Bündnisbreite statt Verabsolutierung

geschrieben von Peter C. Walther

5. September 2013

Zur Debatte über Faschismusdefinitionen

Sept.-Okt. 2012

Die vorangegangenen Beiträge von Matthias Wörsching, Phillip Becher und Jürgen Lloyd sind in den Ausgaben Mai/Juni und Juli/August auch auf unserer Internetseite antifa-vvn-bda.de nachzulesen.

Die Debatte in der antifa über Faschismusdefinitionen ist nicht nur eine Bereicherung des Angebots an unsere Leserinnen und Leser, sondern auch ein Beitrag zur Bildungsarbeit. Diese Debatte – auch über andere Themen des antifaschistischen Spektrums – sollten wir jedenfalls fortsetzen.

Verzichten sollten wir dabei allerdings auf Verabsolutierungen. Eine solche ist bei Mathias Wörsching die Behauptung »Die Dynamik des Faschismus als Bewegung lässt sich nur durch die Analyse seiner Ideologie verstehen.« Das ist eine wenig hilfreiche Begrenzung aufs Ideologische.

Bei Phillip Becher und Jürgen Lloyd wiederum klingt ebenso absolut ihr »Verständnis vom Faschismus als einer Form der bürgerlichen Herrschaft«. Dies sei, so argumentieren sie, das »Resultat eines langjährigen Diskussionsprozesses in der Arbeiterbewegung«, dessen »Endpunkt die als ›Dimitroff-Formel‹ bekannt gewordene Definition des Faschismus« sei, die den Faschismus »als terroristische Form monopolkapitalistischer Herrschaft« bezeichne.

»Faschismus ist eben nicht lediglich eine Ideologie« (was Wörsching gar nicht behauptet hat!) »sondern eine Form bürgerlicher Herrschaft«, formulieren Becher und Lloyd. Und weiter: »Antifaschistisches Handeln kann sich deshalb auch nicht darauf beschränken, eine Ideologie zu bekämpfen« (was wiederum nirgendwo gefordert wird!), »sondern muss den bewussten Zusammenschluss aller befördern, die ein Interesse daran haben, nicht unter faschistischen Herrschaftsverhältnissen zu leben.«

Diese Schlussfolgerung kann nur unterstrichen werden. Antifaschistische Bündnispolitik ist eine der Grundvoraussetzungen der Faschismusverhinderung. Gerade wegen der dazu notwendigen Bündnisbreite sollten wir unterschiedliche Ansatzpunkte und Auffassungen der Faschismusdefinition nicht nur tolerieren, sondern auch akzeptieren – und deshalb auf Verabsolutierungen verzichten.

Eine solche ist m.E. die Formel »Faschismus ist eine Form bürgerlicher Herrschaft«. Ich will an dieser Stelle nicht die Diskussion darüber führen (obgleich sie zu einem anderen Zeitpunkt geführt werden sollte), ob Faschismus sowohl als Bewegung wie auch als Herrschaftsform nicht auch unter nichtmonopolkapitalistischen Verhältnissen möglich und schon deshalb die Dimitroff-Formel nicht absolut zutreffend ist.

Wenn die These »Faschismus ist eine Form bürgerlicher Herrschaft« aufgestellt und benutzt wird, sollte dabei jedenfalls erklärt werden, was unter »bürgerlicher Herrschaft« verstanden wird. Wenn damit Kapitalismus und kapitalistische Herrschaft gemeint sind, sollte das auch so bezeichnet werden. Aber auch hier ist eine Differenzierung angebracht.

Eine uneingeschränkte Gleichsetzung ist äußerst problematisch. Zur bürgerlichen Herrschaft gehören bürgerliche Rechte und Freiheiten, die bürgerliche Demokratie, so begrenzt sie auch sein mag. Sie ist nicht zu bekämpfen, sondern vielmehr zu verteidigen und zu erweitern. »Mehr Demokratie« ist eine Forderung, auf die sich wohl alle Antifaschisten einigen können.

Vor allem sind Verteidigung und Ausbau der Demokratie – und dabei ganz wesentlich auch die Anwendung demokratischer Rechte und Freiheiten – ein wichtiges und wirksames Mittel der Faschismusverhinderung.

Gewiss gehört die Vertretung der These »Faschismus ist eine Form bürgerlicher Herrschaft« – auch wenn deren inhaltliches Zutreffen in dieser absoluten Form anzuzweifeln ist – ebenfalls zum Spektrum der unterschiedlichen Zugänge zum Antifaschismus. Sie darf nur nicht verabsolutiert werden – und sie darf auf keinen Fall dazu führen, deshalb in der Konsequenz als Antifaschist »bürgerliche Herrschaft« bekämpfen zu wollen.

Das gilt ebenso, wenn »bürgerliche Herrschaft« und Kapitalismus gleichgesetzt werden. Erstens wird längst nicht mehr behauptet, dass Kapitalismus zum Faschismus führen muss. Zweitens gehören auch Kapitalismus-Anhänger und -Verfechter, wenn sie keine faschistischen Verhältnisse wollen, zum potentiellen antifaschistischen Bündnis. Jedenfalls sollten wir uns auch um sie bemühen.