Komponist und Kommunist

geschrieben von Klaus Höpcke

5. September 2013

Erinnerung an den antifaschistischen Künstler Kurt Schwaen

Jan.-Feb. 2008

Unsere Trauer um Kurt Schwaen verbindet sich mit einer Gewissheit: Sein Werk lebt. Musik und Politik bestimmten, wie viele beim Lesen seiner Erinnerungen erfahren haben, sein langes Leben. Ich weiß es zusätzlich aus einer persönlichen Sicht. Kurt war mit meinen Eltern befreundet, er als Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands, sie als Angehörige der Roten Studentengruppe Berlin. In der illegalen Arbeit gegen die Nazis kümmerten sie sich unter anderem um Koffer voller Reclamhefte mit unverfänglichen Titeln, in deren Innerem etwas ganz anderes zu lesen stand. Schwaen beschreibt, wie meine Eltern, die wegen meiner Geburt Ende 1933 nach Cuxhaven, ihre Heimatstadt, gefahren waren, Anfang 1934 nach Berlin zurückkehrten. Auf dem Bahnhof haben sie mich aus dem Zugfenster in einem Wäschekorb Kurt Schwaen entgegengereicht.

Er nahm die Ankömmlinge bei sich in der Wattstraße in Wedding auf, bis sie eine eigene Wohnung gefunden hatten. Einige Jahre später, am 4. Juli 1938, wurde Kuert Schwaen, der inzwischen verhaftet und drei Jahre in Berlin am Alex und in Moabit sowie in Luckau und Zwickau in Zuchthäusern eingesperrt worden war, in Chemnitz endlich aus dem Kerker entlassen. Da konnten nun meine Eltern wiederum ihm helfen. Im Sonderheft 2007 des Kurt-Schwaen-Archivs unter dem Titel »Erlebnisse im Tanzstudio Gertrud Wienecke in Berlin am Kurfürstendamm. Tagebuchaufzeichnungen, Briefe (1939-1990)« schreibt Schwaen dazu in einer 2006 verfaßten Einführungsnotiz: »Ich war im Juli 1938 frei. Wie befohlen, meldete ich mich bei der Gestapo. Zunächst schnauzte man mich an, weil ich nicht gegrüßt hatte. (Für die jüngeren Leser: Er hatte nicht mit angehobenem rechtem Arm ›Heil Hitler!‹ gesagt. Weiter Schwaen:) Ich erwiderte, dass dies uns Strafgefangenen verboten worden war. Da verstummten sie.

Ich stand nun auf der Straße. Meine alten Freunde Höpckes hatten mir ihre Wohnung angeboten. Drei Jahre zuvor war es umgekehrt gewesen. Wie würde es weitergehen? Es gab eine Beratungsstelle für Entlassene, offenbar durchsetzt mit alten Genossen. Höpckes kannten sie. Ich bekam Arbeit als Korrepetitor. Zunächst bei Sängern. Dann erreichte mich eine Einladung zu einem Tanzabend im Studio von Gertrud Wienecke am Kurfürstendamm. Es wurde für mich Heimat für vier Jahre…An diesem Abend tanzte Oda Schottmüller.« Durch sie, die Tänzerin und Bildhauerin, mit der ihn dann eine enge Zusammenarbeit verband, kam er kurz auch mit der Schulze-Boysen-Gruppe in Berührung. Oda wurde von den Nazis 1943 hingerichtet.

Bevor es 1945 zur Niederschlagung des Faschismus und zu unserer Befreiung kam, musste Kurt Schwaen noch die Torturen der Strafdivision 999 überstehen.

Was er nach 1945 vollbracht hat, zeugt schon mit seinen 667 Kompositionen – darunter »Die Horatier und die Kuriatier« mit dem Text von Bertolt Brecht und Lieder, die zu Volksliedern wurden wie »Wer möchte nicht im Leben bleiben« – von Größe. Dass er neben dem Komponieren stets im Alltagsleben praktisch politisch tätig war, wird von manchen stillschweigend übergangen, von anderen als Erledigung lästiger Aufträge von Parteiinstanzen hingestellt (»Parteiaufträge«). Laßt uns auch nach seinem Tod darauf bestehen, dass es den Kommunisten Schwaen selber drängte, Aufgaben der Gesellschaftsgestaltung wahrzunehmen. Das gilt für den Aufbau der Berliner Volksmusikschulen, für seine Arbeit als Sekretär des Komponistenverbands und dann der Sektion Musik der Akademie der Künste der DDR und für die Gründung der AG Kindermusiktheater – lauter Tätigkeiten, in denen seine geistige Frische, sein leidenschaftliches Ringen um mehr Kultur in unserem Leben und seine Fähigkeit zu streitbarem Kampf gegen Dogmatismus und andere Engstirnigkeiten sich erwiesen haben wie seine schöpferische Kraft in seinem kompositorischen Schaffen.

Von seinen Politik-Aktivitäten nach 1989 seien erwähnt: seine Präsidentschaft der Deutsch-Vietnamesischen Gesellschaft seit 1990 und sein 2004 erhobener Protest gegen den Musikschulenabbau in Berlin. Das war zu einem Zeitpunkt in der Nähe seines 95. Geburtstags.