Streicht »#Covidioten«
6. Dezember 2020
zur antifa September/Oktober 2020
Der Beitrag auf Seite 6 (»Stelldichein der Rechten«) ist informativ, weil er an Hand einiger Führungsfiguren der selbsternannten »Querdenker«-Szene deren Affinität nach ganz rechts nachweist. Was ich aber kontraproduktiv für die Ziele der VVN halte, ist die Ankündigung dieses Beitrags auf der Titelseite mit »#Covidioten S.6«. Diese Begrifflichkeit ist aus mehreren Gründen falsch und gefährlich:
Erstens haben die rechtsradikalen und neonazistischen Organisationen, die sich die »Corona-Proteste« zu nutze machen wollen, ein glasklares politisches Kalkül. Nach Euro- und Europafeindlichkeit, nach der Verbreitung von Hass auf Geflüchtete und andere Migrant*innen und Minderheiten sehen sie hier eine neue Basis, um ihre politische Wirksamkeit zu erhöhen. Sie als »#Covidioten« zu bezeichnen verharmlost die Gefahren, die von diesen Gruppen und Personen ausgehen. Das gilt auch für Führungsfiguren der »Querdenker«-Szene. Sicher nutzen einige von ihnen die neu entstandene Bewegung für persönliche Selbstdarstellung und Bereicherung. Aber auch ihnen unterstelle ich ein mindestens antidemokratisches Verständnis, wenn sie gegen die »Lügenpresse«, die parlamentarische Demokratie und das Grundgesetz agitieren.
Zweitens gibt es vermutlich unter den »Corona-Protestler*innen« eine nicht unerhebliche Zahl von Menschen, die an diesen Protesten teilnehmen, weil sich bei ihnen persönliche, soziale und wirtschaftliche Probleme im Gefolge der Pandemie und der von den Regierenden beschlossenen Maßnahmen verschärft haben. Diesen Personenkreis als »#Covidioten« zu bezeichnen wird bei ihnen nicht das Nachdenken darüber fördern, in welcher anrüchigen Gesellschaft sie ihren – im Einzelfall durchaus nachvollziehbaren und berechtigten – Protest zum Ausdruck bringen. Es ist im Gegenteil anzunehmen, dass damit Solidarisierungsprozesse mit den oben genannten Personen und Gruppen provoziert werden.
Drittens gibt es in der »Corona-Proteste«-Szene sicher eine Vielzahl obskurer Menschen und Überzeugungen (Esoteriker*innen, christliche Fundamentalist*innen, Impfgegner*innen etc.). Bei diesem Personenkreis ist in vielen Fällen begründet zu vermuten, dass sie mit einem rationalen Diskurs nicht mehr zu erreichen sind. Diesen Personenkreis als »#Covidioten« zu bezeichnen könnte zwar naheliegen, ist aber mit der Achtung der Menschenwürde nicht zu vereinbaren.
Bitte lasst uns deshalb den Begriff »#Covidioten« mit und ohne Raute aus dem Sprachschatz streichen.
Walter Schmidt, Frankfurt/M.