstellt zu bekommen, die im Sinne der NS-Ideologie als ›gemeinschaftsfremd‹ galt«. So ist es in einer neuen Ausstellung zu lesen, die die Uckermark-Initiative zum 75. Jahrestag der Befreiung des Lagers erstellte. Von der Bundesregierung jahrzehntelang nicht als NS-Verfolgte anerkannt, erhielten sie keine Entschädigungszahlungen.
Größtenteils waren es 16- bis 22 Jährige, die im Jugend-KZ Uckermark bis zu zwölf Stunden täglich Zwangsarbeit leisten mussten und im Sinne des Faschismus »umerzogen« werden sollten. Die Lagerhaft war geprägt von massiver körperlicher Gewalt, Hunger und Kälte. Im Zuge der Auflösung des Lagers in Ravensbrück wurde das Jugend-KZ ab Ende 1944/Anfang 1945 auch zu einem Vernichtungsort. Rund 5.000 Frauen* kamen ums Leben.
Aktionstage im August
Zur Erinnerung an die Frauen* und Mädchen* organisierten Mitglieder der Uckermark-Initiative Anfang August digitale Aktionstage. Dabei lieferte die Website täglich Neues, wie Dokus, einen Podcast, Berichte, Fotos sowie Berichten von Zeitzeug*innen. Wie Fiete Alpspitz von der Initiative gegenüber antifa sagte, gab es auch drei Führungen, die im kleinen Rahmen stattfanden. Die Aktivitäten der Initiative beschränken sich jedoch nicht nur auf die offene Gedenkarbeit in der Uckermark. Sie bringt sich auch in Auseinandersetzungen um Erinnerungspolitik ein, arbeitet zu Kontinuitäten des Stigma »asozial«, rechtem Terror heute und Themen wie Klassismus oder Sexismus.
Seit Mitte der 1990er Jahre gibt es auf dem Gelände auch Bau- und Begegnungscamps von FLTI*-Gruppen, die nun von der Initiative organisiert werden. Dieses Jahr fand coronabedingt nur eine kleinere Version statt. Auf die Frage, was auf den Camps bisher geschah, antwortet Fiete: Es werde versucht, die Lagerstraße wieder komplett sichtbar zu machen; Markierungen sollen die Positionen der früheren Häftlingsbaracken darstellen. »Weiterhin arbeiten wir an Ausstellungen und sorgen für die Instandhaltung des Gedenkortes.« Dazu gehöre, Wege frei zu machen, Schilder zu reparieren und Markierungen zu erneuern. Der Kontakt mit den Überlebenden des Jugend-KZ und der Austausch mit ihnen über die Gestaltung des Gedenkortes sei ein wesentliches Anliegen, um ein würdiges Erinnern zu ermöglichen. Auch in diesem Sommer besuchten Angehörigen der Uckermark-Überlebenden Łucja Barwikowska den Gedenkort und verbrachten gemeinsam mit den Aktiven der Initiative einige Tage in der Region, so Fiete weiter.
Die Arbeit für einen würdigen Gedenkort ist dadurch erschwert, dass jahrzehntelang wenig Interesse bestand, dazu zu forschen und erhebliche Mengen an Archivmaterial noch nicht ausgewertet sind. Auch die Folgen der Nachnutzung des Geländes wiegen schwer: Die Baracken des Lagers wurden noch 1945 abgebrannt. Die Rote Armee nutzte nach der Befreiung große Teile militärisch. Ein mit staatlichen Mitteln finanzierter offizieller Lern- und Gedenkort »Lager Uckermark« war vor wenigen Jahren gescheitert. Nun sind es die Aktiven der Uckermark-Initiative, die mit ihrer offenen Gedenkarbeit eine Form gefunden haben, die im Vergleich zum offiziellen Gedenken weniger starr und umso perspektivenreicher ist.
Die Aktionstage sind auf gedenken.noblogs.org dokumentiert.
Der Film: »… dass das heute noch immer so ist – Kontinuitäten der Ausgrenzung« ist online verfügbar: www. film-kontinuitaeten-heutenoch.de
Spenden: Initiative Gedenkort KZ Uckermark e.V., DE61 4306 0967 7924 5544 00, GLS-Bank